zurück
Die „Spinner“ waren die Realisten
old
 |  aktualisiert: 07.11.2014 18:59 Uhr

Als deutschlandpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion war Eduard Lintner (Lkr. Bad Kissingen) hautnah dran am Geschehen zwischen den beiden deutschen Staaten. Nach dem Mauerfall wurde der Politiker, der 33 Jahre dem Deutschen Bundestag angehörte, als parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium Mitglied der Bundesregierung. Im Gespräch mit dieser Zeitung erinnert der heute 70-Jährige sich an die bewegende Zeit der Wende.

Frage: Stimmt es, dass Sie am 9. November 1989 gar nicht in Deutschland waren?

Eduard Lintner: Das stimmt leider. Da war ich gerade auf Einladung der Hanns-Seidel-Stiftung in Südkorea, um in der Hauptstadt Seoul ein Referat zum Thema Wiedevereinigung zu halten. Aufgrund der Zeitverschiebung habe ich erst am frühen Morgen danach davon erfahren.

Als Vorsitzender der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, kurz deutschlandpolitischer Sprecher genannt, waren Sie während des Kalten Krieges ganz nah dran am Thema. Wie waren Ihre Erfahrungen?

Lintner: Damals gab es eine zunehmende Auseinandersetzung in Deutschland über den richtigen Kurs. Es gab Kräfte wie etwa die „Zeit“-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, die dafür plädierten, sich mit der Teilung abzufinden und die DDR als Staat anzuerkennen – trotz des im Grundgesetz verankerten Wiedervereinigungsanspruchs. Wir von der CDU/CSU sind aber immer deutlich für die Wiedervereinigung eingetreten. Deswegen wurden wir bei unseren Besuchen in der DDR auch von der Stasi unter dem Stichwort „Spinner“ geführt. In Wahrheit hat sich aber eindrucksvoll herausgestellt, dass wir die Realisten waren.

Gab es vor dem Mauerfall Gesprächspartner in der DDR, die die Situation realistisch eingeschätzt haben?

Lintner: Als Arbeitsgruppe hatten wir jedes Jahr eine offizielle Reise in die DDR unternommen. Da wurden wir von der Stasi demonstrativ offen beobachtet, um Kontakte zur Bevölkerung zu unterbinden. Einmal wurde sogar für eine Fahrt von Rostock nach Travemünde ein eigenes Schiff gechartert, auf dem sonst niemand mitgefahren ist. Wir hatten aber auch Kontakte zu Regimegegnern wie zu dem evangelischen Pfarrer Rainer Eppelmann. Nach einem Treffen in Ostberlin im ersten Halbjahr 1989 habe ich dem ZDF ein Interview gegeben, in dem ich das antidemokratische Regime in der DDR und die Menschenrechtssituation kritisiert habe. Daraufhin wurde ich mit einem dreimonatigen Einreiseverbot belegt.

Welches Erlebnis hat Sie besonders berührt?

Lintner: Nach der Grenzöffnung habe ich die erste Gelegenheit genutzt, um nach Meiningen zu fahren. Die endlose Trabi-Schlange und die zu Tränen rührende Begeisterung haben mich tief beeindruckt. Und auch die Erkenntnis, dass die Kraft, die hinter der Sehnsucht nach Freiheit und Einheit stand, noch viel tiefer war, als ich vermutet hatte. Das sage ich auch meinen Gesprächspartnern in Südkorea. Wenn sich die Grenze öffnen würde zwischen Süd- und Nordkorea, dann könnte niemand mehr eine Vereinigung verhindern. Die würde dann einfach stattfinden, so wie in Deutschland.

25 Jahre nach dem Mauerfall wird aller Voraussicht nach in Thüringen der erste linke Ministerpräsident gewählt. Was sagen Sie dazu?

Lintner: Das ist eine fatale Entscheidung. Ich kann Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Kritik nur zustimmen. Er hat auch das Recht, das zu sagen. Noch sind ja maßgebliche Personen vorhanden, die an der Unterdrückung in der DDR beteiligt waren. Bodo Ramelow ist ein Ehrgeizling, der die Unterstützung auch dieser Leute braucht. Ob sie so jemanden sehenden Auges in das Amt des Ministerpräsidenten hieven will, sollte sich die SPD sehr gut überlegen.

Sie sind jetzt 70 geworden und sind immer noch politisch aktiv.

Lintner: Aus meiner Zeit im Europarat her habe ich gute Kontakte zu Aserbaidschan. Ich versuche, die Anliegen und Interessen des Staates zu unterstützen, soweit ich sie vertreten kann. Dort ist man dabei, für die Bevölkerung zunehmend Wohlstand zu schaffen, die jungen Leute orientieren sich sehr am Westen. Außerdem ist das Land mit einem Bevölkerungsanteil von 95 Prozent Moslems ein Musterbeispiel an Toleranz gegenüber Andersgläubigen. In Sachen Menschenrechten muss man dem Land Zeit geben. Demokratie lässt sich nicht einfach mit einem Hebel einschalten. Im Westen ist man da zu ungeduldig. Gut 2000 Beobachter haben bei den letzten Wahlen keine groben Verstöße entdeckt. Trotzdem wurde in den Zeitungen bei uns von großen Wahlmanipulationen geschrieben. Foto: Michael Petzold

Eduard Lintner wurde 1944 in Marktlangendorf im Sudetenland geboren. Heute lebt der studierte Jurist mit seiner Frau Alrun in Münnerstadt (Lkr. Bad Kissingen). Politisch aktiv ist er seit 1969 – damals für die Junge Union. Seit 1982 war er „Obmann“ der CSU/ CSU-Bundestagsfraktion im „Innerdeutschen Ausschuss“. Nach der Deutschen Einheit holte Bundeskanzler Helmut Kohl Eduard Lintner als Staatssekretär ins Innenministerium (1991 bis 1998).

„Es gab Kräfte, die dafür plädierten, sich mit der Teilung abzufinden.“
Eduard Lintner, CSU-Politiker
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bad Neustadt
Bodo Ramelow
CDU/CSU-Bundestagsfraktion
CSU
DDR
Deutscher Bundestag
Eduard Lintner
Europarat
Evangelische Kirche
Hanns-Seidel-Stiftung
Helmut Kohl
Innenministerien
Joachim Gauck
Junge Union
Marion Hedda Ilse Gräfin Dönhoff
Mauerfall
Ministerium für Staatssicherheit
Parlamente und Volksvertretungen
Rainer Eppelmann
Regierungseinrichtungen der Bundesrepublik Deutschland
SPD
ZDF
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top