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MÜNCHEN
„Das Böse ist banaler, als wir denken“
Carolin Münzel
 |  aktualisiert: 07.01.2016 14:55 Uhr

Alexander Horn leitet seit 17 Jahren die Operative Fallanalyse (OFA) in Bayern. Er hilft mit seiner Arbeit, die er in einem aktuellen Buch beleuchtet, vor allem dabei, Serientäter zu überführen. Im Gespräch räumt er mit Klischees über Profiler auf und erklärt, warum ein echter Serienmörder nichts mit dem Filmpsychopaten Hannibal Lecter zu tun hat.

Frage: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass das Fernsehen oft ein falsches Bild vom Profiling beziehungsweise der Fallanalyse zeigt. Inwiefern?

Alexander Horn: Es geht ja eigentlich schon mit dem Begriff los – Profiler. Das zielt ganz stark auf das Täterprofil ab, das entwickelt wird. Das greift aber viel zu kurz. Denn unsere Arbeit als Fallanalytiker ist nicht nur die Erstellung eines Täterprofils. Der Kern der Arbeit ist es, ein Fallverständnis zu entwickeln. Die Frage zu beantworten: Womit haben wir es hier tatsächlich genau zu tun. Das geht ja weit über das Täterprofil hinaus. Deswegen ist die Differenzierung zwischen Profiler und Fallanalytiker wichtig.

Ist der Job des Fallanalytikers also langweiliger, als das, was man von Profilern aus dem TV kennt?

Horn: (lacht) Auf jeden Fall. Denn was man in den Serien nicht sieht, ist beispielsweise, wie ein Fallanalytiker ein 40- oder 50-seitiges Obduktionsgutachten durchgeht, in dem auf 150 Ziffern Verletzungen beschrieben sind. Bei jeder einzelnen Verletzung stellt sich die Frage, wie kann die entstanden sein, wie konnte das passieren.

Woher kommt Ihrer Meinung nach das Interesse vieler Menschen für Verbrechen und den Job des Profilers? Gibt es eine Grundfaszination für das Böse?

Horn: Das mit Sicherheit. Verbrechen haben die Menschen schon immer interessiert, weil es Tabubrüche sind, die begangen werden. Vor allem die Kombination von Sexualität und Verbrechen, die bei unseren Fällen ja häufig vorliegt, ist natürlich das, was die Öffentlichkeit interessiert. Mit dem Film „Das Schweigen der Lämmer“ fanden Serienmörder außerdem Eingang ins Fernsehen und mit Hannibal Lecter (Hauptfigur des Films, Anm. d. Red.) wurde sozusagen ein Prototyp des Serienmörders geschaffen.

Wobei ich Ihr Buch schon unheimlicher fand als besagten Film.

Horn: Weil es die Realität ist. Wir reden über einen Serienmörder und denken dabei an Hannibal Lecter. Aber schauen Sie sich zum Beispiel den Maskenmörder in Niedersachsen an (der Jungen unter anderem aus Schullandheimen und Zeltlagern entführte, Anm. d. Red.) – das ist kein Monster. Wenn man einen Serienmörder sucht und dabei über die Öffentlichkeit geht, um Hinweise zu bekommen, dann bin ich erst einmal damit beschäftigt, die Leute davon wegzubringen, dass wir Hannibal Lecter suchen. Es kann durchaus jemand sein, der angepasst ist, der ein „ganz normales Leben“ führt. Das wurde mir bei der Suche nach dem Maskenmann wieder bewusst. Als wir ihn später ermittelt hatten, kam der Klassiker. Leute aus der Nachbarschaft beschrieben ihn als nett, freundlich und hilfsbereit und sagten: Das hätte ich dem ja nie zugetraut. Aber wem trauen wir es denn zu? Das ist ja die Frage. Und das war auch der Gedanke, der hinter dem Buch steckt. Da mal ein bisschen aufzuklären. Das Böse ist häufig viel banaler, als wird denken.

Sie schreiben, dass die Fallanalyse nach gewissen Qualitätsstandards abläuft. Wie sehen die aus?

