Eigentlich galt das Verteidigungsministerium als vergeben. Der bisherige Amtsinhaber Thomas de Maiziere schien für weitere vier Jahre auf einem der schwierigsten Posten des Kabinetts gesetzt zu sein. „Ich habe so viel gesät – jetzt möchte ich mal ernten“, hatte der CDU-Politiker selbst in Anspielung auf die von ihm konzipierte Bundeswehrreform gesagt, bei der sich die erwarteten positiven Effekte noch nicht eingestellt haben.
Jetzt wird den Job jemand anderes fortführen. De Maizieres Parteifreundin Ursula von der Leyen soll vom Arbeits- ins Verteidigungsministerium wechseln. Es ist das erste Mal, dass eine Frau die Befehlsgewalt über die Bundeswehr erhält. Und es ist die große Sensation der Regierungsbildung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kann die Personalie als Zeichen der Modernität ihrer Partei verkaufen. Und von der Leyen kann doch noch als Gewinnerin aus der Regierungsbildung hervorgehen – nachdem lange Zeit darüber spekuliert wurde, dass sie ins Gesundheitsministerium „abgeschoben“ wird.
Vor allem die internationalen Aspekte des Jobs dürften der 55-Jährigen gefallen. Die Mutter von sieben Kindern lebte lange Zeit im Ausland. Einen Großteil der Kindheit verbrachte sie in Brüssel, wo ihr Vater, der spätere niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (ebenfalls CDU), bei der damaligen EG-Kommission arbeitete. 1977 ging sie nach dem Abitur (Durchschnittsnote: 0,7) für ein Jahr an die London School of Economics. Nach Medizinstudium, Heirat, Doktortitel und Geburt der ersten Kinder zog von der Leyen zusammen mit ihrem Mann Heiko für fünf Jahre nach Kalifornien. Beide waren an der Stanford Universität tätig.
In der Bundesregierung war von der Leyen bisher als Familienministerin für den Kita-Ausbau und als Arbeitsministerin für Hartz IV zuständig. Nun soll sie Chefin von 185 000 Soldaten und 70 000 Zivilbeschäftigten werden und verantwortlich für einen Etat von 33,3 Milliarden Euro sein. Bei internationalen Verteidigungsministertreffen wird sie als Frau nicht ganz alleine sein. In den Niederlanden gibt es beispielsweise eine Kollegin, und Schweden hat mit Karin Enström sogar eine Verteidigungsministerin, die eine Offizierslaufbahn hinter sich hat.
Ob sich der Bendlerblock für von der Leyen als Sprungbrett für die weitere Karriere eignet, ist allerdings noch fraglich. Zum dritten Mal hintereinander zieht jemand mit Chancen auf das Kanzleramt in das Ministerium ein. Vor vier Jahren wechselte Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach der Bundestagswahl vom Wirtschafts- in das Verteidigungsministerium und avancierte innerhalb kürzester Zeit zum Superstar des zweiten Kabinetts Merkel. Die Plagiats-Affäre um seine Doktorarbeit ließ ihn dann allerdings noch schneller abstürzen als er aufgestiegen war.
Nach seinem Rücktritt übernahm de Maiziere die Truppe. Auch er blieb aber nur bis zur Affäre um die Skandal-Drohne „Euro Hawk“ eine der wichtigsten Stützen der Regierung und einer der beliebtesten Politiker.
Von der Leyen ist als Verteidigungsministerin eine ähnliche Medienaufmerksamkeit sicher wie Guttenberg. Sie hat alle Chancen, sich weiter für höhere Würden zu profilieren. Das Amt birgt aber auch erhebliche Risiken. Die Liste der Rücktritte von Verteidigungsministern ist lang. Sie reicht von Franz Josef Strauß über Rudolf Scharping bis zu Guttenberg.
Allerdings könnte von der Leyen den Rüstungssektor wohl eher in den Griff bekommen, als der durch die Drohnen-Affäre belastete de Maiziere. Es gibt aber auch noch weitere Baustellen: Der Frust in der Truppe über die Bundeswehrreform ist groß, der künftige Afghanistan-Einsatz muss organisiert werden. Und dann gibt es da noch eine Aufgabe, für die von der Leyen prädestiniert ist: Der Anteil der Frauen der Bundeswehr liegt mit rund zehn Prozent noch weit unter der Zielgröße von 15 Prozent.
Verteidigungsministerinnen
Weltweit gibt es schon seit Jahrzehnten Frauen an der Spitze von Streitkräften. Eine der Ersten war Indira Gandhi. Als indische Premierministerin rief sie 1975 den nationalen Ausnahmezustand aus und eignete sich mehrere Ministerien an, darunter auch das der Verteidigung. Als Benazir Bhutto ab 1988 in Pakistan die Regierungsgeschäfte übernahm, unterstand ihr auch das Verteidigungsministerium. Gleiches gilt für die erste Regierungschefin der Welt, Sirimavo Bandaranaike aus Sri Lanka. Sie war ab 1960 auch Verteidigungs- und Außenministerin. In Europa drangen die Frauen erst später in die Männerdomäne vor. Vor allem in den skandinavischen Ländern gab es seit 1990 eine ganze Reihe Verteidigungsministerinnen. So waren vier der fünf norwegischen Ressortchefs seit 2001 Frauen. Schweden hat mit Karin Enström seit 2012 eine Ministerin, die zuvor schon eine Offizierslaufbahn bei der Marine hinter sich gebracht hat. Aktuell wird auch das niederländische Verteidigungsministerium von einer Frau geführt: von der 40-jährigen Jeanine Hennis-Plasschaert. Die bisher schillerndste Verteidigungsministerin war die spanische Sozialistin Carme Chacón von 2008 bis 2011. Nur wenige Tage nach ihrer Ernennung reiste die damals 37-Jährige im siebten Monat schwanger zum Truppenbesuch nach Afghanistan. Von 16 Wochen Mutterschutz nahm sie nicht einmal die Hälfte und löste nach ihrer Rückkehr in den Dienst die gesamte Spitze der Streitkräfte ab. Chacón wurde zwischenzeitlich sogar als mögliche Regierungschefin gehandelt. In Frankreich war von 2002 bis 2007 Michele Alliot-Marie erste Verteidigungsministerin. Die konservative Politikerin verschaffte sich schnell Respekt in der Männerdomäne und besuchte die Soldaten häufig in Uniform an ihren Einsatzorten. In Lateinamerika hatten alle Länder außer Peru, Brasilien und Guyana, wo es das Amt nicht gibt, schon Verteidigungsministerinnen. Zurzeit amtieren Frauen in Ecuador, Venezuela und Nicaragua. In Südafrika ist seit Juni 2012 Nosiviwe Mapisa-Nqakula bereits die zweite Verteidigungsministerin. Die Lehrerin absolvierte in den 1980er Jahren als Mitglied des ANC für den Kampf gegen das rassistische Apartheidsystem eine militärische Ausbildung in Angola und der Sowjetunion. dpa