Der Jubel war groß am Sonntagabend vor der Shwe-Dagon Pagode in Yangon, der größten Stadt von Myanmar (das früher Burma genannt wurde). Da war schon klar, dass die Oppositionspartei der charismatischen Nobelpreisgewinnerin Suu Kyi, die „National League for Democracy“ (NLD), diese historische Wahl gewonnen hat. Es war der erste demokratische Urnengang seit 50 Jahren.
Die Wahl 1990, in der Suu Kyi einen haushohen Sieg davongetragen hatte, war von der herrschenden Junta damals für ungültig erklärt worden. Volksaufstände gegen diese Entscheidung knüppelten die Militärs unter dem skrupellosen General Tan Shwe brutal nieder. Seither litten die Burmesen zunehmend unter einer Militär-Junta, die jede Form von demokratischer Opposition gnadenlos unterdrückte. Im damaligen Burma hielt sich kein Volk eine Armee, sondern eine Armee nahm ein ganzes Volk als Geisel. Ihren Höhepunkt hatte diese Entwicklung, als es im Jahr 2007 nach Demonstrationen zu Massenverhaftungen und -morden an Studenten und Mönchen durch die Militärs kam.
Und jetzt der neue Urnengang. Ein erster Dämpfer nach der jetzigen Wahl kam aus den USA. Außenminister John Kerry räumte zwar ein, dass sie ein „Testament“ des Opfermutes sei, den die burmesische Bevölkerung über die Jahre hin bewiesen hätte. „Dennoch stehen noch wichtige strukturelle und systemische Hindernisse im Weg bis hin zu einer wirklich demokratischen und zivilen Regierung.“ Die USA zeigen hier einmal mehr die Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche, mit der sie hoffen, Myanmar auf den Weg einer konsequenten Demokratisierung zu bringen: Das Zuckerbrot ist die Aufhebung von Sanktionen gegen das Land, die Peitsche deren Beibehaltung, sollten demokratische Reformen nicht geliefert werden.
Immerhin sind die Wahlen, die am Sonntag endeten, ein gutes Omen für eine Demokratisierung des Landes. Geschätzt 80 Prozent der Wahlberechtigten gingen zu den Urnen. Wenn es auch aus dem ganzen Land Hinweise auf Eingriffe von Militärs und Administration in die Wahlen gab, so sagten doch Wahlbeobachter wie der Deutsche Alexander Graf Lambsdorff, der Leiter der Wahlbeobachtungsgruppe der EU war, alles in allem seien es freie und faire Wahlen gewesen.
Allerdings: Den Militärs stehen laut Verfassung schon einmal 25 Prozent der Parlamentssitze zu. Und solange Hardliner im Hintergrund noch Einfluss haben, wird dies auch weiter ein Verbot für „The Lady“ Aung Sang Suu Kyi zur Folge haben, sich um das Präsidentenamt zu bewerben. Das stünde ihr ohne Zweifel zu, spielten die Junta-Generäle ein ehrliches Spiel.
Denn laut der neuen Verfassung von 2008, die die Militärs maßgeblich mitgestaltet haben, kann ein Kandidat, dessen Kinder eine andere als die burmesische Staatsbürgerschaft haben, nicht Präsident werden. Da beide Söhne der „Lady“ aber die englische Staatsbürgerschaft besitzen – ihr Vater war Brite –, ist Aung San Suu Kyi damit erst einmal aus dem Rennen. Doch die Politikerin, die 15 Jahre unter Hausarrest stand und der man beträchtliches Selbstbewusstsein nicht absprechen kann, sagt in schöner Offenheit: „Ich bin über dem Präsidenten.“ Sprich: Auch ohne dass sie selbst das Amt innehat, kann ein Kandidat nur erfolgreich sein, wenn er ihre volle Unterstützung genießt. Und sie fügte auch gleich hinzu, sie habe schon Pläne gemacht, wobei sie offenließ, welcher Art die sind.
Präsident von Suu Kyis Gnaden
Das hält die Gerüchteküche am Brodeln. Klar ist, dass die 70-Jährige einen Kandidaten will, der die Änderung der Verfassung vorantreibt, um ihr letztlich den Weg zur Präsidentschaft zu ebnen. Da sie weiter nichts verlautbaren ließ, weiß derzeit niemand, wer diese Position übernehmen wird – mit ihrem Segen.
Zwei Machtfaktoren, mit denen bei der Beurteilung der Lage in Myanmar unbedingt zu rechnen ist, sind einmal der Chef der Junta, Thein Sein und die Ma Ba Ta, die Mönche und Nonnen Myanmars, die enormen Einfluss haben. Thein Sein gilt als ein ruhiger Reformer, der über die Jahre hinweg – anders als sein polternder Vorgänger Tan Shwe – eine gute Arbeitsbeziehung zu Aung San Suu Kyi aufgebaut hat. Er ist ein berechenbarer Faktor im Machtspiel, das diesen Wahlen folgen wird.
Weniger kalkulierbar ist die Ma Ba Ta, die Mönchsvereinigung des Landes. Sie warnt lauthals „vor der Invasion“ Myanmars durch die muslimische Volksgruppe der Rohingyas. Tausende Muslime verließen das Land nach gewalttätigen Ausschreitungen, die von der Ma Ba Ta zumindest inspiriert wurden. Die Mönche, so deren Selbstverständnis, sprechen nicht nur für die Bamar, die größte ethnische Gruppe Myanmars, sondern auch für die kleineren Ethnien, wie die Shan und Kachin im Nordosten und Norden des Landes und entfalten einen zunehmend gewalttätigen Nationalismus.
Da die Mönche in die Zehntausende gehen und integraler Bestandteil des religiösen Lebens von Myanmar sind, hat ihr Wort Gewicht. Sich mit ihnen anzulegen wagte selbst „the Lady“ nicht; sie hielt sich auch in der Frage der verfolgten Rohingyas auffällig zurück.
Vor Myanmar und Aung San Suu Kyi liegt noch ein langer, dorniger Weg. Gehen ihn die Hauptakteure so stetig und unbeirrt weiter wie bisher, könnte am Ende tatsächlich eine Demokratie stehen, die diesen Namen verdient. Den Burmesen, die Jahrzehnte unter der Junta gelitten haben, wäre es zu wünschen.