zurück
Der Streit um die sicheren Herkunftsländer ist Unsinn
Rudi Wais
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 02.04.2019 14:47 Uhr

Der Pragmatiker Cem Özdemir war noch Parteichef, als die Grünen im November 2015 in Halle für eine großzügige Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland warben. Im Kleingedruckten ihres Beschlusses aber findet sich auch ein Satz, auf den Özdemir gepocht hat, den viele Grüne aber schon wieder vergessen haben oder nicht wahrhaben wollen: „Dabei ist klar, dass nicht alle, die in Deutschland Asyl beantragen, auch bleiben können.“

Auf nichts trifft diese Einschränkung im Moment mehr zu als auf die Einstufung von Algerien, Tunesien, Marokko und Georgien als sichere Herkunftsstaaten. Nur ein bis zwei Prozent der Asylbewerber aus diesen vier Ländern werden tatsächlich anerkannt – bleiben aber dürfen nahezu alle. Um die Verfahren zu beschleunigen und abgelehnte Bewerber schneller zurückschicken zu können, müssten Bundestag und Bundesrat die Maghreb-Staaten und Georgien wie zuvor schon Ghana, den Senegal und nahezu den kompletten Balkan zu sicheren Herkunftsstaaten erklären. Flüchtlinge aus diesen Ländern bleiben länger in der Erstaufnahme, sie haben kürzere Klagefristen und dürfen keine Arbeit aufnehmen. Trotzdem wird jeder Fall für sich geprüft und entschieden, nur eben etwas zügiger. Die Sorge der Grünen, dass Anträge aus diesen Ländern quasi automatisch abgelehnt werden, ist unbegründet.

Für die Grünen macht es keinen Unterschied, wer kommt

Wer sich aus Algerien, Marokko oder Tunesien auf den Weg nach Deutschland begibt, tut das allerdings in den seltensten Fällen, weil er als Oppositioneller, als Journalist oder als Homosexueller staatlicher Repression ausgesetzt ist. Nicht anders verhält es sich mit den Asylbewerbern aus Georgien – einem Land, das sich Hoffnungen auf eine Mitgliedschaft in der EU und der Nato macht. In den Augen der Grünen aber macht es keinen Unterschied, wer da kommt – ein Syrer, dem zu Hause Haft, Folter und der Tod drohen, oder ein Tunesier, der zu Hause keine Arbeit findet und sein Glück nun in Europa sucht.

Die Partei muss sich den Realitäten stellen

Unter anderen Umständen könnte man das als grünen Idealismus abtun, mittlerweile aber geht im Bundesrat nichts mehr ohne die Länder, in denen die Grünen mitregieren – umso dringender wäre es, dass sich die Partei den Realitäten stellt. Selbst das liberalste Asylrecht muss zwischen den Menschen trennen, die unseren Schutz bitter nötig haben, und denen, die das Grundrecht auf Asyl nur als eine Art Einfallstor in ein neues Leben betrachten. Das Instrument der sicheren Herkunftsstaaten erleichtert den Behörden diese Trennung enorm. Überdies signalisiert es den Menschen aus diesen Ländern, dass es nicht mehr so einfach ist, in Deutschland zu bleiben. Ein Mann wie Anis Amri, der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, wäre danach im Idealfall kaum über die Erstaufnahme hinausgekommen und zügig nach Tunesien abgeschoben worden.

Damit die Liste der sicheren Herkunftsstaaten um den Maghreb und Georgien erweitert wird, müsste am Freitag im Bundesrat neben Baden-Württemberg noch mindestens ein weiteres grün regiertes Bundesland zustimmen – ein offenbar illusorisches Unterfangen. Anders als Winfried Kretschmann, den Vernunftsmenschen aus Stuttgart, leiten seine Parteifreunde in Hessen, Schleswig-Holstein und sechs weiteren Bundesländern vor allem parteitaktische Motive. Sie wollen ihren stark gewachsenen Einfluss in der Länderkammer nutzen, um Union und SPD als handlungsunfähig vorzuführen – obwohl die Koalition sich mit ihrer Vier-Länder-Liste auf das minimal Mögliche beschränkt hat. Insgesamt gibt es von Indien bis zur Republik Moldau noch 14 weitere Länder, aus denen weniger als fünf Prozent der Asylbewerber anerkannt werden.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Rudi Wais
Anis Amri
Cem Özdemir
Deutscher Bundesrat
Deutscher Bundestag
Idealismus
Nato
SPD
Winfried Kretschmann
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • A. H.
    Grüne (mit Ausnahmen, z.B. Al Wazir, Palmer oder vielleicht auch noch Özdemir) und Realitäten - da fehlt mir (noch) die Hoffnung, da pflegt diese Partei wieder zu sehr ihre alten Utopien. EIN Akt. Beispiel dafür: Hanfanbau als Ersatz für Zuckerrüben.....
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Veraltete Benutzerkennung
    Lieber Herr WAIS. Genau, es geht doch ausschließlich darum, dass die Regierung zeigt, dass sie handlungsfähig ist. In der Sache selbst wird sich durch die Ernennung der Magrebstaaten zu sicheren Herkunftsländern nichts ändern. Sagen die Experten.
    Es ist doch die jetzige Regierung die den LEUTEN Sand in die Augen streut. Insofern ist es doch nur konsequent dieses Papier zu den sicheren Herkunftsländern abzulehnen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • M. G.
    Herr Wais, Respekt. Und Lob und Danke !
    Damit sprechen Sie der Mehrzahl der Bürger aus dem Herzen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten