Das Bild, das Benoît Hamon am Montag nach dem französischen Wahltag über Twitter verbreitete, dürfte die Gefühlslage vieler Schicksalsgenossen der verschiedenen politischen Lager ausdrücken, die ebenfalls frühzeitig gescheitert sind. Es zeigt Sisyphos, der sich mühsam, aber vergeblich einen Berg hoch kämpft – trotz seiner mächtigen Muskeln. Solche fehlen allerdings Hamon und seiner ebenso kraftlosen Partei, die noch vor fünf Jahren alle Macht in Frankreich innehatte und nun ein absolutes Desaster erlebte.
Nachdem er schon als Kandidat der Sozialisten bei den Präsidentschaftswahlen mit nur 6,4 Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis einfuhr, qualifizierte sich Hamon bei der Parlamentswahl nicht für die zweite Runde am nächsten Sonntag. So gehört er zu den vielen Bewerbern der etablierten Parteien, die aussortiert wurden zugunsten von überwiegend unbekannten Kandidaten von „La République en marche“ (REM), der Partei des Präsidenten Emmanuel Macron. Mit der Zentrumspartei MoDem als Partner erhielt sie 32,2 Prozent der Stimmen.
Dieses Erdbeben verändert die politische Landschaft dauerhaft
Eine Überraschung ist dieser Erfolg nicht. Das Ausmaß des Triumphs vermittelt allerdings den Eindruck eines Erdbebens, das Frankreichs politische Landschaft dauerhaft verändern dürfte. Von den insgesamt 577 Sitzen in der Nationalversammlung könnte REM am nächsten Sonntag zwischen 400 und 440 gewinnen. Es wäre nicht nur die absolute, sondern eine überwältigende Mehrheit – mit einer maximal geschwächten Opposition.
Weit abgeschlagen landen dahinter die konservativen Republikaner, während Sozialisten, radikale Linke und auch der Front National mehr oder weniger in die parlamentarische Bedeutungslosigkeit verbannt werden. Eine positive Dynamik verzeichnet nur die Formation, die Emmanuel Macron vor gerade einmal einem guten Jahr gründete.
Viele Politik-Novizen stellte REM auf, verhältnismäßig junge Kandidaten und rund die Hälfte davon Frauen; Erneuerung lautete die Devise. Genau das wünschte sich eine große Zahl von Franzosen, die mit einem überkommenen System Schluss machen wollen und deshalb auch dazu bereit waren, viele bekannte und mitunter verdiente Persönlichkeiten ins Aus zu katapultieren.
Zu überwältigend war der Wunsch, ein neues Kapitel aufzuschlagen.
Mit der „Moralisierung“ der Politik geht es los
Die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung ist Macron kaum mehr zu nehmen. Damit wird der 39-jährige Staatschef seine Projekte relativ problemlos umsetzen können: Noch in dieser Woche beginnen die Beratungen für ein Gesetz zur „Moralisierung“ der Politik als Reaktion auf die Skandale wegen Korruption oder Scheinbeschäftigung von Familienangehörigen, die in den vergangenen Jahren ein schlechtes Licht auf den gesamten Berufsstand warfen. Folgen soll ein weitreichendes Sicherheitsgesetz, um Regeln des Ausnahmezustands darin aufzunehmen, sowie Macrons Kernreform zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die Betrieben mehr Handlungsspielraum verschaffen soll. Angesichts der entmachteten Opposition droht Widerstand höchstens von der Straße.
Emmanuel Macrons Gefolgsleute sehen den vorläufigen Ausgang der Parlamentswahl als eindeutige Legitimierung dieses Weges, auch wenn die Wahlbeteiligung ebenfalls historisch ist – und zwar historisch niedrig: Gut 51 Prozent der Wahlberechtigten waren zu Hause geblieben. Macrons Gegner lesen dies zwar als Zeichen für das Misstrauen der Menschen. Doch dass mehr Bürger denn je den Urnen fernblieben, beweist vor allem, dass die Alternativen zu REM nicht zu mobilisieren wussten: Der Macron'sche Tsunami nahm ihnen den Wind aus den Segeln. Sie müssen sich erneuern, während sich dem Präsidenten eine riesige Chance bietet. Er steht nun in der Verantwortung, seine Machtfülle zu nutzen, um das Land voranzubringen.