Horn: Ganz wichtig ist, dass wir mit einer festgeschriebenen Methodik arbeiten. Eine besondere Rolle spielt dabei die Teamarbeit. Die Fallanalyse ist ja in erster Linie ein interpretatives Verfahren, das heißt, wir rekonstruieren die Situation und das Verhalten des Täters. Im zweiten Schritt folgt dann die Interpretation. Unser Ergebnis sind Hypothesen – die können richtig oder falsch sein. Aber wir müssen natürlich schon durch unsere Methoden versuchen, möglichst bei den richtigen Hypothesen zu landen. Ich bin der festen Überzeugung, dass das nur im Team geht, da man zum einen eine Hypothesenvielfalt braucht und zum anderen eine kritische Hypothesenprüfung.

Wie gehen Sie vor, nachdem Sie mit ihrem Team zu einem, sagen wir, Mordfall gerufen worden ist?

Horn: Das Erste, was wir machen, ist, uns von den Kollegen vor Ort informieren zu lassen. Dann schauen wir den Tatort an. Wobei es auch da den Unterschied zum Fernsehen gibt, das heißt, ich muss nicht zum Tatort, wenn da noch die Leiche liegt. Es wird ja alles dokumentiert mit Videos, Fotos und so weiter. Es ist allerdings wichtig, vor Ort einen Eindruck von den Gegebenheiten zu bekommen, also beispielsweise zu sehen, wie viel Platz der Täter hatte oder wie gut einsehbar der Tatort ist. Der nächste Schritt ist dann, die Informationen auszuwerten. Wir lesen uns ein und halten Rücksprache mit Experten, zum Beispiel Rechtsmedizinern. Dann beginnt der eigentliche Prozess, in dem wir uns im Analyseteam zusammensetzen und anfangen, Hypothesen zu erarbeiten.

Aus welchen Fakten lässt sich beispielsweise das Alter eines Täters ablesen?

Horn: Das Alter zu bestimmen ist meistens schwierig, da sich das biologische Alter vom Verhaltensalter unterscheiden kann. Das ist ein Unsicherheitsfaktor. Aber wir können uns natürlich schon anschauen wie handlungssicher der Täter ist, wie stressresistent, oder welches Ausmaß von Gewalt er zeigt. Das sind alles Faktoren, an denen wir das Alter prüfen und uns ihm annähern können. Aber das ist zweifelsohne nicht einfach. Da braucht man viel Erfahrung.

Kritiker bemängeln, dass die OFA keine konkrete Wissenschaft ist, sich also nicht auf handfeste Beweise stützt. Was sagen Sie diesen Leuten? Warum ist die OFA dennoch ein wirkungsvolles Instrument?

Horn: Man kann die Fallanalyse definitiv nicht mit der DNA-Analyse oder dem Abgleich von Fingerabdrücken vergleichen. Wir arbeiten nicht mit konkreten Ergebnissen, sondern mit Wahrscheinlichkeiten – allerdings nicht im luftleeren Raum. Wir haben Qualitätsstandards und wir haben eine Methodik. Andere können unsere Ergebnisse nachprüfen, weil wir sie schriftlich festhalten. Das heißt, der jeweilige Ermittler kann nachlesen, wie wir zu unseren Hypothesen gekommen sind. Darüber hinaus evaluieren wir unsere Arbeit. Wir betreiben auch eigene Forschung, um unsere Erkenntnisse weiter abzusichern. So nähern wir uns also durchaus einer wissenschaftlichen Arbeitsweise an.

Und wie oft liegen Sie mit Ihren Hypothesen richtig?

Horn: Wir haben mit unseren Täterprofilen bisher eine Trefferquote von 80 bis 90 Prozent.



Alexander Horn

Alexander Horn, geboren 1973 in Bad Tölz, ist einer der bekanntesten deutschen Fallanalytiker. Als Leiter der Dienststelle für Operative Fallanalyse (OFA) war er maßgeblich an der „Soko Dennis“ sowie der „BAO Bosporus“ beteiligt. Sein Buch „Die Logik der Tat“ ist bei Droemer & Knaur erschienen (256 Seiten, 19,99 Euro). Text: cam

 
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