Sebastian Edathy (SPD), Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses, wirft Teilen der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit den NSU-Morden ein Eigenleben vor, das dem Rechtsstaat schadet. Er befürwortet aber den Einsatz von V-Leuten gegen Rechtsterrorismus.
Sebastian Edathy: Ich hoffe, dass noch bis zum Verfahrensbeginn eine Regelung gefunden werden kann, die es ermöglicht, dass Repräsentanten der Türkei, zumindest der türkische Botschafter, zeitweise beiwohnen können. Wir haben es zu tun mit einem Verfahren, in dem es unter anderem um sechs türkische Staatsbürger und zwei weitere türkischstämmige Deutsche geht, die wegen ihrer Herkunft ermordet worden sind. Ich finde das Anliegen sehr nachvollziehbar, dass zumindest der türkische Botschafter als höchster Repräsentant seines Landes dem Prozess beiwohnen können sollte.
Edathy: Die Aufgabe des Gerichtes ist eine andere als die eines Untersuchungsausschusses. Uns interessiert ja als Parlamentarier vor allen Dingen die Frage, wie es möglich sein konnte, dass deutsche Sicherheitsbehörden über 13 Jahre hinweg einer rechtsterroristischen Bande nicht auf die Spur gekommen sind, die mutmaßlich Verantwortung trägt für zehn Morde, zwei Anschläge und 14 Überfälle. Vor Gericht geht es darum, ob die Vorwürfe der Generalbundesanwaltschaft, was die Erfüllung von Straftatbeständen betrifft, berechtigt sind. Im Gerichtsverfahren kann es um nichts anderes gehen, als um die Prüfung der strafrechtlichen Relevanz von Verhalten, während wir einen Ansatz haben, der darüber deutlich hinausgeht.
Edathy: Das hat mindestens zu tun mit einem beispiellosen Versagen unserer Sicherheitsbehörden. Offenkundig ist man von vorneherein fälschlicherweise davon ausgegangen, dass es sich bei den Morden um einen Hintergrund im Bereich der organisierten Kriminalität handeln müsse. Die Möglichkeit eines rassistischen Tatmotives ist erst sehr spät und dann zudem nur sehr oberflächlich in Erwägung gezogen worden.
Edathy: Wir brauchen eine bessere Vernetzung der Behörden, einen intensiveren Informationsaustausch, auch mehr Expertise, was die Beobachtung rechtsextremistischer Strukturen betrifft. Weil wir es nicht nur mit einem Struktur-, sondern auch mit einem Mentalitätsproblem zu tun haben, müssen wir zudem sicherstellen, dass mehr Sorgfalt auf die Auswahl des Personals und dessen Weiterqualifikation gelegt wird.
Edathy: Definitiv. Ich habe den Eindruck, dass Teile des Verfassungsschutzes eine gewisse Art von Eigenleben entwickelt haben, das für den Rechtsstaat nicht dienlich sein kann. Wenn ein Nachrichtendienst dazu übergeht, den Schutz der Identität eines Informationsgebers für wichtiger zu halten als das Leisten eines Beitrags zur Verfolgung einer schweren Straftat, dann ist jegliche Verhältnismäßigkeit gesprengt.
Edathy: Die Arbeit der nachrichtendienstlichen Informationssammlung im Vorfeld, was extremistische Personen und Gruppierungen betrifft, ist weiterhin nötig im Sinne der wehrhaften Demokratie. Dies sollte künftig aber nach meinem Dafürhalten nicht in den Strukturen und mit den Methoden geleistet werden, die bisher den Verfassungsschutz zu prägen scheinen.
Edathy: Man kann keine generalisierende Aussage treffen. Allerdings scheint das Instrument der sogenannten V-Leute inflationär und unverhältnismäßig zum Einsatz gekommen zu sein. Es ist völlig aberwitzig, dass beispielsweise die Landesämter für Verfassungsschutz sich wechselseitig nicht informieren, woher sie welche Informanten haben. Und es muss sichergestellt werden, dass Hinweise auf Straftaten an die Polizei gegeben werden. Das entspricht der Rechtslage. Nur mangelt es offenkundig teilweise an Kontrolle.
Edathy: Gerade wenn ich davon ausgehen muss, dass extremistische Gruppierungen vermehrt abgeschottet arbeiten, wird es sehr schwer, zur Erhebung interner Informationen hauptamtliche Beschäftigte inkognito dort entsprechend einzuschleusen. Insofern ist es vertretbar, in Einzelfällen, wenn es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, Informanten zu nutzen. Wobei klar sein muss, dass der Einsatz einen Zweck erfüllt, nämlich die Stärkung der Sicherheit und die Extremismusabwehr. Er darf nie Selbstzweck sein.
Edathy: Wir haben dafür bisher keine konkreten Anhaltspunkte. Wir werden aber allen Hinweisen, die uns vorliegen, soweit wir es noch nicht geleistet haben, bis zum Abschluss der Arbeit nachgehen. Unser Ziel ist ja letztendlich, Vertrauen in den Rechtsstaat zurückzugewinnen. Das heißt, es dürfen keine zentralen Fragen offenbleiben. Die Frage, ob es sich um mehr gehandelt haben könnte als um eine enorme Ansammlung von Fehlern, gehört dazu.
Edathy: Ich halte mehr und gezieltere Repression gegen Rechtsextremisten für dringend geboten. Mindestens genauso wichtig ist aber, alles dafür zu tun, damit junge Leute erst gar nicht in diese antidemokratischen Bereiche abdriften können. Ich bin jemand, der sehr für Aussteigerprogramme ist. Aber viel wichtiger sind Maßnahmen der Jugendarbeit, die zum Beispiel den Einstieg verhindern helfen.
NSU-Untersuchungsausschuss
Seit Februar 2012 arbeiten elf Bundestagsabgeordnete in einem Untersuchungsausschuss die Verbrechen der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) auf. Ihre Aufgabe ist es, sich ein Gesamtbild über die Gruppe zu verschaffen, ihre Mitglieder und Taten, ihr Umfeld und ihre Unterstützer. Auch soll er klären, warum so lange unerkannt schwerste Straftaten begangen werden konnten und welche Fehler oder Versäumnisse von Behörden dabei eine Rolle gespielt haben. Der Vorsitzende Sebastian Edathy, 43, vertritt für die SPD den niedersächsischen Wahlkreis Nienburg-Schaumburg. Der Sozialwissenschaftler mit indischen Vorfahren war von 2005 bis 2009 Vorsitzender des Innenausschusses. Foto: dpa