Der schwarze Blues klingt schwermütig, erdig. Häufig handeln die Texte von Diskriminierung, Verrat, Verbrechen, Resignation, unerwiderter Liebe. Von Arbeitslosigkeit, Hunger, finanzieller Not. Von Heimweh, Einsamkeit und Untreue. Es scheint, als wäre diese Beschreibung eine Blaupause für den roten Blues dieser Tage. Angesichts jüngster Umfragewerte, die die SPD bereits unter 20 Prozent bundesweit sieht, ist die Stimmung bei vielen Ortsvereinen von Frustration und Zorn geprägt.
Vor allem die alten, treuen Kämpen der einst so stolzen Partei von Ferdinand Lassalle, Otto Wels und Willy Brandt blicken fassungslos und verzweifelt auf den scheinbar unaufhaltsamen Abstieg der SPD und den unfasslichen Erfolg der AfD, die sich als soziale Protestpartei geriert, in allen politischen Lagern wildert und viele der Nichtwähler anlockt. Doch im Meer aus Traurigkeit und Zorn gibt es einzelne Inseln der Hoffnung, wie eine Umfrage unter Unterfrankens Genossen zeigt.
Fangen wir mit den Zahlen an. Die SPD Unterfranken gliedert sich in sechs Unterbezirke mit insgesamt 258 Ortsvereinen. Die schriftliche Anfrage bei zwei Unterbezirken zur aktuellen Gesamtzahl der Mitglieder im Regierungsbezirk verläuft erfolglos. Die Zahlen aus dem Landkreis Kitzingen ermittelte diese Redaktion bereits im März: 373 Genossen sind es dort heute noch, zur Jahrtausendwende gab es deren 642 im „Weinlandkreis“. Die Austritte in der „Schröder-Ära“ sind ein Grund, die Überalterung und das – Pardon – Hinwegsterben der Mitglieder der wohl bedeutendere. Letzteres ist natürlich kein Alleinstellungsmerkmal der Sozialdemokraten.
Bleiben wir noch einen Moment bei der Regierung von Gerhard „Gerd“ Schröder. Sie war für die Agenda 2010, die Hartz-Gesetzgebung und die Rentenkürzungen verantwortlich. Natürlich waren die tiefen Einschnitte ins soziale Netz nicht allein das „Verdienst“ des Kanzlers, schließlich regierten die Sozis mit den Grünen Seit' an Seit'.
Aber der Zorn vieler treuer Sozialdemokraten über die Politik unter Kanzler Schröder wird mit jedem Wahldesaster, jeder katastrophalen Wahlumfrage erneut anschwellen. „Bis tief in unsere Wählerschichten hinein haben Menschen das Urvertrauen in die Sozialdemokratie verloren“, sagt ein „Urgestein“ der Main-Spessart-SPD, der langjährige Bundestagsabgeordnete Uwe Lambinus aus Marktheidenfeld. Die Partei müsse sich endlich zu ihren Fehlern bekennen, fordert er und formuliert dann drastisch: „Wir müssen uns hinstellen und sagen, das war Sch..... Und jetzt machen wir wieder sozialdemokratische Politik.“
Nur was ist sozialdemokratische Politik? „Die SPD muss näher an die Arbeitnehmer-Basis ran“ fordert Gemündens Ehrenbürger Hubert Schuster, Träger der Willy-Brandt-Medaille, einer selten vergebenen Auszeichnung der SPD. Die Partei solle sich wieder mehr um die kümmern, die hart arbeiten und ihren Lebensunterhalt trotzdem kaum bestreiten können, fordert Schuster und sagt trotzig: „Das muss auch in einer globalisierten Welt möglich sein.“ Schuster fordert Veränderungen auch beim Spitzenpersonal. Sigmar Gabriel hält der Gemündener für einen ganz schwachen Vorsitzenden. Warum? Weil er sich in der Bundesregierung „zu selten“ durchsetzen könne. Und weil er zu industriefreundlich sei.
Die „bedingungslose“ Unterstützung von Kanzlerin Angela Merkel hält auch Robert Finster für falsch, Ex-Vorsitzender im Landkreis Kitzingen und Chef der SPD-Kreistagsfraktion. Sigmar Gabriel ist ihm „zu loyal“. Trotz der „unheimlich schwierigen Lage“ denkt Finster nicht ans aufgeben. Der Blick auf die AfD zeigt ihm, dass „man um Demokratie jeden Tag kämpfen muss“. Finster sieht aber keinesfalls nur schwarz. „Wir haben gute Perspektiven für einen Generationswechsel.“
Das sieht auch Ralf Hofmann so, der SPD-Unterbezirksvorsitzende Schweinfurt/Kitzingen. „Die SPD ist wie der Club (1. FC Nürnberg). Wenn man eintritt hat man Hoffnung, und die gibt man niemals auf.“ Hofmann berichtet von „signifikant“ mehr Parteieintritten an der Basis. In den letzten Wochen habe die Schweinfurter SPD rund 20 neue Mitglieder bekommen, in Schwebheim gebe es zehn neue Genossen.
