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„Das größte Umweltgift“
Pat Christ
Pat Christ
 |  aktualisiert: 23.06.2016 03:38 Uhr

Wie ungesund Rauchen ist, belegen Zahlen: Über 120 000 Menschen sterben in Deutschland jährlich durch die direkten Folgen des Tabakkonsums. Dem Arbeitskreis Suchthilfe der Uni Würzburg ist es ein wichtiges Anliegen, hierüber aufzuklären. Bei einer Tagung anlässlich des 20-jährigen AK-Bestehens geht es am Mittwoch, 15. Juni, ab 14 Uhr in der Würzburger Neubaukirche um alte und neue Konsumtrends. Im Vorfeld sprachen wir mit dem Würzburger Suchtforscher Jobst Böning, Mitbegründer des Arbeitskreises.

Frage: 2015 wurden in Deutschland über 185 Milliarden Zigaretten produziert. Das waren fast vier Prozent mehr als im Vorjahr. Doch angeblich gibt es immer weniger Raucher. Wie erklären Sie sich den Produktionsanstieg?

Jobst Böning: Die weniger werdenden Raucher beziehen sich vor allem auf ganz junge Menschen, Jugendliche und junge Erwachsene sowie abstinent gewordene, ehemalige Raucher im höheren Lebensalter. Doch es gibt nach wie vor einen harten Kern von Dauerrauchern. Dazu gehören 30 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen.

Der soeben vorgestellte Bericht zur psychischen Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen in Bayern wartet mit einem erfreulichen Ergebnis auf: Demnach hat der Anteil der jugendlichen Raucher mit 9,6 Prozent den niedrigsten Wert seit Beginn der Erhebungen Ende der 1970er Jahre erreicht. Hätten Sie eine solche Entwicklung erwartet?

Böning: Nicht unbedingt, denn im Bundesdurchschnitt liegt diese Zahl etwas über zehn Prozent, wobei sie vor zehn Jahren noch doppelt so hoch war. Wahrscheinlich hat sich hier die bayerische Präventionspolitik mit dem effektivsten aller Nichtraucherschutzgesetze in der Bundesrepublik bewährt.

Seit Jahren wird versucht, Jugendliche durch Präventionsprojekte davon abzuhalten, mit dem Rauchen zu beginnen. Wie gut greift die Aufklärungsarbeit nach Ihrer Ansicht in Bayern?

Böning: In Bayern haben wir flächendeckend Präventionsprojekte, die qualifiziert und von der Gesundheitspolitik unterstützt auf vielfältige Weise durchgeführt werden. Diese Präventionsprojekte sind deshalb so erfolgreich, weil der Nichtraucherschutz in Bayern die Gesundheit der Kinder vor ökonomische Wirtschaftsinteressen stellt.

Unter den Erwachsenen scheinen immer mehr Frauen zu rauchen. Die Zahl der deutschen Frauen, die an den Folgen des Rauchens starben, soll binnen zehn Jahre um 33 Prozent auf fast 16 000 im Jahr 2014 gestiegen sein. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Zigaretten für Frauen attraktiver geworden sind?

Böning: Rauchen galt gerade bei Frauen ab den 60er Jahren in den USA und zeitversetzt dann auch hierzulande nicht als potenziell tödliche Gefahr, sondern als cool, sexy und extravagant. Erst heute sind die massiven gesundheitlichen Schäden und das hohe Suchtpotenzial von Nikotin bekannt. Neben verhaltenspräventiven Maßnahmen haben wirksame ordnungspolitische Eingriffe zum Rückgang der Raucherzahlen insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen geführt. Der derzeitige Wiederanstieg ausgerechnet bei Mädchen sowie bei Frauen, die erfolgreich in der Arbeitswelt stehen, mag am wachsenden Selbstbewusstsein im Rahmen der Emanzipation liegen.

