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Debatte über den Verfassungsschutz
Bundesamt für Verfassungsschutz       -  Pannen über Pannen bei den Ermittlungen gegen die Neonazi-Zelle NSU setzen den Verfassungsschutz unter Druck. Foto: Oliver Berg
| Pannen über Pannen bei den Ermittlungen gegen die Neonazi-Zelle NSU setzen den Verfassungsschutz unter Druck. Foto: Oliver Berg
Von unserem Korrespondenten RUDI WAIS
 |  aktualisiert: 13.01.2016 11:06 Uhr

Behörden gibt es genug. Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln, ein Landesamt in jedem Bundesland, dazu noch der Militärische Abschirmdienst, der nach Staatsfeinden in der Bundeswehr fahndet: 18 Dienststellen in Deutschland sammeln im Moment Informationen über Links- und Rechtsextremisten, über militante Islamisten, Mitglieder der Scientology-Sekte oder mutmaßliche Waffenhändler und Wirtschaftsspione. Ob diese Struktur noch zeitgemäß ist, wird nicht erst seit dem Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle diskutiert. Mit jeder neuen Panne jedoch, die im Sog der Neonazi-Affäre bekannt wird, werden die Rufe nach einer Reform des Verfassungsschutzes lauter. Selbst im Kabinett sind sich die zuständigen Minister inzwischen nicht mehr einig.

„Behördenstruktur und Aufgabenverteilung der Verfassungsschutzämter müssen bis in jeden Blickwinkel ausgeleuchtet werden“, sagte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) dem „Tagesspiegel“. Die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse hätten gezeigt, dass nicht nur innerhalb einer Verfassungsschutzbehörde Informationen schlecht kommuniziert würden, sondern erst recht zwischen den Verfassungsschutzämtern. Die Zahl der Behörden müsse reduziert werden, forderte Leutheusser-Schnarrenberger. Daneben gehörten die Aufgaben und Befugnisse auf den Prüfstand. Der Verfassungsschutz müsse sich auf die wenigen Aufgaben konzentrieren, bei denen wirklich eine Gefahr für die Grundordnung drohe. Gleichzeitig sei zu vermeiden, dass die Polizei schleichend die Aufgaben des Verfassungsschutzes übernimmt. „Das Trennungsgebot ist für die FDP unverzichtbar.“

„Eine sehr pauschale Forderung“

Die Forderung von Leutheusser-Schnarrenberger, mehrere Ämter zusammenzulegen, wies Innenminister Hans-Peter Friedrich am Wochenende brüsk zurück. „Das ist eine sehr pauschale Forderung, die ich nicht so ganz nachvollziehen kann“, konterte der CSU-Politiker. Während die Kollegin den Dienst deutlich verkleinern und von einem Teil seiner bisherigen Aufgaben befreien will, spricht Friedrich nur vage von mehr Effizienz. Abspecken will er den Verfassungsschutz nicht. Die Herausforderungen, prophezeit er, „nehmen eher noch zu“.

Viele Experten jedoch haben so ihre Zweifel, ob der Inlandsgeheimdienst in seiner gegenwärtigen Organisation seine Aufgaben noch erfüllen kann. Eine Reihe kleinerer Verfassungsschutzämter habe weder das Personal noch das Know-how dafür, hatte der frühere Verfassungsschutzpräsident Hansjörg Geiger bereits nach den ersten Berichten über die Zwickauer Zelle in einem Interview mit dieser Zeitung moniert. Der gebürtige Allgäuer plädiert dafür, die Zahl der Landesämter auf acht zu halbieren und den Nachrichtenfluss zwischen den verbleibenden Behörden so deutlich zu verbessern. „Je mehr Schnittstellen es gibt“, warnt er, „umso mehr Informationsverluste haben sie.“

Schlamperei und fehlende Koordination

Dass viele Landesämter nebeneinander her arbeiten anstatt miteinander, hat bereits das verpatzte Verbotsverfahren gegen die NPD vor zehn Jahren gezeigt. Damals hatte praktisch jedes Landesamt ohne Absprache mit anderen Dienststellen eigene V-Leute in die Partei eingeschleust – mit dem Ergebnis, dass das Bundesverfassungsgericht am Ende kaum noch unterscheiden konnte, wer in der NPD ein V-Mann war und wer nicht und ein Verbot der Partei deshalb ablehnte. Im Fahndungsdesaster um die Terrorgruppe NSU wiederholten sich viele dieser Fehler dann noch einmal – unter anderem begünstigten die schlampige Arbeit der Thüringer Verfassungsschützer und die fehlende Koordination mit anderen Landesämtern das Untertauchen von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe.

Ehe er sich an die Reform des Dienstes begeben kann, muss Friedrich allerdings noch eine wichtige Personalie klären: Wer soll Nachfolger des zurückgetretenen Heinz Fromm als Präsident des Bundesamtes werden? Im Gespräch dafür ist, unter anderem, der 50-jährige Hans-Georg Maaßen, einer seiner Spitzenbeamten im Innenministerium. So weit wie Renate Künast es ihm empfiehlt, wird der CSU-Mann Friedrich dabei allerdings kaum gehen: Die grüne Fraktionsvorsitzende plädiert dafür, das Personal im Bundesamt und in den Landesämtern zu großen Teilen auszutauschen. „Dieser Fisch“, sagt sie, „stinkt nicht nur vom Kopf her.“ Mit Material von dpa

 
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