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„Der Südsudan braucht Zeit“
Evangelischer Pressedienst
 |  aktualisiert: 02.01.2014 19:33 Uhr

„Es geht uns gut, wir sind in Sicherheit“, schrieb Leonore Küster dieser Tage in einer Mail an die Zentrale der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) in Würzburg, deren Repräsentantin im Südsudan sie seit 2007 ist. Wegen der Kämpfe in der Region schloss die Hilfsorganisation ihr Büro in der Hauptstadt Juba bis auf Weiteres und ließ die Mitarbeiter ausfliegen. Der Konflikt tobt seit Mitte Dezember, nachdem Präsident Salva Kiir seinen Vize Riek Machar entlassen hatte – angeblich nach dessen Putschversuch. Mit Leonore Küster sprachen wir über die Ereignisse in der Region und ihre Gefühle.

Frage: Sie arbeiteten schon während des Bürgerkrieges im Südsudan. Gab es damals auch Situationen, in denen Sie fliehen mussten?

Leonore Küster: Nein, ich hatte nie das Gefühl rauszumüssen. Aber ich wäre auch jetzt noch nicht gegangen, sondern wurde herausbeordert. Der Konflikt hat zwar in der Regierungshauptstadt Juba begonnen, wo wir unseren Sitz haben. Aber nach ein paar Tagen Schießereien hat er sich in die Provinzen verlagert.

Sie leben seit 1994 in der Region, seit 2002 im Südsudan. Ist das Land Heimat für Sie geworden?

Küster: Ja, wo man lebt und arbeitet, ist man zu Hause. Und ich vermisse schon die Leute dort.

Welches Gefühl haben Sie jetzt, da nach der langen Zeit des Bürgerkriegs wieder gekämpft wird?

Küster: Es hat seit der Unabhängigkeit 2011 in verschiedenen Bundesstaaten immer wieder Kämpfe und Unruhen gegeben. Was jetzt stattfindet, ist ein Machtkampf zwischen den Regierungspartnern.

Was ist der Grund für den neuen Konflikt?

Küster: Es geht um Macht und ethnische Konflikte, alte Stammesfehden, die noch nicht verarbeitet sind. Wenn man eine Nation aufbaut, die noch nie eine war, sollte man alles gleichzeitig anpacken können. Da hat alles Priorität, Landwirtschaft, Gesundheitswesen, Schulen.

Was ist bei dem Konflikt jetzt anders als zu Zeiten des Bürgerkriegs?

Küster: Vorher hatten alle einen Feind, den Norden. Jetzt schlagen sie sich gegenseitig die Köpfe ein. Dass es Schwierigkeiten geben würde, war zu erwarten. Die Menschen im Südsudan waren 50 Jahre lang Rebellen. Sie wissen, wie man einen Konflikt mit dem Gewehr angeht. Aber nicht, wie man ihn mit dem Bleistift löst. Sie hatten noch keine Zeit, da hineinzuwachsen.

Als 2011 der Staat Südsudan gegründet wurde, war aus der Ferne Freude über die Unabhängigkeit wahrzunehmen. Sie sprachen in einem Interview davon, dass die Menschen kriegsmüde sind.

Küster: Sie sind immer noch kriegsmüde. Das ist jetzt einfach ein Machtkampf, und in Afrika sagt man: „Wenn zwei Elefanten sich streiten, leidet das Gras.“

Wovor haben Sie jetzt Angst?

Küster: Ich habe Angst, dass der Konflikt dauert und die Menschen darunter noch mehr leiden. Ich habe vor allem Angst, dass ich nicht mehr zurückkehren kann. Dabei braucht es gerade jetzt Leute, die helfen.

Wie sah Ihre Arbeit für die DAHW in den vergangenen Jahren aus?