Die meisten Raucher wollen ihren Zigarettenkonsum einschränken. Allerdings schaffen es offenbar nur drei Prozent, spontan und dauerhaft abstinent zu bleiben. Sie brauchen Hilfe. Gibt es denn genug Unterstützung für Menschen, die das Rauchen aufgeben wollen?

Böning: Gute Hilfen gibt es inzwischen ganz sicherlich, man muss sie als Betroffener nur ernst nehmen und offen dafür sein. Gesundheitspolitisch wird zudem gerade darum gekämpft, abhängiges Rauchen nicht mehr wie bisher nur als eine Lifestyle-Erkrankung zu sehen, die man selbst zu verantworten hat. Nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen ist abhängiges Rauchen eine echte Suchterkrankung. Raucher sollten deshalb künftig den gleichen Anspruch auf Rehabilitation haben wie andere anerkannte Suchtkranke, also Abhängige von Alkohol oder Drogen.

Seit wenigen Wochen müssen auf frisch produzierten Zigarettenpackungen in Deutschland Schockfotos gezeigt werden. Schrecken diese Bilder wirklich ab? Denken Raucher dadurch intensiver darüber nach, einen Entzug zu versuchen?

Böning: Man weiß, dass mindestens zwei Drittel der Bildfläche mit solchen Schockfotos ausgestattet sein muss, um langfristig einen gewissen Effekt erreichen zu können. Länder wie Australien oder Kanada, die das getan haben, stehen heute darum besser da als Zögerer wie Deutschland. Unser Land hat sich lange Zeit dem Diktat der Tabaklobby, die Schockfotos bekämpft, untergeordnet. Der schwer Nikotinsüchtige wird sich natürlich kaum von den Schockbildern beeinflussen lassen, zu stark ist er Sklave seiner Abhängigkeit. Aber es geht bei der Strategie ja um ein allgemeines Zeichensetzen gegen die hemmungslose, letztlich tödliche Werbung der Tabakindustrie.

Die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler möchte neben den Gruselfotos bis 2020 auch ein Tabakwerbeverbot durchsetzen. Das gefällt der Tabakindustrie natürlich auch nicht. Wie wichtig ist es in Ihren Augen, dass das Werbeverbot kommt?

Böning: Tabak mit seinen über 4000 toxischen Nebenprodukten ist noch vor Kohlendioxidausstoß und Feinstaub das größte Umweltgift, das wir kennen. Für ein Produkt höchster gesundheitlicher Schadenskategorie noch Werberecht zu fordern, ist unethisch und zynisch.

In den letzten Monaten haben die Debatten um elektronische Zigaretten zugenommen. Auch darum wird es ja auf Ihrer Tagung gehen. Was ist von diesen Erzeugnissen zu halten? Sind sie eine Ausstiegshilfe? Oder stellen sie eine Einstiegsdroge dar?

Böning: Die Tabaklobby hat gemerkt, dass sie mit klassischen Zigaretten nicht mehr landen kann. Deshalb steigt sie auf elektronische Zigaretten um, okkupiert den gesamten Markt und versucht dadurch, neue Kunden zu generieren. Einigen abhängigen Rauchern, die sich durch keine anderen Hilfen erreichen lassen, könnten elektronische Zigaretten in Einzelfällen helfen, ihren Konsum zu reduzieren. Die Langzeitwirkung der elektronischen Zigaretten ist jedoch völlig unbekannt. Bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen stellen sie ein nicht kalkulierbares Risiko dar.

Jobst Böning

Bis 2005 war Jobst Böning (76) Psychiatrieprofessor und leitender Oberarzt der Psychiatrischen Universitätsklinik Würzburg. 1986 wurde er Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie. Vier Jahre später begann er, die Klinische Suchtmedizin in Würzburg aufzubauen. Deutschlandweites Ansehen gewann Böning durch seine Forschungen zur Frage, wie das menschliche Gehirn krankhaftes Suchtverhalten „lernt“. FOTO: Pat Christ

 
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