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„Ein selbstloser Diener des Herrn“
Julius Müller-Meiningen
 |  aktualisiert: 21.03.2014 19:04 Uhr

Kann sich die Lehre der katholischen Kirche verändern, etwa im Hinblick auf Sexualität und Ehe? Über Fragen wie diese wird in der katholischen Kirche derzeit vehement diskutiert. Papst Franziskus hat die Debatte mit vielen seiner Äußerungen entfacht. Der 85-jährige deutsche Kurienkardinal Walter Brandmüller aus Ansbach, ehemaliger Präsident der päpstlichen Kommission für Geschichtswissenschaft, lebt mitten im Vatikan und verfolgt den Gang der Kirche aus nächster Nähe. Er spricht sich unter anderem für eine Rückkehr des umstrittenen Limburger Bischofs Tebartz-van Elst und gegen Sonderwege einzelner Diözesen aus.

Frage: Der Papst hat eine Sympathiewelle ausgelöst, von der auch die Kirche profitiert. Können die Erwartungen, die etwa mit dem an alle Diözesen verschickten Fragebogen zur Familienseelsorge geweckt wurden, erfüllt werden?

Walter Brandmüller: Der Fragebogen – reden wir nicht darüber, wie mit ihm umgegangen wurde – dient der Bestandsaufnahme: In welchem Maße ist die Lehre der Kirche über Ehe und Familie bekannt, und wie wird sie gelebt? An eine Abstimmung darüber – ob sie wahr oder falsch, verbindlich ist oder nicht – zu denken, wäre absurd.

Wie beurteilen Sie das Ergebnis des Fragebogens?

Brandmüller: Das Ergebnis war zu erwarten. Die Antworten müssen die Konsequenz haben, nunmehr intensiver über die Vermittlung des Evangeliums nachzudenken. Das ist der Sinn dieser Umfrage. Man muss aber auch darauf hinweisen, dass die Ergebnisse nach Ländern sehr unterschiedlich ausgefallen sind. Der deutsche Sprachraum stellt sich in dieser Hinsicht anders dar als andere Bereiche.

Hat der Vorrang der Seelsorge, wie ihn Papst Franziskus postuliert, eine Entwertung der Doktrin zur Folge?

Brandmüller: Grundlage und Maßstab allen kirchlichen Handelns, also der Seelsorge, ist die Wahrheit des Glaubens. Was dem Papst am Herzen liegt, ist die gewinnende, überzeugende Vermittlung des Glaubens.

Franziskus fordert immer wieder Barmherzigkeit und nicht das Beharren auf Verboten.

Brandmüller: Es ist ein verbreitetes Missverständnis, wenn von Moral die Rede ist, gleich an Verbote zu denken. Im Übrigen können Verbote lebensrettend sein: Die rote Ampel, das Verbot von Süßigkeiten für Diabetiker et cetera. Barmherzigkeit in der Begegnung mit den Menschen ist für einen Christen selbstverständlich. Sie kann aber nie bedeuten, dass ich aus Böse gut und aus Falsch wahr mache.

Geht es dem Papst auch um eine Änderung der Doktrin?

Brandmüller: Reformiert werden muss nicht das christliche Sittengesetz, sondern die Art und Weise seiner Verkündigung. Es wäre wichtig, begreiflich zu machen, dass die Gebote Gottes und des Evangeliums die Gebrauchsanleitung für den höchst komplizierten „Apparat Mensch“ sind, Wegweisung zu einem gelungenen Leben. Abgesehen von der Feindesliebe ergeben sich übrigens alle sittlichen Forderungen des Evangeliums bereits aus der Natur des Menschen. Was meinen Sie, wie die Welt aussähe, würden nur wenigstens die Zehn Gebote gehalten – von der Bergpredigt Jesu einmal ganz abgesehen.

Franziskus sagte aber auch: „Wer bin ich, dass ich über einen Homosexuellen urteile?“ Das ist ein neuer Ton aus Rom.

