zurück
„Die rot-grüne Zeit war viel besser“
Das Gespräch führte Hagen Strauss
 |  aktualisiert: 02.01.2012 18:56 Uhr

Franz Müntefering hat Sehnsucht – nach Rot-Grün. Der ehemalige SPD-Chef und Vizekanzler sitzt seit der Bundestagswahl 2009 in den hinteren Reihen des Parlaments. Im Gespräch mit unserer Zeitung verrät Müntefering, warum er sich so selten einmischt und was er von Angela Merkel hält.

Frage: Herr Müntefering, Sie sitzen in den hinteren Reihen des Parlaments. Das nervt, oder?

Franz Müntefering: Nein. Ich sitz da gut. Ich bin auch an vielen Dingen in der Fraktion nach wie vor beteiligt. Aber es ist gut, jetzt wieder ein bisschen mehr Zeit für sich selbst und das eigene Leben zu haben.

Opposition ist aber Mist. Das stammt von ihnen.

Müntefering: Opposition ist ja kein neues Erlebnis für mich. Als wir 1982/83 aus der Regierung fielen, habe ich diese Erfahrung auch schon gemacht. Aber wahr ist, wenn man regiert, kann man mehr für die Menschen tun.

Ist Ihnen der Abschied von der Macht schwergefallen?

Müntefering: Nein. Wenn man politische Funktionen hat, kann das jeden Tag passieren. Ich habe sowieso ein Auf und Ab in meinen Ämtern erlebt, und als wir die Wahl verloren haben 2009, war mir klar, dass ich jetzt an anderer Stelle mithelfen muss.

Es gibt Altvordere, die sich lautstark einmischen. Helmut Schmidt ist dafür wohl das beste Beispiel. Wieso halten Sie sich so zurück?

Müntefering: Das mache ich ganz gezielt. Es ist Unsinn, wenn man aus Funktionen ausscheidet und gleich Ratschläge gibt. Das klingt anders, als wenn das jemand tut, der schon 20 oder 30 Jahre raus ist. Wenn ich mal 93 bin, kann ich aber nicht mehr versprechen, dass ich mich noch raushalte. Und nebenbei: Ich rauche zurzeit nicht. Aber das kann sich wieder ändern.

Warum kümmern Sie sich in der SPD-Fraktion ausgerechnet um den demografischen Wandel?

Müntefering: Das ist eine wichtige gesellschaftliche Veränderung, die wir gerade erleben in Deutschland. Kinder, die nicht geboren werden, werden nie Kinder haben. Das ist ganz einfach. Politik ist klug und auch nur gut, wenn sie das Miteinander der Generationen neu organisiert. Dabei will ich mithelfen.

Hat die SPD in ihrer Regierungszeit zu wenig auf das Problem reagiert?

Müntefering: Die Rentenreformen, die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mehr Kita- und Krippenplätze, das sind die Dinge gewesen, die wir aus der Entwicklung abgeleitet haben. Mir ist wichtig, dass wir auch begreifen, dass unsere Kommunen gestärkt werden müssen für die alternde Gesellschaft. Die Soziale Gesellschaft vor Ort wird noch wichtiger. Dafür brauchen wir eine neue Strategie. An der arbeite ich mit.

Die Rente mit 67 war eine Reaktion auf den demografischen Wandel. Bedauern Sie, dass Ihre Partei sich davon distanziert?

Müntefering: Das war eine wirklich zielführende Entscheidung, die wir damals getroffen haben. Ich bedauere, dass meine Partei, aber auch die Gewerkschaften und die Unternehmen, damit nicht offensiver und positiver umgehen. Das ist falsch.

Eine Art Wandel erleben wir auch in der Parteienlandschaft. Wie bewerten Sie das Phänomen der Piraten?

Müntefering: Unbefangen verfolge ich mit Interesse, was sie tun. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Piraten in absehbarer Zeit Verantwortung für das Ganze tragen können. So wie die Volksparteien.

Wie steht es denn um Ihre Internetfähigkeiten? Surfen Sie selbst?

Müntefering: Das mache ich nicht. Ich habe ein Handy, schreibe SMS. Ansonsten bin ich persönlich mit Büchern und Zeitungen, Funk und TV gut versorgt. Gespräche sind wichtig, Papier und Schreibmaschine.

Apropos SMS, haben Sie noch Kontakt zur Kanzlerin, die ja gerne simst?

Müntefering: Nein.

Das bedauern Sie auch nicht?

Müntefering: Die hat genug zu tun, was soll sie da noch mit mir twittern oder so.

Haben Sie denn Mitleid mit ihr, wenn Sie den Zustand der schwarz-gelben Koalition sehen?

Müntefering: Nein, habe ich nicht. Der Zustand der schwarz-gelben Koalition ist selbst verschuldet. Mit Frau Merkel weiß man nicht, wo man landet. Die rot-grüne Zeit war viel besser. Auch die Große Koalition war besser, wenn man sie mit dem vergleicht, was wir derzeit erleben.

Sehnsucht?

Müntefering: Nur nach Rot-Grün.

Sie sind ja bekannt für kurze Sätze. Was fällt Ihnen denn Kurzes zur FDP ein?

Müntefering: (Betretenes Schweigen) Das war es für die FDP.

Und zu SPD-Kanzlerkandidaten?

Müntefering: Das wird die Partei 2013 entscheiden.

Franz Müntefering

Der SPD-Politiker Franz Müntefering, geboren am 16. Januar 1940 in Neheim, war von März 2004 bis November 2005 und von Oktober 2008 bis November 2009 Bundesvorsitzender seiner Partei. Er ist Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Von 1998 bis 1999 war Müntefering Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, von 2002 bis 2005 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Von 2005 bis 2007 war Müntefering Vizekanzler und Bundesminister für Arbeit und Soziales im Kabinett von Angela Merkel. Er ist seit dem 12. Dezember 2009 mit der SPD-Lokalpolitikerin Michelle Müntefering verheiratet. Müntefering war zuvor zweimal verheiratet, in zweiter Ehe seit 1995 mit Ankepetra Rettich. Ihr Krebsleiden, dem sie am 31. Juli 2008 erlag, war die Ursache für Münteferings Rücktritt als Bundesminister und Vizekanzler. FOTO: dpa

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bundeskanzler der BRD
Bundeskanzlerin Angela Merkel
Demographie
Deutscher Bundestag
FDP
Franz Müntefering
Große Koalition
Heiraten
Helmut Schmidt
Michelle Müntefering
Piratenpartei
Rentenreformen
SMS
SPD
SPD-Bundestagsfraktion
SPD-Fraktion
Twitter
Wahlen zum Deutschen Bundestag
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top