
Ich stehe in Würzburg in einer Menschenmenge. Um mich herum wehen Deutschlandfahnen. Es ist die Nacht des 13. Juli 2014. Deutschland ist gerade in Brasilien Fußballweltmeister geworden. Überall weht es schwarz-rot-gold, und ich fühle mich gut.
Wenige Monate später.
Ich stehe in Würzburg in einer Menschenmenge. Um mich herum wehen Deutschlandfahnen. Es ist Montagabend. Deutschland wurde gerade von einem Redner auf der Wügida-Kundgebung als „Abladeplatz für ausländischen Geburtenüberschuss“ bezeichnet. Überall weht es schwarz-rot-gold, und ich fühle Beklemmung.
In den letzten Monaten ist etwas kaputt gegangen. Etwas, was es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vor dem Jahr 2006 gar nicht gegeben hat: Innerhalb von vier Wochen haben sich die Deutschen neu erfunden, damals, im Jahr 2006, als während der Fußball-WM „die Welt zu Gast bei Freunden“ war. Es war ein „schwarz-rot-geiler“ Sommer, in dem die deutsche Fahne plötzlich nicht mehr verdächtig war, sondern beinahe Serienausstattung eines jeden Autos. In dem das Singen der Nationalhymne keine rechte Veranstaltung vermuten ließ, sondern ein neues Wir-Gefühl vor den Spielen stiftete. Es war eine Entspannung im Umgang mit der eigenen Identität, mit dem eigenen Nationalgefühl eingetreten, wie sie die inzwischen zweite oder gar dritte Nachkriegsgeneration nie gekannt – und sich unbewusst doch immer gewünscht hatte.
Das Ausland hat 2006 nicht etwa erschrocken auf die Deutschen geblickt, die plötzlich einen zwanglosen Fußball-Patriotismus an den Tag legten. Im Gegenteil. Das seit langem gute Image der Deutschen in aller Welt erlebte einen weiteren Schub. Deutschland präsentierte sich während der Heim-WM als weltoffener Austragungsort. „Die Welt zu Gast bei Freunden“ war nicht nur ein Motto. Gerade junge Franzosen oder Amerikaner – die aus der zweiten oder dritten Nachkriegsgeneration – hatten das Fremdeln ihrer deutschen Altersgenossen mit dem eigenen Land ohnehin nie verstanden.
Ob man sich für Fußball interessiert, oder nicht, ob man die Fähnchen an den Autos mochte, oder nicht, und ob einem die Entwicklung geheuer war, oder nicht – unbestritten ist, dass sich etwas verändert hatte. Damals, 2006. Keine neun Jahre später dreht Pegida die Zeit zurück. Die schwarz-rot-goldene Fahne in der Hand wird gegen Moslems gehetzt, gegen Journalisten, gegen die Politik, irgendwie gegen alles – Verschwörungstheorien, eine sehr fragwürdige Darstellung der Weltgeschichte und verbale Entgleisungen inklusive.
Wer dieser Tage die deutsche Fahne durch die Straßen trägt ist wieder verdächtig. Und das ist leider sehr gut nachvollziehbar. Das Demonstrantenspektrum reicht vom tatsächlich besorgten Bürger über vereinzelte Rechtsextreme bis hin zu klar identifizierbaren Hooligans in Bomberjacken. Dieses heterogene Sammelsurium braucht eben ein identitätsstiftendes Element: die Fahne.
„Die Welt zu Gast bei Freunden“? Ein Motto, das bei Pegida nicht gilt. Stattdessen wird Ausgrenzung betrieben. Die Fähigkeit, das Eigene gut, ohne das Andere schlecht zu finden, gibt es bei Pegida nicht. Hätten die Fans der Nationalmannschaft nach dem WM-Finale so getickt, wie Pegida – sie hätten sich mehr über die Niederlage der Argentinier als über den Erfolg der eigenen Mannschaft gefreut. Die Reden der Würzburger Pegida-Demonstranten drehen sich seit Wochen nur darum, wie schlecht das Andere ist: die andere Meinung, die andere Kultur, das andere selbstbewusste deutsche Selbstverständnis. Vom Podium aus lechzen wahlweise selbst ernannte Islam-, Asyl- oder Weltwirtschaftsexperten nach Zustimmung aus der Woche für Woche kleiner werdenden Demonstrantenschar vor ihnen, die sich selbst „das Volk“ nennen.
„Wir sind das Volk“, die Parole der DDR-Bürger aus der Wendezeit, okkupiert Pegida genauso wie die sogenannte Stauffenberg-Flagge: ein schwarzes Kreuz mit goldener Umrandung auf rotem Grund. Entworfen hat sie Josef Wirmer. Er gehörte zum engeren Kreis des Nazi-Widerstands und der Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944. Neben schwarz-rot-goldenen Fahnen schwenkt man bei Pegida aber gerne auch andere Nationalflaggen. „Pegida findet überall in Europa statt“, behauptete Wügida-Hauptredner Simon Kaupert kürzlich. Eine rechte Bewegung, die sich von Deutschland aus auf ganz Europa ausbreitet? Ein unwahrscheinliches Szenario, gleichzeitig aber auch eine verantwortungslose Idee, die im Widerspruch zur Verantwortung der Deutschen steht, die ihnen die eigene Geschichte bis heute überträgt.
