Während Gewerkschafter über Projekte der Großen Koalition wie die Rente mit 63 jubilieren, protestieren Arbeitgebervertreter dagegen. In Unternehmerkreisen geht die Angst um, dass die Arbeitskosten steigen. Im Gespräch mit dieser Zeitung bezieht Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger, der die Interessen von Firmen in der deutschen Metall- und Elektroindustrie vertritt, Stellung. Zu dem Wirtschaftszweig mit 3,72 Millionen Mitarbeitern gehören Schlüsselbranchen wie die Autoindustrie und der Maschinenbau.
Dulger: In vielen Punkten unterstützen wir die Ziele der Bundesregierung. Aber bei anderen nimmt sich Deutschland derzeit leider das frühere Griechenland zum Vorbild. Die Debatte um die Rente mit 63 etwa zielt im Wesentlichen darauf ab, Menschen früher aus ihren Büros und Werkshallen herauszuholen und nach Hause zu schicken. Dabei haben wir noch 3,14 Millionen Arbeitslose, die zwangsweise zu Hause sitzen. Die müssen wir in die Büros und Werkshallen holen. Das ist wichtiger, als andere vorzeitig nach Hause zu schicken.
Dulger: Wer sich kurz vor Toresschluss arbeitslos erklären lässt, wird sogar mit 61 schon in Rente gehen können – und das abschlagsfrei. Das gehört auch zur Wahrheit über die Rente mit 63. Der Trend zur Frühverrentung ist gefährlich. Nachdem die Rentenkassen durch Geschenke wie die Mütterrente geleert sind, werden höhere Beiträge und Steuern sicher die Folge sein. Dadurch steigen die Arbeitskosten und damit sinkt die Beschäftigung. Das ist brandgefährlich.
Dulger: Leider ja. Die Pläne verstoßen gegen den Gedanken der Generationengerechtigkeit. Die Jüngeren zahlen die Geschenke, ohne dabei selbst im Alter in den Genuss der Wohltaten zu kommen. Das ist eine gewaltige Ungerechtigkeit. Durch die demografische Entwicklung stehen immer weniger jüngere immer mehr älteren Menschen gegenüber. Und in Deutschland wird eine Politik betrieben, in der vor allem um die Gunst von Wählern gebuhlt wird. Wenn gut neun Millionen Mütter die Mütterrente bekommen und nur jede Zehnte eine der schenkenden Parteien wählt, hat diese viel gewonnen.
Dulger: Es geht nicht um Arbeitgeberfreundlichkeit, sondern um Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie und Gerechtigkeit den Jungen gegenüber! In diesem frühen Stadium der Großen Koalition steht der Koalitionsfriede zwischen Union und SPD an erster Stelle, auch wenn der Wirtschaftsflügel der Union und SPD-Größen wie Franz Müntefering und Gerhard Schröder die Vorhaben kritisieren.
Dulger: Dass sich die Gewerkschaften mit Kampagnen besonders gut auskennen, ist klar. Sie machen ja genügend. Aber jeder, der über seine eigene Klientel hinaus denkt, kommt bei der Rente zu dem gleichen Schluss. Entsprechend vernichtend ist das öffentliche Echo.
Dulger: Die finanziellen Belastungen durch die Rentenreform liegen nach Schätzungen der Regierung bei 160 Milliarden Euro. Tatsächlich aber wird das über 230 Milliarden Euro kosten. Davon könnte jede einzelne Stadt in Deutschland mindestens sechs nagelneue Schulen bauen. Oder Stefan Reuter könnte für den FC Augsburg 440 Mal den Kader von Real Madrid kaufen.
Dulger: Dann sprechen Sie mal mit der zuständigen SPD-Ministerin Andrea Nahles. Aber Spaß beiseite: Das Geld wurde in der Rentenkasse ja für schlechte Zeiten angespart und nicht, um es in guten Zeiten rauszuschmeißen.
Dulger: In der Metallindustrie ist die Zahl der Beschäftigten in der Altersklasse 60 plus von rund 85 000 in 2000 auf 214 000 angestiegen. Nach einer Allensbach-Untersuchung wollen 82 Prozent unserer Firmen ihre Mitarbeiter möglichst lange im Betrieb halten. Gleichzeitig streben weniger Beschäftigte eine Frühverrentung an. Nur 44 Prozent wollen demnach früher als gesetzlich vorgesehen in Rente gehen. Vor zehn Jahren waren es 56 Prozent. Wir sind da auf gutem Weg.
Dulger: In berechtigten Fällen muss es dann Ausnahmen für einen vorzeitigen Ruhestand geben. Dafür haben wir aber ja längst sogar einen Tarifvertrag! Aber es müssen Ausnahmen bleiben und nicht die Regel. Wir sollten aber als Unternehmer diejenigen unterstützen, die länger arbeiten wollen, auch bis zum 67. Lebensjahr. Wir passen fortlaufend die Arbeitsprozesse an die Bedürfnisse älterer Beschäftigter an.
Dulger: Es drohen mehr Arbeitslose, höhere Sozialabgaben und höhere Steuern. Nicht sofort, aber es wird so kommen. Durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns wird die Schwarzarbeit ansteigen. Die vermeintlichen Wohltaten schwächen vor allem unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit – ein Thema, das in der Großen Koalition leider keine zentrale Rolle spielt. Die neue Regierung vollzieht eine Rolle rückwärts gegenüber der Agenda-Reformpolitik der Schröder-Zeit.
Rainer Dulger
Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall Rainer Dulger ist seit 2012 Nachfolger von Martin Kannegiesser. Der 49-Jährige stand zuvor an der Spitze des Metall-Arbeitgeberverbandes in Baden-Württemberg.
Das von Dulgers Vater gegründete Heidelberger Unternehmen ProMinent ist einer der „Hidden Champions“ Deutschlands und Weltmarktführer auf seinem Gebiet. Die Firma mit gut 2300 Mitarbeitern hat ihren Aufstieg Dosierpumpen zu verdanken. Der Unternehmer ist verheiratet und hat zwei Kinder. Für sein Hobby, die Jagd, bleibt kaum Zeit. FOTO: dpa
Herr Dulger sollte mal seine soziale Dosierpumpe nachjustieren!
Gilt übrigens auch für die "kinderreiche" Frau Schwarzer, die den Begriff "Hausfrau" quasi zum Unwort des Jahrhunderts erklärt hat.