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„Das ist völkerrechtswidrig“
reda
 |  aktualisiert: 13.03.2014 14:53 Uhr

Die Geschichte der Krim ist eine jahrhundertelange Abfolge von Krisen, Kämpfen und Kriegen. Jetzt droht die Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel, die zur Ukraine gehört, durch Russland: Ein Referendum soll den Beitritt zur Russischen Föderation klarmachen. Die EU-Staaten halten eine Annexion der Krim für „eine klare Verletzung“ der UN-Charta, der Schlussakte von Helsinki, der Verpflichtungen Moskaus aus Verträgen mit der Ukraine und des Budapester Memorandums von 1994. Darin hatte sich auch Russland im Gegenzug zum ukrainischen Atomwaffenverzicht zur Achtung der ukrainischen Souveränität verpflichtet. Der Konstanzer Politikprofessor Wolfgang Seibel glaubt, dass es noch diplomatische Möglichkeiten geben würde, die Annexion zu verhindern.

Frage: Herr Professor Seibel, Hillary Clinton hat Putin mit Hitler verglichen und die Krim-Krise mit der Sudetenkrise am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Was halten Sie von solchen Vergleichen?

Wolfgang Seibel: Es ist unsinnig, Hitler und Putin persönlich zu vergleichen. Hillary Clinton hat das so auch nicht gemeint. Sie hat von den Mechanismen gesprochen, die von der russischen Seite auf der Krim und in der östlichen Ukraine angewendet werden. Die erinnerten sie an die Taktik Hitlers, ethnische Spannungen in den Nachbarstaaten für die eigenen Zwecke auszunutzen. Und da ist ja in der Tat etwas dran.

Inwiefern?

Seibel: Was sich auf der Krim unter russischem Einfluss abspielt, geschieht unter dem Vorwand, man müsse den russischen Bevölkerungsanteil, der ungefähr bei 60 Prozent liegt, vor Übergriffen schützen. Diese sind aber in keiner Weise belegt. Das wird vielmehr zum Vorwand genommen, um auf der Krim unter Androhung von Waffengewalt vollendete Tatsachen zu schaffen. Sie laufen darauf hinaus, einen Landesteil eines Nachbarstaates zu annektieren. Das ist schlichtweg völkerrechtswidrig und ein Akt der Destabilisierung, den es in dieser Form in Europa nach 1945 nicht gegeben hat.

Aber auch andere Nationen erlaubten sich militärische Interventionen, zum Beispiel die USA 2003 im Irak. Ist das vergleichbar?

Seibel: In der Tat haben die USA mitunter dazu beigetragen, Völkerrechtsnormen zu schwächen. Man muss aber auch bei diesem Vergleich korrekt bleiben. 2003 haben die Vereinten Nationen über Monate hinweg über den Irak beraten und Resolutionen gefasst. Hier wurde wenigstens anfangs versucht, sich mit dem Problem auf völkerrechtlich korrekte Weise auseinanderzusetzen.

Tritt die Bundesregierung entschlossen genug gegenüber Moskau auf?

Seibel: Meiner Auffassung nach nicht.

Warum sind wir Deutsche, was Russland betrifft, so zurückhaltend?

Seibel: Das hat mit den tragischen Verflechtungen der deutsch-russischen Beziehungen zu tun. Wir Deutsche haben guten Grund zu tiefer Scham angesichts der Verbrechen, die Deutschland nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 verübt hat. Besonders berührend ist für mich auch, dass die russische Bevölkerung dies uns Deutschen in keiner Weise nachgetragen hat. Im Unterschied zu anderen Völkern, die unter dem Joch Hitler-Deutschlands während des Zweiten Weltkriegs gelitten haben, haben die Russen uns Deutschen gegenüber ein Gefühl der Freundschaft und des Respekts bewahrt. Das kann einen manchmal mit Demut erfüllen. Das ist vor allem bei der älteren Generation ein wichtiger Grund für den Impuls, dass es auf gar keinen Fall wieder zu einer Konfrontation zwischen Deutschland und Russland kommen darf.

Rechtfertigt dies jede Nachgiebigkeit?

Seibel: Nein, ganz im Gegenteil. Zunächst haben wir Deutsche diese historische Verantwortung ja auch gegenüber der Ukraine, die damals Teil der Sowjetunion war. Der erste große Massenmord des Holocaust fand 1941 in der Ukraine statt, in der Schlucht Babij Jar bei Kiew. Und wir müssen gemeinsam lernen aus der Erfahrung mit Diktaturen und autoritären Regimen. Putins Mittel sind charakteristisch für eine regionale Hegemonialmacht, die unter Androhung oder sogar Anwendung von Waffengewalt versucht, ein Nachbarland zu destabilisieren. Wir sollten gelernt haben, dass man solche Versuche energisch abblocken muss. Das erwarten übrigens von uns Deutschen vor allem die Polen, die 1939 Opfer des Hitler-Stalin-Paktes geworden sind. Es ist ja kein Zufall, dass der polnische Außenminister Sikorski besonders drastische Formulierungen benutzt und in Bezug auf Putin sagt: „Das Raubtier bekommt beim Fressen Appetit.“ Putin braucht, um bei diesem Bild zu bleiben, einen starken Appetithemmer.

Trauen Sie vor dem Hintergrund der unterschiedlichen geschichtlichen Erfahrungen der EU zu, mit einer Stimme zu sprechen?

Seibel: Im Augenblick geht es um die Frage, ob man Sanktionen verhängen soll, und wenn ja, welche und gegenüber wem. Da scheiden sich in der EU die Geister. Ich halte es aber für möglich, zu einer gemeinsamen Entscheidung zu gelangen. Eine solche gemeinsame Position ist natürlich immer eine Kompromissposition. Aber das gilt ja selbst für unsere Bundesregierung. Deren Linie ist ja ein Kompromiss zwischen den Koalitionspartnern.

Sehen Sie noch eine Möglichkeit, die Krise auf diplomatischem Weg beizulegen?

Seibel: Ja, diese Möglichkeit besteht. Es geht zunächst darum, Russland zu garantieren, dass der Status der Schwarzmeerflotte unangetastet bleibt. Es ist auch denkbar, Russland zu signalisieren, dass die Ukraine auf absehbare Zeit nicht in die Nato aufgenommen wird. Es geht also um konkrete Zusicherungen des Westens, was die Sicherheitsinteressen Russlands betrifft. Aber Russland muss seinerseits handfeste Gegenleistungen erbringen. Russland muss die faktische Annexion der Krim rückgängig machen, es muss die staatliche und territoriale Integrität der Ukraine anerkennen und nach den jüngsten Gewaltdrohungen nun einen ausdrücklichen Gewaltverzicht aussprechen. Mit anderen Worten: Russland muss zu den Grundstandards eines zivilisierten politischen Umgangs in der internationalen Politik zurückkehren.

Wolfgang Seibel

Wolfgang Seibel, geboren 1953, hat seit 1990 an der Universität Konstanz den Lehrstuhl für Innenpolitik und öffentliche Verwaltung inne. Unter anderem hat er sich wissenschaftlich mit UN-Friedensmissionen auseinandergesetzt. Seibel arbeitet außer in Konstanz auch an der Hertie School of Governance in Berlin. Wegen seiner Forschung zum Holocaust wurde er mehrfach zu Forschungsaufenthalten nach Princeton (USA) eingeladen. Zudem ist Seibel Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Text: Dieter Löffler

 
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