US-Außenminister John Kerry hat bei einem überraschenden Besuch in Bagdad die politische Elite des Landes unter Verweis auf den Vormarsch der Isis zur Eile gedrängt. Das Land brauche keine Spaltung, sondern eine Einheitsregierung, betonte er. Isis-Extremisten haben nach Angaben der Vereinten Nationen allein im Juni mindestens 1075 Menschen getötet. Die weitaus meisten waren Zivilisten und lebten in den nördlichen und westlichen Regionen des Landes. Die USA wollen das irakische Militär im Kampf gegen die Terrortruppe unterstützen. Ohne Gewehr im Anschlag, sagt der ehemalige US-Botschafter im Irak, James Jeffrey, sei da derzeit nichts zu erreichen. Im Gespräch mit dieser Zeitung lässt er auch keinen Zweifel aufkommen: Der Einsatz gegen Isis eilt.
James Jeffrey: Was Kerry und auch der Präsident meinen, ist im Kern ein Vorstoß der Isis in die schiitischen Gebiete, um Bagdad von seinen Versorgungsquellen abzuschneiden. Das ist ihr erklärtes Ziel. Dahinter steht die Strategie, einen schiitisch-sunnitischen Bürgerkrieg zu provozieren, den Iran und andere Länder hineinzuziehen. Wenn sie das tun, werden wir wahrscheinlich so gut wie sofort militärische Gewalt anwenden. Deshalb haben wir den Flugzeugträger vor Ort und Personal am Boden. Es ist aber nicht unsere Präferenz, weil wir unsere mögliche militärische Unterstützung als Druckmittel verwenden wollen, um eine Regierung mit breiter Unterstützung zu ermöglichen. Luftschläge und irakische Truppen, die ihr Gebiet verteidigen, mögen kurzfristig Erleichterung schaffen, aber die langfristige Lösung ist mehr politisch als militärisch.
Jeffrey: Der Präsident hat recht damit, militärische Gewalt nur zusammen mit einer politischen Strategie anzuwenden, die das von der Isis eroberte Territorium zurückgewinnt. Ohne eine politische Strategie können wir sie in alle Ewigkeit bombardieren. Wir bombardieren im Westen Pakistans, aber damit ändert man die Situation nicht. Mit Bombardierungen, die nicht von einer politischen Strategie begleitet werden, würden wir nur erreichen, dass die gesamte sunnitische Bevölkerung in die Arme der Isis getrieben würde.
Jeffrey: Das ist so eine Erste- gegen die Dritte-Welt-These, der viele Leute anhängen, denken Sie nur an Jürgen Trittin von den Grünen. Aber wenn Sie mit dem Rücken zur Wand stehen wie jetzt, verschwindet das schnell. Diese Erfahrung haben wir auch anderswo gemacht.
Jeffrey: Natürlich! Zunächst mal folgt die amerikanische Öffentlichkeit ihren Präsidenten. Was sie nicht will, ist ein neuer Irakeinsatz, bei dem Zehntausende Amerikaner in einem endlosen Krieg getötet und verwundet werden. Aber das ist eine falsche Wahrnehmung. Teilweise hat die Regierung sie absichtlich gefördert, indem sie alles mit dem Irak verglichen hat und jedes Mal vor unkontrollierbaren Dammbrüchen warnte. Der Grund war, dass sie nicht einmal sehr begrenzte Militäroperationen unternehmen wollte, wie das vergangenes Jahr in Syrien zur Debatte stand. Das ist eines der Probleme, die viele von uns mit dieser Regierung haben.
Jeffrey: Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Rolle für irgendjemanden außer den großen Beteiligten. Das hier ist ernst, es ist real, es ist eine Art August 1914. Es geht um Iran, Amerika, Irak, um die Türkei und Saudi-Arabien. Und um die Kurden, die eine quasi-unabhängige Einheit darstellen. Es ist nicht die Zeit, um den UN-Generalsekretär einzufliegen, damit er Treffen abhält und Herausforderungen anspricht, wie man so sagt. Wenn Sie kein Gewehr im Anschlag haben, können Sie im Moment nicht wirklich etwas anbieten.
Jeffrey: Die Rolle des Iran ist im Wesentlichen, den gesamten Irak zu unterstützen. Wenn die Iraner ein einheitliches Land wollen, gibt es nur einen Weg für sie, das zu erreichen: Sie müssen den Versuch unterstützen, Ministerpräsident Nuri al-Maliki loszuwerden.
Jeffrey: Mit Maliki null. Mit fast jedem anderen wird es sehr schwierig, weil die Kurden inzwischen zu einer De-Facto-Unabhängigkeit entschlossen sind und dafür die volle Unterstützung der Türkei haben. Und die Isis-Leute werden kämpfen bis aufs Letzte.
Jeffrey: Unser Druckmittel ist einfach die Botschaft: Du wirst keine wesentliche amerikanische Unterstützung erhalten, und ohne diese Unterstützung wirst du das Land nicht zusammenführen können, weil die Iraner uns nicht ersetzen können.
Jeffrey: Der Abzug war ein Fehler, aber vergessen Sie nicht: Es war nicht unsere Regierung, die ihn wollte, es waren die Iraker. Es war deren Fehler. Das Problem an Demokratien ist, dass sie Dummheiten machen.
Jeffrey: Diese Leute irren sich. Die Verhandlungen wurden von mir geleitet.
James Jeffrey
Von 2010 bis 2012 war James Jeffrey US-Botschafter im Irak, er arbeitet heute unter anderem für das Washington Institute for Near East Policy. Vor seinem Einsatz in Bagdad hat der 1946 geborene Wirtschaftswissenschaftler und Historiker seinem Land als Topdiplomat in der Türkei und Albanien gedient; in der zweiten Amtszeit von Präsident George W. Bush war er ein Jahr lang Vizesicherheitsberater. Von 1989 bis 1991 hat er in München gelebt.
FOTO: Washington Institute for Near East Policy