„Hier wird gut gearbeitet“, sagt Hofmann, er und Thomas End vom Kreisverband Schweinfurt-Stadt loben die Diskussionsfreude in den Arbeitskreisen und das „Wertefundament“ der Sozialdemokraten. Die SPD kann auch wieder Zulauf haben, hoffen sie mit Blick auf die Erfolge der Labour-Partei in Großbritannien und des US-Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders. „Das Grundgefühl des Menschen ist, dass es gerecht zugeht, und das ist zeitlos“, sagt Hofmann.
Was ist gerecht? Anfang des Monates redete der Wirtschaftsprofessor Peter Bofinger den Würzburger Genossen bei deren Stadtparteitag ins Gewissen. Die Partei müsse die soziale Schieflage im Land stärker in den Blick nehmen. Nur durch „Wohlstand für alle“ – Titel eines Buches des CDU-Wirtschaftsministers Ludwig Erhard – könne die Demokratie auf Dauer erfolgreich sein, so Bofinger. Reiche Menschen müssten etwas mehr abgeben als bisher, damit die durch die Globalisierung benachteiligten Einkommensschichten begünstigt werden. Bofinger sprach sich dafür aus, die Löhne ein paar Jahre stärker steigen zu lassen als bisher.“ Viel Hoffnung hat er offenbar nicht. Den meisten Gewerkschaftern fehle der Mumm zur Durchsetzung, und führende SPD-Politiker würden sich lieber mit dem Freihandelsabkommen TTIP beschäftigen statt mit solchen, originär sozialdemokratischen Themen, kritisierte Bofinger.
Auch Hans Werner Loew, ehemaliger Landtagsabgeordneter und langjähriger Fraktionsvorsitzender der SPD im Stadtrat Würzburg, will Fragen zur sozialen Gerechtigkeit einen höheren Stellenwert verschaffen. Loew spürt nämlich „ein wachsendes Gefühl in der Bevölkerung, dass die Politik auch in Europa nicht mehr hinreichend Kraft und Fähigkeit hat, sich gegen die wachsende Macht globaler Strukturen so durchzusetzen, dass die erforderlichen Maßnahmen insbesondere in der Umwelt- und Sozialpolitik umgesetzt werden können.“ Ein wunderbarer Satz, den sich junge, begeisterungsfähige Sozialdemokraten merken sollten. Loew: „Von denen gibt es nach wie vor eine ausreichende Anzahl.“
Wirklich? Die Situation an der Basis sei „sehr depressiv“, sagt Walter Hörnig, der Ortsvereinsvorsitzende von Wertheim. Das mag daran liegen, dass die Stadt in Baden-Württemberg liegt, wo die Sozialdemokraten bei der Landtagswahl im März eben mal „halbiert“ worden sind. Für Hörnig ist die krachende Niederlage nur logisch. Früher, sagt Hörnig, habe die SPD mal als die Partei für den kleinen Mann gegolten, heute kämpfe sie mit der Union um die Wähler der Mitte.
„Die Rente gehört auf eine ganz andere Basis gestellt“, poltert Hörnig. Und sieht in der Leiharbeit und der Erbschaftssteuer weitere „Probleme, die jetzt gelöst werden müssen“. Und dann nimmt Hörnig noch die „hohen Herren“ in der SPD ins Visier, will sie vom hohen Ross runter in die Ortsvereine holen. Hörnigs letzter Appell: „Genossen, unterhaltet euch mit den Leuten.“
Für die SPD tun sich somit mMn folgende Alternativen auf:
- sie macht "weiter so!". Dann kann sie bald mit der Union (oder gar der FDP) fusionieren - denn die angepeilten Wähler sind die gleichen;
- sie besinnt sich auf ihre Wurzeln. Dann muss(!) sie von den Linken mitnehmen wen sie irgend (verantworten) kann und (Seit' an Seit' mit den Gewerkschaften) engagiert/ glaubwürdig(!) für die Belange der "normalen" abhängig Beschäftigten streiten(!), damit's auch wieder mit den Prozenten klappt;
- sie kann sich von der Politik verabschieden und selber auflösen.
Evtl. auch noch mehr, aber vermutlich eher nichts Gutes.
(So. Was tun sprach Zeus...)