Küster: Wir haben mit dem Gesundheitsministerium zusammengearbeitet. Wir helfen, ein Leprakontrollprogramm zu etablieren. Wir sind dabei in Landesteile vorgedrungen, die während des Bürgerkriegs nicht zugänglich waren. Bei der Eröffnung des DAHW-Büros in Juba gab es zwölf Behandlungszentren, jetzt sind es 30.

Das hört sich nach sehr effektiver Arbeit an.

Küster: In den Ministerien und Verwaltungen wechselt das Personal ständig. Stabilität, Kontinuität gibt es nicht. Das macht es manchmal ein bisschen schwierig. Aber wir sind Gäste dort und arbeiten mit den Gegebenheiten vor Ort.

Wie haben Sie die Entwicklung des Landes seit 2011 erlebt?

Köster: Es hat sich hauptsächlich in den Städten mitunter rasant entwickelt. Vor allem Häuser und Straßen wurden dort viel gebaut. Im Landesinneren dauert das noch. Sicher wurde auch auf den Gebieten der Bildung, der Gesundheitsversorgung und der Landwirtschaft schon einiges erreicht. Und mehr ist in den wenigen Jahren auch gar nicht zu erwarten. Der Südsudan ist schließlich keine Industrienation. Alle Produkte müssen eingeflogen werden.

Welche Aufgaben sehen Sie nun?

Küster: Ein Problem ist, dass es die ethnischen Konflikte nicht nur auf Regierungs-, sondern auch auf mitmenschlicher Ebene gibt. Dann: Die Menschen sind vom Bürgerkrieg noch traumatisiert. Sie denken noch nicht an eine gemeinsame Zukunft, sondern daran, was jeder für sich tun kann; denn wer weiß, ob es ein Morgen gibt. Das muss bearbeitet werden. Dann ist ganz wichtig die gründliche Ausbildung von Gesundheitspersonal. Die meisten internationalen Geldgeber finanzieren nur Kurzzeitkurse. Außerdem muss die Logistik ausgebaut werden, denn manche Orte sind mit Fahrzeugen nicht zu erreichen. Das geht nur mit dem Flieger.

Das klingt nach Arbeit für Jahrzehnte.

Küster: Ja, der Südsudan braucht Zeit. Die Leute müssen mitwachsen, mitdenken und mitlernen. Das passt natürlich nicht zu dem Denken in einer globalisierten Welt mit seiner Schnelligkeit.

Sie sitzen auf gepackten Koffern, wollen schnellstmöglich zurückkehren, heißt es in einer Pressemitteilung des DAHW.

Küster: Ich habe gar keinen Koffer dabei, nur zwei Computertaschen, denn wir durften nur zehn Kilogramm Gepäck mitnehmen. Und ich warte darauf, dass ich wieder fliegen kann, denn gerade um den Jahreswechsel gibt es viel Arbeit – Gelder anfordern, Berichte schreiben, neue Pläne machen.

Es zieht Sie also mit Macht zurück in den Südsudan, so hört sich das an.

Küster: Dort habe ich mich immer wohlgefühlt. Ich wollte schon immer in Afrika arbeiten und Menschen helfen, die wirklich Hilfe brauchen. In den Jahren hat sich meine Mentalität angepasst. Es wäre nicht einfach für mich, in Deutschland zu arbeiten. Ganz abgesehen davon, dass mir hier der afrikanische Sonnenschein abgehen würde.

Leonore Küster

Die 58-jährige Krankenschwester lebt und arbeitet seit 1994 im Sudan und in Uganda für den Deutschten Entwicklungsdienst, den Malteser Hilfsdienst und seit 2007 als Repräsentantin der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) im Südsudan. Die Organisation unterhält dort eigene Projekte und unterstützt das Programm des Staates gegen Tuberkulose, Lepra und Buruli Ulcer. Der Südsudan existiert seit 2011 als eigener Staat neben dem Sudan im Norden. Vorausgegangen waren mit Unterbrechung 50 Jahre Bürgerkrieg. FOTO: DAHW

 
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