Für einen strammen Konservativen ist diese Koalition eine Provokation. „Gute Nacht Berlin“, schimpft Edmund Stoiber, als Klaus Wowereit im Januar 2002 gemeinsame Sache mit den Linken macht. Die Hauptstadt in der Hand von Honeckers Erben? Ein Treppenwitz der Geschichte sei das, unkt der Ministerpräsident aus München – und irrt sich gewaltig. Neun Jahre hält Rot-Rot in Berlin, viel länger als von Stoiber erwartet und mit bleibenden Folgen für den Architekten dieser Allianz. „Ein Großteil meiner grauen Haare“, hat Wowereit vor kurzen mit einem Augenzwinkern zu den Linken im Abgeordnetenhaus gesagt, „gehört Euch.“
Wenn der 61-Jährige am Donnerstag seinen Platz für seinen politischen Ziehsohn Michael Müller räumt, verabschiedet sich nicht nur der dienstälteste Landesfürst der Republik, sondern auch der schillerndste. Sätze wie der, er sei schwul, und das sei auch gut so, oder der von seiner Stadt, die zwar arm sei, aber sexy, haben sich ins Gedächtnis der Republik eingebrannt. Nach dem biederen Eberhard Diepgen bekommt Berlin mit Wowereit im Juni 2001 einen Bürgermeister, der seine Lust am Leben regelrecht zelebriert und der auf roten Teppichen posiert wie ein Filmstar. Vom renommierten „Time Magazine“ wird er als „Glamour Guy“ geadelt – als Mann, der der deutschen Hauptstadt Glanz verleiht. Spitzname: Regierender Partymeister.
Ob dieser Klaus Wowereit, der seit drei Jahren einer Großen Koalition vorsitzt, tatsächlich ein guter Bürgermeister war oder ein politischer Hallodri, dessen Name zeitlebens mit dem Pannenflughafen BER verbunden sein wird, ist eine Frage der Sichtweise. In der Berliner Kulturszene, zum Beispiel, lassen sie auf ihn nichts kommen. „Er hat die Offenheit und die Toleranz, die er sich für diese Stadt wünscht, selbst gelebt“, sagt die Entertainerin Gayle Tufts über den gelernten Juristen, der in Personalunion auch Kultursenator ist. Hip und cool, wie Berlin sich gerne gibt, ist Wowereit der richtige Mann zur richtigen Zeit. Ein begnadeter Vermarkter seiner Stadt, umtriebig und immer für einen flotten Spruch gut. Ein Mann – eine Marke. Berlin sei heute ein „place to be“, ein Ort, an dem man gewesen sein muss, schwärmt der Geschäftsführer der Tourismusgesellschaft, Burkhard Kieker. „Diesen Nimbus verdanken wir Klaus Wowereit.“
Die Berliner Wirklichkeit jenseits der jährlichen Besucherrekorde sieht etwas ernüchternder aus. Zwar ist die Arbeitslosenquote in den Wowereit-Jahren von 16,1 auf 10,4 Prozent gefallen. Im bundesweiten Vergleich allerdings steht Berlin deswegen nicht besser da als damals. Auch das Versprechen des Bürgermeisters, er werde „sparen, bis es quietscht“, haben seine Finanzsenatoren Thilo Sarrazin und Ulrich Nussbaum nur teilweise eingelöst. Zwar hat Berlin inzwischen eine winzige Schicht seines Schuldenberges abtragen können; tatsächlich jedoch ist dieser Berg in Wowereits Amtszeit von 38 auf mehr als 60 Milliarden Euro angewachsen. Die vielen jungen Firmengründer, die Kreativen und Möchtegern-Kreativen, die Berlin magisch anzieht, zahlen eben weniger Steuern als alteingesessene Industriebetriebe – von denen aber gibt es an der Spree immer weniger.
Die Lässigkeit, mit der Wowereit trotzdem regiert, nötigt auch vielen anfangs eher skeptischen Sozialdemokraten Respekt ab. Zeitweise wird er sogar als potenzieller Kanzlerkandidat gehandelt, obwohl er keine größeren bundespolitischen Ambitionen hat. Wowereit – das ist Berlin, die Stadt, in der er geboren wurde, in der er ohne Vater und in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs. Die Stadt, die er auf Augenhöhe mit Metropolen wie London, Paris und New York sieht und die er mit einer Bedingungslosigkeit vertritt, die gelegentlich ans Störrische grenzt. Die Milliarden aus dem Länderfinanzausgleich, zum Beispiel, sind für Wowereit genauso Mittel zum Zweck wie das umstrittene Bündnis mit den Linken. Bei der Wahl 2001 hat die damalige PDS im Ostteil der Stadt mehr als 47 Prozent der Stimmen geholt – das könne die SPD nicht mehr ignorieren, findet er.
So kompromisslos er ist, wenn es um die Macht geht, so sorglos ist Wowereit oft in ökonomischen Angelegenheiten. Ja, räumt er heute ein, Berlin hätte mehr Wohnungen bauen und weniger privatisieren sollen, dann würden Mieten und Preise jetzt nicht so explodieren. Vor allem aber hat er das Milliardengrab im Südosten der Stadt, den neuen Flughafen, mit zu verantworten – als Regierender Bürgermeister, als Vorsitzender des Aufsichtsrates, als der Mann, der den Bau zur Chefsache gemacht hat. Dessen Einweihung sollte das Tüpfelchen auf dem i von Wowereits Karriere sein. Mit jeder weiteren Verschiebung, mit jeder neuen Kostenschätzung jedoch begann auch der Nimbus des Bürgermeisters zu bröckeln. Erst jetzt, da er sich auf eine große Abschiedstour durch die Stadt begeben hat und wie in seinen Anfangsjahren keinen Empfang und keine Party auslässt, beginnen seine Popularitätswerte wieder leicht zu steigen.