Dabei könnte man mit dieser Verantwortung gut leben und als selbstbewusster Deutscher durch die Weltgeschichte laufen. Jedenfalls solange man die Erinnerung an die Gräueltaten des 20. Jahrhunderts als mahnendes Beispiel wachhält. Das Ausland sieht die Deutschen ohnehin traditionell besser als sie sich selbst. Pegida riskiert dieses Ansehen, das die Deutschen trotz allem haben. Und Pegida sorgt dafür, dass die deutsche Fahne als Symbol einen Bedeutungswechsel erlebt: Es besteht die Gefahr, dass Schwarz-Rot-Gold bald nicht mehr für ein weltoffenes, erfolgreiches Land steht. Sondern auch für eine Bewegung, die sich Ausgrenzung auf die Fahne geschrieben hat.
Der vermeintliche "unverkrampfte Patriotismus" ging auch da schon einher mit der Ablehnung und Abwertung der anderen und der Überhöhung des eigenen.
Da war nichts mit harmlosem oder sogar gesundem Stolz auf das Vaterland, bei dem man sich wohlfühlen konnte und jetzt plötzlich bei *gida erschrocken dreinblickt. Es sind dieselben Mechanismen.
Kann man auch von unterschiedlichen Forschern hören:
http://www.sueddeutsche.de/wissen/fahnenmeere-zur-em-party-patriotismus-ist-nationalismus-1.1394854
Patriotismus - find ich gut
Soll kein Beginn einer Diskussion sein - wäre sowieso Zeitverschwendung!
Dieses Patriotismus-Gerede wurde ihnen doch erst eingeredet, gottlob relativ erfolglos. Und deshalb waren sie - die Einreder - auch so enttäuscht und sind es vmtl. heute noch, weil man ihnen im wesentlichen einfach nicht gefolgt ist.
"Wer dieser Tage die deutsche Fahne durch die Straßen trägt ist wieder verdächtig. Und das ist leider sehr gut nachvollziehbar. Das Demonstrantenspektrum reicht vom tatsächlich besorgten Bürger über vereinzelte Rechtsextreme bis hin zu klar identifizierbaren Hooligans in Bomberjacken. Dieses heterogene Sammelsurium braucht eben ein identitätsstiftendes Element: die Fahne."
ist so ziemlich das dümmste was in der letzte Zeit gelesen habe.
Ich selbst hab damals im Fernsehen bei Berichterstattungen zu Griechenland, Sparmaßnahmen usw. die deutsche Fahne brennen sehen. Von Griechen angezündet, wo war da ihr Artikel? Wo war da die Aufregung der Deutschen Presse?
Hab keine gesehen
Lasst doch die Deutsche Fahne in Ruhe, was soll das jetzt? Gehetze? Sommerloch?
Ich häng sie gerne raus, die Unterfrankenfahne dazu usw. usw.
Die Farben von Pegida, siehe ihr Logo, sind schwarz, weiß. rot. So sollte auch die Fahne sein. Wenn man bei Pegida ehrlich zu seiner Gesinnung stünde, dann hätte diese Fahne auch ein seltsames Kreuz in der Mitte.
Meine Meinung dazu, Menschen die andere Menschen durch Farbsymbole identifizieren wollen bzw. ihnen bestimmte Farben zuordnen oder verweigern möchte, sind irgendwie im 19. Jahrhundert stehen geblieben ... aus der Zeit gefallen.
Zum Autor des Artikels, ein Kommentar bringt die Meinung des Autors zum Ausdruck ... man darf auch seine Meinung zu einem Kommentar äußern ... sorry, dies ist einfach ein selten schlechter Kommentar.
- widerspricht dies nicht Ihren pazifistischen, bunten Ansichten?
Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie grenzen doch auch aus.
Das was einen am meisten stört, sind meist die Eigenschaften, die man selbst hat
was soll das jetzt?
Das ist doch ein künstlich aufgebauschtes Thema - die Frage stellt sich doch gar nicht.
Wenn man das liest könnte man glauben Pegida hat das 4. Reich ausgerufen - ich lach mich kaputt, so ein Gesabbel..........
Das ist nicht nur eine Beleidigung für die Pegida-Anhänger, sondern auch für die
Pegida-Gegner
Kann man denn in Deutschland keine Demonstration aushalten ? egal zu welchem Thema .. es wird zwar ständig - je suis charlie - bekundet ... aber gibt es dann eine "unangenehme" Meinungskundgebung ... sieht man gleich die "deutschen Farben" beschmutzt.
Eine Demokratie muss ein derartige Demonstration aushalten, sonst ist es keine ... und wenn das die "Fahne" beleitigen sollte .... ohjeee.
Ich gebe Ihnem mal ein anderes, unverfänglicheres Beispiel ... von den Medien unbeachtet wurde Griechenland diese Woche vom Europarat wegen "rassistischer Gewalt in erheblichem Ausmaße" gerügt .... Diese Woche wurden in Griechenland alle Fußballspiel abgesagt, wegen rassistischer Gewalt. ....
Meinen Sie, da würde ein Grieche seine Landesfarben beschmutzt sehen ? ich denke nicht
Ein Glück nur, dass die Reichweite der Main-Post doch rel. begrenzt ist und das Print für die Meinungbildung immer bedeutungsloser wird.