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WÜRZBURG/PARIS
Der Pariser Anschlag - ein Muster
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 09.01.2015 21:09 Uhr

Anschläge wie der auf die Redaktion des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ werden sich im Jahr 2015 wiederholen, glaubt Peter Neumann. Die Gefährdungslage, sagt er, habe sich erhöht. Gleichzeitig warnt der Terrorismusexperte aus Würzburg allerdings davor, aus einem Sicherheitsproblem ein Problem mit allen Muslimen zu machen.

Frage: Sie haben schon vor einiger Zeit vor islamistischen Anschlägen kleiner Terrorgruppen im Westen gewarnt. Hat Sie der Anschlag auf die Satirezeitung „Charlie Hebdo“ dennoch überrascht?

Peter Neumann: Nein, überrascht war ich nicht. Und ich glaube, es wird noch weitere Anschläge auch in anderen Ländern geben. Das wird die Geschichte des Jahres 2015 sein.

Was macht Sie so sicher?

Neumann: Meine Theorie ist, dass die Dschihadisten in der Vergangenheit oft zu ehrgeizig waren, weil sie versucht haben, unglaublich komplizierte Anschläge zu verüben. Mit mehreren Explosionen, mit vielen Toten – so wie am 11. September oder wie in London oder Madrid. Oft ist das schiefgegangen. Entweder weil die Terroristen inkompetent waren, oder zu viele Leute involviert waren und die Vorbereitungszeit zu lange war, so dass die Sicherheitsbehörden reagieren konnten. Was die Terroristen jetzt gelernt haben – teils vom Islamischen Staat – ist, dass man genauso viel Terror und Panik verursachen kann, wenn man kleinere Anschläge verübt, die keine oder wenig Planung erfordern und die auch ganz spontan durchzuführen sind. Das wird das Muster in diesem Jahr sein.

Geringer Planungsaufwand? Wenn man alleine an die Waffen denkt, die die Terroristen in Paris eingesetzt haben – so etwas bekommt man doch nicht an jeder Straßenecke. Da muss doch etwas mehr dahintergesteckt haben.

Neumann: Richtig, das war schon etwas komplexer als etwa zuletzt in Ottawa, Sydney oder auch in Frankreich, wo es ja drei Vorfälle gab, als Leute mit dem Auto in eine Menschenmenge auf Weihnachtsmärkten gefahren sind. Das waren alles Aktionen, die fast keine Vorbereitung gebraucht haben. Dennoch: Der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ war bei weitem nicht so komplex wie etwa die Anschläge in London oder Madrid und schon gar nicht vergleichbar mit dem 11. September.

Haben die französischen Sicherheitskräfte dennoch versagt?

Neumann: Das ist immer schwer zu beurteilen, weil man nie genau weiß, was gewusst wurde und wie bekannt die Täter waren. Die Sicherheitsbehörden stecken in einem Dilemma: Der deutsche Verfassungsschutz weiß zum Beispiel von 2000 gewaltbereiten Extremisten. Diese Leute werden als gefährlich eingestuft und beobachtet. Aber es ist nicht möglich – für keine Behörde dieser Welt – 2000 Leute rund um die Uhr zu überwachen. Eine Person 24 Stunden am Tag zu überwachen erfordert ungefähr 15 bis 20 Polizeibeamte oder Spione. Weder französische noch deutsche und auch nicht amerikanische Behörden haben die Kapazitäten dazu.

Das klingt nach einem beunruhigenden Glücksspiel.

Neumann: Es muss ständig bewertet werden, wer von diesen 2000 gerade ein akutes Risiko darstellt. Da liegen die Behörden glücklicherweise meistens richtig. Ab und zu rutscht allerdings mal einer durch. Und das ist genau das Dilemma: Es gibt keine Formel, kein Rezept, wie man immer richtigliegt.

Würde es helfen, wenigstens die Kapazitäten der Sicherheitsbehörden zu erhöhen?

Neumann: Die Forderung nach mehr Personal seitens der Polizei und des Verfassungsschutzes ist nicht neu. Jetzt ist es allerdings tatsächlich so, dass die Gefährdungslage größer ist als noch vor drei oder vier Jahren. Das erfordert mehr Personal. Man sollte diese Forderung also nicht gleich zurückweisen.

Aufgrund der Mohammed-Karikaturen scheint „Charlie Hebdo“ als Terrorziel geradezu prädestiniert gewesen zu sein. War der Anschlag aber vielleicht nicht nur Rache für die Zeichnungen, sondern auch ein gezielter Angriff auf einen wichtigen Teil unserer westlichen Werte und Demokratie: die Presse- und Meinungsfreiheit?

