„Einiges ist offenbar schief gelaufen“, schreibt Sinn zu Beginn des Buches. So geht er zunächst auf viele Reden und Verträge ein, die Europa darstellen, wie es sein sollte: Deutschland muss anderen Ländern im Falle eines Staatskonkurses nicht beistehen. Das zumindest besagt die „No-Bail-out-Klausel“ (aus der Klemme helfen), die einst im Maastrichter Vertrag verankert wurde. Und dann zeigt er auf, wie die Realität aussieht: anders. In den Jahren 2010 bis 2012 wurde ein Hilfsabkommen nach dem anderen beschlossen. Ohne den EU-Vertrag zu ändern.
Weiteres Problem: Deutschlands Stimmgewicht im EZB-Rat. So hat die Bundesrepublik es Hans-Werner Sinn zufolge versäumt, für die Europäische Zentralbank adäquate Stimmrechte zu fordern. Mit dem Ergebnis, dass das Stimmgewicht der deutschen Bundesbank im EZB-Rat nicht größer ist als beispielsweise das von der Zentralbank von Malta – obwohl dieses Land nur ein 196stel der Einwohner von Deutschland hat. Gleichzeitig aber trägt Deutschland ein im Vergleich zu den anderen Ländern überdimensionales Haftungsrisiko. Verkehrte Welt.
Und dann die Sache mit den mysteriösen Target-Krediten. Wie der Autor schildert, liehen die Banken sich nach der Lehman-Pleite auf einmal untereinander kein Geld mehr, weil sie einander nicht mehr getraut haben. Um zu verhindern, dass eine Kettenreaktion ausgelöst wird, sprang die Europäische Zentralbank in die Bresche und versorgte die Banken mit Geld. Sie machte es ihnen leicht, weil sie nur noch geringe Sicherheiten forderte. Vor allem südeuropäische Banken nutzen das Angebot im großen Stil und holten sich sogenannte Target-Kredite, die wie eine Art Überziehungskredit funktionieren: unbegrenzt, unkontrolliert und dazu noch mit niedrigen Zinsen.
Das Problem: Mit der Finanzkrise geriet das System aus dem Ruder. Die Forderungen der Bundesbank gegen das Eurosystem häuften sich immer mehr. Mittlerweile liegen sie bei rund 700 Milliarden Euro. Wenn der Euro zerbricht, müssen wir alle für diesen Betrag haften. „Dann hätte Deutschland eine Forderung gegen ein System, das es nicht mehr gibt“, sagt Sinn.
„Deutschland sitzt in der Falle. Es kann sich nicht mehr entziehen“, glaubt Sinn. Denn hilft die Bundesregierung nicht mit weiteren Krediten, finanzieren sich die Schuldenländer einfach weiter über ihre Notenbanken. Damit steigen wiederum die Target-Forderungen und damit das Haftungsrisiko für Deutschland. Deutschland werde deshalb gezwungen, früher oder später Euro-Bonds einzuführen, um die Selbstbedienung der Schuldenstaaten zu stoppen.
Hans-Werner Sinn: Die Target-Falle – Gefahren für unser Geld und unsere Kinder. 417 Seiten. 19,90 •.
Hans-Werner Sinn
Der 64-jährige Wissenschaftler ist seit 1984 Ordinarius in der volkswirtschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach zahlreichen abgelehnten Rufen unter anderem an ein Max-Planck-Institut wurde Sinn 1999 Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München und Leiter des CESifo-Forscher-Netzwerks, weltweit eines der größten seiner Art. Er war Präsident des Weltverbandes der Finanzwissenschaftler (IIPF) und Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik, des Verbandes der deutschsprachigen Ökonomen. Der Ökonom hat eine ganze Reihe Auszeichnungen und Preise erhalten und ist Autor zahlreicher Bücher und Fachartikel sowie ein gefragter Gesprächspartner in Medien und Politik. TEXT: KEFE (Quelle: hanser-fachverlag.de)