Viel hat sich angestaut, der Entscheidungsbedarf ist groß. Seit März haben sich die Spitzen der schwarz-gelben Koalition nicht mehr getroffen, obwohl sie eigentlich vereinbart hatten, in jeder Sitzungswoche zusammenzukommen, um die anstehenden Fragen zu klären. Nun aber ist es wieder so weit: Am Sonntag um 18 Uhr versammeln sich die Partei- und Fraktionschefs sowie die Generalsekretäre von CDU, CSU und FDP im Kanzleramt, um zehn Monate vor der Bundestagswahl ein ganzes Bündel an Vorhaben abzuarbeiten und ein großes Paket zu schnüren.
Aber schon die Terminfindung war alles andere als einfach. Am frühen Sonntagmorgen erst kommt FDP-Chef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler von einer mehrtägigen Reise nach Indien zurück, im Laufe des Sonntags fliegt Finanzminister Wolfgang Schäuble nach Mexiko, wo er sich mit seinen Amtskollegen und den Notenbankchefs der G-20-Länder trifft.
Schäuble wollte eigentlich unbedingt am Koalitionsgipfel teilnehmen, da eine Reihe von haushaltsrelevanten Entscheidungen mit Ausgaben in Milliardenhöhe getroffen werden soll, gleichzeitig sah er aber auch keine Chance, seinen Flug nach Mexiko zu verschieben, da auch das G-20-Treffen von großer Bedeutung ist. Nun findet der Koalitionsausschuss ohne ihn statt, er soll aber, versichern die schwarz-gelben Unterhändler, ständig erreichbar sein und sich notfalls per Telefon in die Verhandlungen einschalten.
Die Liste der Themen ist lang – und vieles ist weiterhin zwischen Union und Liberalen umstritten. FDP-Chef Philipp Rösler sorgte am vorigen Wochenende für zusätzliche atmosphärische Störungen, als er in einem Zeitungsinterview zentrale Forderungen der Union kategorisch ablehnte und ankündigte, der Haushaltskonsolidierung Vorrang einräumen zu wollen. Hinter den Kulissen sind die Emissäre unter Leitung von Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) seit Tagen dabei, an Kompromissen zu feilen, damit die Partei- und Fraktionschefs am Sonntagabend nicht mit leeren Händen dastehen. Vehement wird in den Fraktionen bestritten, dass es einen „Kuhhandel“ nach dem Motto „Betreuungsgeld gegen Praxisgebühr“ geben wird, gleichwohl gehen Beobachter von einer sogenannten Paketlösung mit einem Ausgleich der Interessen aller Beteiligten aus, damit die Chefs von CDU, CSU und FDP ihr Gesicht wahren und Erfolge präsentieren können. Und darum geht es am Sonntag:
Die bayerische CSU pocht darauf, dass alle Eltern, die ihre ein- und zweijährigen Kinder zu Hause erziehen, ein monatliches Betreuungsgeld von zunächst 100, später 150 Euro erhalten. Diese neue Leistung wurde bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, von CDU und FDP aber immer wieder in Frage gestellt. Nun soll sie endgültig beschlossen werden, FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle kündigte bereits an, seine Partei halte sich an den Koalitionsvertrag. Offen ist, ob im Gegenzug eine von der FDP geforderte Bildungskomponente, beispielsweise das Bildungssparen, eingeführt wird.
Die Liberalen drängen auf eine Abschaffung der Praxisgebühr von zehn Euro pro Quartal, was CDU und CSU bislang abgelehnt haben. Sie favorisieren eine Senkung des Beitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung, weil davon nicht nur die Kranken, sondern alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer profitieren würden und die Abgabenquote nach der Kürzung des Rentenbeitrags weiter sinkt. Angesichts der Milliardenüberschüsse im Gesundheitsfonds schlug Brüderle vor, sowohl die Praxisgebühr abzuschaffen als auch den Beitrag zu senken.
Sozialministerin Ursula von der Leyen will, dass Geringverdiener, die lange gearbeitet haben, eine Rente erhalten, die über der Grundsicherung liegt. Ihr ursprüngliches Modell einer Zuschussrente in Höhe von 850 Euro aus Beitragsmitteln ist bereits vom Tisch, im Gespräch ist nun eine Aufstockung der Rente aus Steuermitteln. Eine von ihr geleitete Arbeitsgruppe konnte sich bislang allerdings noch nicht auf ein Konzept einigen, diskutiert wird unter anderem über eine höhere Grundsicherung oder höhere Riester-Freibeträge oder eine bessere Anrechnung von Kindererziehungszeiten für ältere Mütter, die ihre Kinder vor 1992 zur Welt gebracht haben. Eine Lösung ist noch nicht in Sicht.
Wegen der stark steigenden Strompreise fordert die FDP eine rasche Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), um einen weiteren Anstieg der Umlage zur Förderung des Öko-Stroms, die alle Stromkunden bezahlen müssen, zu begrenzen; alternativ schlägt sie eine Senkung der Stromsteuer vor. Die Union reagierte bislang zurückhaltend darauf, Umweltminister Peter Altmaier gab die Devise „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ aus. Gleichwohl ist den Christdemokraten bewusst, dass dringender Handlungsbedarf besteht.
Noch ein Lieblingsthema der CSU und ihres Verkehrsministers Peter Ramsauer ist die Pkw-Maut. Doch die Kanzlerin und die FDP sind dagegen. Eine Einigung gilt daher als unwahrscheinlich.