Der außenpolitische Sonderweg Deutschlands im Verhältnis zu Russland ist spätestens mit der jüngsten Eskalation im Ukraine-Konflikt gescheitert. Es besteht akute Kriegsgefahr und für Berlin kommt es zum Schwur: Wo steht Deutschland bei alledem? Bei den wichtigsten Verbündeten in Europa und Nordamerika sind nicht erst in den vergangenen Wochen Zweifel daran aufgekommen, ob auf Deutschland wirklich Verlass ist.
Jetzt muss die neue Bundesregierung unmissverständlich klarmachen, dass sie eine entschlossene Reaktion der westlichen Werte- und Verteidigungsgemeinschaft ohne Wenn und Aber mitträgt. Die Hoffnung, die Bundesrepublik könne im Konflikt eine wichtige Vermittlerrolle einnehmen, muss zumindest für den Moment begraben werden. Ohnehin stöhnen Nato-Partner regelmäßig verzweifelt auf, wenn deutsche Politiker auf dem internationalen Parkett als Russlandversteher unterwegs sind. Für sie gefährdet der deutsche Sonderkurs vor allem den Eindruck der Geschlossenheit des Westens.
Verweis auf die deutsche Geschichte
Auf deutscher Seite wird auf derlei Bedenken gebetsmühlenhaft mit dem Verweis auf die Geschichte reagiert. Der ist durchaus berechtigt. Es ist undenkbar, die deutsch-russischen Beziehungen ohne die Katastrophe des Überfalls Hitlers auf Stalins Sowjetunion zu betrachten. Aus der deutschen Verantwortung für das unsägliche Leid im Osten Europas erwächst eine besondere Verpflichtung für gute Beziehungen zu den Staaten der Region – und zwar allen. Gelitten unter dem deutschen Angriffskrieg hat nämlich nicht nur das heutige Russland. In der Ukraine, damals Teil der Sowjetunion, haben die Wehrmacht und die Schergen der SS besonders brutal gewütet. Deutschland sollte also stets auch an die Menschen dort und in den baltischen Staaten oder Polen, die ebenfalls Opfer des brutalen Nazi-Krieges waren, denken. In der angespannten Weltordnung der Nachkriegszeit drehte sich deutsche Außenpolitik anders als heute vorrangig um Sicherheit. Bonn fand sie im Rahmen von Westbindung und Nordatlantikpakt. Auch bei der „Ostpolitik“ von SPD-Kanzler Willy Brandt war die Dialogbereitschaft gegenüber Moskau nur die eine Seite der Medaille. Brandt wusste genau, wo Deutschland stand: Mitten im westlichen Werte- und Verteidigungsbündnis. Das auch mit Atomraketen Zähne zeigte gegenüber dem von Moskau angeführten Warschauer Pakt, zu dem das andere Deutschland, die DDR, gehörte. Als der Ostblock bröckelte und Deutschland die historische Chance der Wiedervereinigung ergriff, schienen auch die deutsch-russischen Beziehungen vor einer sonnigen Zukunft zu stehen. Hoffnungen, die durch das besondere Verhältnis von Kanzler Helmut Kohl zu Michail Gorbatschow und Boris Jelzin, später die Männerfreundschaft zwischen Gerhard Schröder und Wladimir Putin, verkörpert wurden. Die Wirtschaft freute sich auf gute Geschäfte, die Gesellschaft auf regen Austausch. Nichts schien ferner zu liegen als eine militärische Auseinandersetzung in Europa. Zumal die einstige Sowjetarmee zerrüttet schien. Kanzlerin Angela Merkel, aufgewachsen in der DDR, blickte deutlich illusionsloser nach Russland, wo Präsident Putin die Armee wieder hochpäppelte. Sie war es, die 2014 für eine geschlossene Antwort Europas auf die Annexion der Krim und die russische Zündelei in der Ostukraine sorgte. Gleichzeitig ließ Merkel aber die Forderungen aus Washington nach einem Deutschlands Wirtschaftsleistung angemessenen Beitrag zur Nato abperlen. Das Gas-Pipeline-Projekt Nord Stream 2 wurde unbeirrt von den Irritationen der westlichen Partner weiterbetrieben. Mit Olaf Scholz hat jetzt ein Kanzler übernommen, der einer Partei angehört, in der die kritiklose Russland-Verklärung noch verbreitet ist. Die sozialdemokratischen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel fanden selten deutliche Worte gegenüber Moskau, ausgerechnet dem ansonsten blassen Heiko Maas gelang das stellenweise.
Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock hat einen deutlichen Kurswechsel angekündigt. Wertegeleitet, am Klimaschutz ausgerichtet und feministisch soll die deutsche Außenpolitik sein. Das hört sich für die einen großartig an, für andere naiv. Doch Häme ist fehl am Platz. Baerbock hat gezeigt, dass sie durchaus richtige Punkte anspricht: Soll die brutale Verfolgung der demokratischen Opposition in Russland ohne Echo bleiben? Ist russisches Gas, ein fossiler Brennstoff, die richtige Krücke, die nach Atom- und Kohleausstieg die deutschen Energieprobleme löst? Und wären nicht Mädchen und Frauen besonders von einem russischen Einmarsch in der Ukraine betroffen? Es ist möglich, dass Baerbock mit neuen Fragen bei Antworten aus dem klassischen Kanon der Außenpolitik landet. Die hat neben Gesprächsbereitschaft mit Bündnistreue, Verteidigungsfähigkeit und ja, auch mit Abschreckung zu tun. Viel deutlicher als bisher muss in der deutschen Außenpolitik gelten: Russland ist ein willkommener Partner, wenn es aber die Waffen sprechen lässt und das Völkerrecht bricht, schert Deutschland aus einer konsequenten internationalen Reaktion nicht aus.
Andere Beispiele sind die baltischen Staaten. Es war eine Riesendummheit Brüssels, diese in die EU aufzunehmen ohne auf eine Zweisprachenlösung für die russischen Minderheiten zu bestehen.
Wenn der große Bruder direkt nebenan wohnt, ist Konflikt programmiert.
Die Ukraine braucht Ausgleich in Innern und Neutralität nach Aussen
wenn sie in Frieden weiter existieren will, und keine "US-Wühlaktionen".