Neumann: Klar. Wenn ich mich in die Denkweise von Dschihadisten, El Kaida oder Islamischem Staat hineinversetze, war die Motivation folgende: Erst einmal wollte man einen Anschlag im Westen durchführen. Das ist die erklärte Strategie: Man möchte gegen den Westen zurückschlagen als Reaktion auf das, was gerade in Syrien und im Irak passiert. Aber man möchte auch Anschläge durchführen, von denen man glaubt, dass sie Sympathien potenzieller Unterstützer wecken. Da ist man durchaus populistisch: Die Mohammed-Karikaturen haben unter vielen konservativen Muslimen für Empörung gesorgt. Und mit der Rache an den verantwortlichen Karikaturisten erhofft man sich die Unterstützung dieser Leute.

Sie haben schon El Kaida und den Islamischen Staat angesprochen. Unabhängig davon, wer letztendlich für den Anschlag in Paris verantwortlich war: Wer ist in der Lage, solche Terroraktionen durchzuführen, bei denen etwas Planung und Logistik erforderlich sind?

Neumann: Da kann ich mir nur diese zwei Gruppen vorstellen. Entweder ist es tatsächlich El Kaida. Da gibt es Splittergruppen, etwa El Kaida im Jemen oder die al-Nusra-Miliz in Syrien, die technisch hochkompetente Leute haben und wissen, wie man so etwas durchführt. Überhaupt hat El Kaida die zusätzliche Motivation, sich wieder ins Gespräch zu bringen, wo derzeit der Islamische Staat im Vordergrund steht. Die zweite Möglichkeit sind IS-Kämpfer, die aus Syrien zurückgekehrt sind. Es ist ja bereits bewiesen, dass die Rückkehrer aus Konfliktgebieten die gefährlichsten Terroristen sind, weil sie dort brutalisiert werden – und Kampferfahrung und Wissen mitbringen, wie man einen Anschlag vorbereitet.

In Frankreich gibt es historisch bedingt viele Menschen mit nordafrikanischen und damit muslimischen Wurzeln. Kann man die Situation in Frankreich überhaupt mit der in Deutschland vergleichen?

Neumann: In Frankreich ist die Situation akuter und problematischer. Erstens weil dort das Verhältnis zwischen muslimischer und Mehrheitsbevölkerung viel schlimmer ist als in Deutschland. Es gibt dort viel mehr Feindschaft und Misstrauen. Da muss man sich Sorgen um die Entwicklung der französischen Gesellschaft machen. Zweitens gibt es dort mit dem Front National eine sehr starke politische Kraft am rechten Rand. Und drittens gibt es auf der salafistischen Seite viel mehr Extremisten als in Deutschland. Wir reden im Moment von 1000 französischstämmigen Dschihadisten, die in Syrien gekämpft haben und zurückgekehrt sind – doppelt so viele wie in Deutschland, obwohl Deutschland das größere Land ist. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass es hier kein Problem gibt.

Was entgegnen Sie Leuten wie Pegida-Verantwortlichen oder AfD-Vize Alexander Gauland, die jetzt sinngemäß sagen: „Wir haben es gewusst. Das ist der Beweis für unsere Befürchtungen.“?

Neumann: Zunächst einmal muss man feststellen, dass der Anschlag von Pegida und Gauland tatsächlich ausgeschlachtet wird – und das, obwohl gar nicht so klar ist, vor was Pegida denn eigentlich warnt: Ihnen ging es immer um eine „Islamisierung des Abendlandes“; bei dem Anschlag geht es um viel mehr. Man muss hier eines verstehen: Mit den vier Millionen Muslimen in Deutschland gibt es alle möglichen Themen, die zu Spannungen führen – politischer, kultureller, ökonomischer, sozialer Art. Da ist eine Integrationsdebatte notwendig. Aber diese Debatte muss besonnen geführt werden.

Zuwanderung und Anschlagsrisiko haben also nichts miteinander zu tun?

Neumann: Wenn es um Terrorismus und die Sicherheit geht, reden wir nicht über die vier Millionen Muslime in Deutschland, sondern über die 8000 bis 10 000 möglicherweise gewaltbereiten Salafisten, aus denen sich Dschihadisten rekrutieren. Diese kommen eben nicht aus der breiten muslimischen Bevölkerung, sondern aus der salafistischen Szene. Das ist die Problemgruppe. Wenn man jetzt sagt, wir haben ein Problem mit allen Muslimen, dann ist das eine Falschdarstellung. Und das kann dazu führen, dass die Muslime, die die Salafisten ablehnen und sich hier integrieren wollen, in eine Position geraten, wo sie nicht mehr wissen, wo sie hingehören.

Peter Neumann

Der Würzburger Terrorismusforscher Peter Neumann ist Professor am renommierten Londoner King's College und leitet dort das „Internationale Zentrum zum Studium von Radikalisierung“. Mit einem vierköpfigen Team durchforstet er soziale Netzwerke nach Dschihadisten. Dabei arbeitet der 39-Jährige mit Regierungen, Nachrichtendiensten und internationalen Organisationen zusammen. Bei den Beratungen des UN-Sicherheitsrats über die im vergangenen Jahr verabschiedete Resolution gegen ausländische Kämpfer war er einziger externer Berater. Neumann lebt seit 15 Jahren in London, vorher war er in Belfast, Madrid und Washington tätig. FOTO: Privat

 
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