So viel Gemeinsamkeit war schon lange nicht mehr. Für viele Mitarbeiter in der Parteizentrale der Grünen ist das eine völlig neue Erfahrung. Es ist noch gar nicht so lange her, da lief ein tiefer Riss durch das Haus. Auf der einen Seite saßen Cem Özdemir und seine Realos, auf der anderen Simone Peter und ihre Fundis. Man sprach, wenn überhaupt, nur das Nötigste miteinander, ansonsten war man sich in tiefer gegenseitiger Ablehnung und Verachtung verbunden. Der strenge Flügel-Proporz war zwar gewahrt, doch er lähmte die Partei.
Und heute? Den Riss gibt es nicht mehr. Die beiden neuen Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock, die seit Ende Januar an der Spitze der Partei stehen, gehören nicht nur dem Realo-Lager an, sondern haben auch die bislang getrennten Chef-Büros zu einem einzigen Gemeinschaftsraum zusammengelegt. Zudem teilen sie sich den Büroleiter und haben zum ersten Mal in der Geschichte eine Grundsatzabteilung ins Leben gerufen, die als „Herz und Kopf“ der Bundesgeschäftsstelle die programmatische Arbeit voranbringen soll.
Die Grünen haben den Generationenwechsel vollzogen
Und das Erstaunlichste: Es funktioniert. Mit Habeck und Baerbock haben die Grünen nach dem schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl den Generationenwechsel vollzogen und zwei frische Gesichter an die Spitze gewählt, die ebenso unideologisch wie eloquent sind, die weniger dogmatisch und moralisierend als ihre Vorgänger auftreten, Debatten anstoßen und für einen neuen Sound in Partei und Öffentlichkeit sorgen.
Das hat Folgen. Die Grünen stehen so gut da wie schon lange nicht mehr. In einer aktuellen Emnid-Umfrage liegen sie bei 14 Prozent – nur noch vier Punkte hinter der SPD. Und bei den Landtagswahlen in Bayern könnten sie sogar hinter der CSU zweitstärkste Kraft im Landtag werden, noch vor SPD und AfD.
Ein Stück weit profitieren die Grünen dabei auch von der Schwäche aller anderen. Nur die FDP ist mit Partei- und Fraktionschef Christian Lindner ähnlich gut aufgestellt. Dagegen liegen bei CDU und CSU nach dem Streit um die Flüchtlingspolitik noch immer die Nerven blank. Die Parteichefs Angela Merkel und Horst Seehofer sind im Spätherbst ihrer Amtszeit. In der SPD hat Andrea Nahles noch nicht wirklich an Profil gewonnen. Und in der Linken ist das Führungsquartett um Bernd Riexinger, Katja Kipping, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch heillos zerstritten.
Die grünen Kernthemen sind unverändert aktuell
Im linken Lager des Parteienspektrums sind somit die Grünen derzeit die Einzigen, die nicht nur ihre Personalfragen geklärt, sondern auch eine klare politische Agenda haben. Ihre Kernthemen wie Umwelt- und Klimaschutz, Agrar- und Verkehrswende sind unverändert aktuell. In der Flüchtlingspolitik stehen sie konsequent gegen Abschottung und nationale Alleingänge, wofür sie von Teilen des rechten Parteienspektrums heftig angefeindet und kritisiert werden – was die eigenen Reihen schließt. Asylpolitik gehört schließlich wie Umweltschutz zur DNA der Grünen. Als Oppositionspartei im Bund tun sie sich allerdings auch deutlich leichter als die SPD, die ihre Prinzipien und das Regierungshandeln unter einen Hut bringen muss.
Wie ernst die SPD die Bedrohung durch die personell wie programmatisch gefestigten Grünen nimmt, belegen die Äußerungen von Parteichefin Andrea Nahles. In der Tat kommt darin das ganze Dilemma der Sozialdemokratie zum Ausdruck: Nachdem Angela Merkel dieser die eine Hälfte der Themen weggenommen hat, sind nun die Grünen dabei, ihnen die andere Hälfte abzunehmen. Auch da könnte die SPD von den Grünen lernen. Es reicht nicht nur, das Personal an der Spitze auszutauschen. Es muss dabei auch etwas Neues herauskommen. Robert Habeck und Annalena Baerbock zeigen gerade, wie man‘s macht, ohne dabei die grüne Identität aufzugeben.