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Die Wahl - Jungbrunnen für die Demokratie
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 21.09.2017 03:30 Uhr

Schon in Normalzeiten ist im Berliner Szene- und Partybezirk Kreuzberg-Friedrichshain alles anders als anderswo, man gibt sich frei und unangepasst, hip und kreativ. Das gilt erst recht für Wahlzeiten. Seit 2002 gewann Hans-Christian Ströbele von den Grünen den Wahlkreis vier Mal in Folge und zog als erster und bislang einziger direkt gewählter Abgeordneter der Öko-Partei in den Bundestag ein. In der links-alternativen Hochburg hatte er ein Heimspiel. Nun scheidet er aus dem Bundestag aus – und 18 Kandidatinnen und Kandidaten, darunter sieben ohne Parteibuch, wollen seine Nachfolge antreten.

Ein Rekord. Nirgendwo in Deutschland bewerben sich mehr Frauen und Männer um ein Bundestagsmandat. Und der Wahlbezirk Kreuzberg-Friedrichshain ist keine Ausnahme. Die Wahl am 24. September setzt nicht für möglich gehaltene Energien frei. 4828 Frauen und Männer zwischen 18 und 91 Jahren wollen in den Bundestag, nur 1998 waren es mehr. 42 Parteien nehmen an der Wahl teil, so viele wie seit 1990 nicht. Davon sind 16 Neugründungen wie das „Bündnis Grundeinkommen“, die „Magdeburger Gartenpartei“ oder die „Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer“.

Toll, dass Menschen sich für Politik engagieren

Von wegen politikverdrossen! Die Wahl wirkt, auch wenn am Ende die Etablierten wieder unter sich bleiben werden, wie ein Jungbrunnen für die Demokratie. Denn die nüchternen Zahlen verbergen, wie viel ehrenamtliches Engagement hinter diesen Kandidaturen steckt. Viele tausend Menschen opfern Zeit, Geld und Kraft, obwohl sie wissen, dass sie am Ende keine Chance haben. Doch sie haben ein Anliegen, für das zu kämpfen sie lohnend finden.

Das wiederum stärkt die freiheitlich-demokratische Grundordnung, weil jede Wahl auch einen Modernisierungsschub bedeutet. Neue Ideen verändern das Land. Und im Gegensatz zu Ländern wie Russland oder der Türkei muss niemand in Deutschland, der eine Partei gründet und somit offen die Mächtigen herausfordert, befürchten, auf offener Straße erschossen zu werden oder als Staatsfeind auf Nimmerwiedersehen in einem Gefängnis zu landen. Im Gegenteil, die freie, geheime, allgemeine Wahl, wie sie im Grundgesetz verankert ist, ist und bleibt das Hochamt der Demokratie. Nur statische Gesellschaften und autoritäre Regime haben Angst vor Wahlen – und vor dem Wähler!

Es kommt tatsächlich auf jede Stimme an

Der Wettbewerb um jede Stimme treibt auch die Wahlbeteiligung nach oben. So viele Auslandsdeutsche wie noch nie haben sich in die Wahllisten eintragen lassen, auch bei den Briefwählern liegt ein neuer Rekord in der Luft. Das ist nicht ganz neu, schon bei den letzten acht Landtagswahlen gingen jeweils mehr Menschen an die Urne als zuvor. Die Einsicht ist gewachsen, auch mit Blick auf Entscheidungen wie den Brexit: Es kommt tatsächlich auf jede einzelne Stimme an, keine Stimme ist verloren. Wer nicht wählt, stärkt eben den anderen, ein „Like“ auf Facebook reicht nicht aus.

So könnte die Wahl am 24. September eine Trendwende bedeuten: Die Strategie Merkels in der Vergangenheit, den politischen Gegner einzulullen und dessen Sympathisanten von der Wahl abzuhalten, funktioniert nicht mehr. Der Union ist als Folge der Flüchtlingskrise mit der AfD ein Konkurrent im eigenen Lager erwachsen, der im bürgerlich-konservativen Lager sehr erfolgreich auf Stimmenfang geht. Der auch bisherige Nichtwähler mobilisiert. Der aber auch der Linken gefährlich wird, weil er vor allem in den neuen Ländern die Protestwähler jeder Couleur auf sich vereinigt.

Und so erleben wir einen Weckruf für alle etablierten Parteien: Weil die Wähler so mobil und unberechenbar sind wie nie, müssen auch sie ihre Basis mobilisieren. Die Konkurrenz belebt das Geschäft. Weshalb schon vor der Wahl der eigentliche Gewinner feststeht: Demo- kratie.

 
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