Brandmüller: Das meine ich nicht. Es ist eine christliche Selbstverständlichkeit, dass kein Mensch über den anderen urteilen kann, weil keiner in das Innere des anderen hineinschauen kann. Ich urteile deshalb nicht über den Menschen, sondern über ein bestimmtes Verhalten. Das meinte der Papst.

Viele haben die Worte des Papstes als neue Position der katholischen Kirche im Hinblick auf Homosexualität empfunden.

Brandmüller: Das ist ein groteskes Missverständnis. Schauen Sie nur im Katechismus der katholischen Kirche nach! Es geht dem Papst um Menschen, die homosexuell sind, nicht um die Homosexualität als Verhaltensweise. Wenn ein Betroffener mit mir darüber reden wollte, würde ich versuchen, ihm zu helfen. Wenn er zur Beichte kommt, erteile ich – wenn er bereut und zur Umkehr bereit ist – die Absolution. Dem Sünder mit Güte und Wohlwollen zu begegnen, heißt aber nicht, die Sünde gutzuheißen.

Auch in der Kurie wird über diese Fragen diskutiert. Insbesondere sind Meinungsverschiedenheiten zwischen Kardinal Müller und Kardinal Maradiaga aufgefallen. Maradiaga forderte „Flexibilität“ vom Präfekten der Glaubenskongregation. Ist Flexibilität im Hinblick auf die Doktrin überhaupt möglich?

Brandmüller: Natürlich nicht. Auch enge Berater des Papstes sind nicht davor gefeit, gelegentlich diskutable Äußerungen zu machen. Inzwischen hat Kardinal Maradiaga seinem Kollegen Müller einen honduranischen Poncho geschenkt! Nobody is perfect.

Gilt das auch für den Papst?

Brandmüller: Wie aus vielen seiner Äußerungen ersichtlich, verbindet der Heilige Vater Souveränität mit Selbstkritik. Das ist die beste Voraussetzung für eine kraftvolle Leitung der Kirche.

Wie beurteilen Sie die Forderung des Papstes nach mehr Kollegialität?

Brandmüller: Die Bischöfe der Kirche bilden mit und unter dem Papst eine Gemeinschaft. Dem entspricht Einmütigkeit im Denken und Gemeinsamkeit im Handeln – beides schließt Sonderwege des Einzelnen aus. So soll es in der Tat sein.

Der Fall Tebartz-van Elst bewegt viele Katholiken in Deutschland. Wie schätzen Sie die Lage ein? Kann der Bischof nach seiner Auszeit wieder zurück nach Limburg?

Brandmüller: Das wird der Heilige Vater zu entscheiden haben. Ich würde mir wünschen, sein Bleiben wäre möglich. Ich kenne ihn als feinen, vornehmen Charakter. Er ist ebenso gebildet wie fromm. Ein selbstloser Diener des Herrn. In allen Begegnungen habe ich nie ein böses Wort von ihm über seine Gegner gehört. Es wäre gut, wenn das von diesen verstanden würde.

Walter Brandmüller (85) ist deutscher Kirchenhistoriker und Kardinal, Priester des Erzbistums Bamberg und außerdem Domkapitular an der Patriarchalbasilika St. Peter im Vatikan. 1953 empfing Brandmüller die Priesterweihe. Er promovierte 1963 an der Universität München und habilitierte sich dort 1967 mit einer Abhandlung über das Konzil von Pavia-Siena. 1964 lehrte er als Professor in Dillingen und ab 1970 bis zu seiner Emeritierung 1997 als Ordinarius für Neuere und Mittelalterliche Kirchengeschichte an der Universität Augsburg. Von 1998 bis 2009 war Walter Brandmüller Präsident der Päpstlichen Kommission für Geschichtswissenschaft. Im Jahr 2010 empfing Brandmüller die Bischofsweihe und wurde von Papst Benedikt XVI. ins Kardinalskollegium aufgenommen. Foto: Daniel Karmann, dpa

 
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