Das für viele Unfassbare ist geschehen: Die Briten wollen raus aus der EU. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte will ein Mitgliedsstaat die Europäische Union verlassen. Hat die europäische Idee ausgedient? Wird Europa jetzt zerfallen? Was kommt auf uns zu? Wir sprachen mit Dr. Gisela Müller-Brandeck-Bocquet, Professorin für Europaforschung und Internationale Beziehungen an der Universität Würzburg.
Frage: Warum haben die Briten für den Austritt gestimmt?
Gisela Müller-Brandeck-Bocquet: Dass sich in Großbritannien so viele für den Brexit entschieden haben, ist erstaunlich. Es ist bestürzend, dass so viele in einer Ideologie gefangen sind, die sich zum einen auf das Anti-Immigrationsargument stützt und zum anderen auf der Nostalgie alter, vermeintlich besserer Zeiten beruht, in denen Großbritannien noch eine Weltmacht war. Das zeigt sich darin, dass die Mehrheit der über 50-Jährigen für den Brexit – bei den über 65-Jährigen waren es über 60 Prozent – und die jüngeren Briten dagegen optiert haben. Unter den 18-24-Jährigen wollten 75 Prozent in der EU bleiben.
Wird es jetzt in der Europäischen Union ungemütlich?
Müller-Brandeck-Bocquet: Es ist ein schwarzer Tag für Europa – aber vor allem für die Briten. Für sie wird es ein bitteres Erwachen geben.
Wie sieht das bittere Erwachen der Briten aus?
Müller-Brandeck-Bocquet: Großbritannien stehen zwei Jahre eines komplizierten Scheidungsprozesses bevor. Dieser wurde im Artikel 50 des Lissabonner Vertrags festgelegt. Die komplexe Verwebung mit der EU muss aufgelöst werden. Ich erwarte, dass sich Schottland abspaltet. Großbritannien wird sich zu Kleinbritannien entwickeln. In Schottland haben 62 Prozent für einen Verbleib des Landes in der EU gestimmt.
Denken die Schotten rationaler?
Müller-Brandeck-Bocquet: Die Schotten sind sich bewusst, dass die EU ihnen etwas bringt, dass sie in ihr und von ihr profitieren können. Das kann daran liegen, dass die Politiker in Schottland die Vorteile der EU besser kommuniziert haben als in England selbst. In England gibt es darüber hinaus eine Medienlandschaft, die so polarisierend ist wie nirgendwo sonst im restlichen Europa.
Die Nationalisten in Polen, Ungarn, und Tschechien wittern schon Aufwind – kommt es zum Domino-Effekt in ganz Europa?
Müller-Brandeck-Bocquet: Um dem Domino-Effekt entgegen zu wirken, ist es wichtig, dass die EU-Politiker klarmachen: raus ist raus. Es gibt kein Zurück und keine Sonderregeln. Das war ein Argument der Brexit-Befürworter: Wir machen das wie die Norweger oder die Schweizer. Doch im Jahr 2018 kann das nicht mehr gelten. Die Briten werden sämtliche EU-Regeln respektieren müssen, wenn sie am Binnenmarkt partizipieren wollen. Die Polen profitieren trotz ihrer euroskeptischen Haltung zu sehr von der EU, als dass sie sie verlassen wollen.
Müssen jetzt die Geschichtsbücher neu geschrieben werden?
Müller-Brandeck-Bocquet: Nein, wir haben es nie geschafft, ein Geschichtsbuch über die Europäische Union zu schreiben. Das ist genau das Versäumnis der EU. Die Erkenntnis gibt es schon seit vielen Jahren: Die EU muss sich weniger um das Klein-klein kümmern, weniger zur Überregulierung beitragen und sich von ihrem Image als Bürokratiemonster lösen. Vielmehr muss die EU – will sie bestehen – soziale Gerechtigkeit voranbringen, den Schutz ihrer Bürger garantieren und die Rolle Europas in der Welt stärken. Die Grundlagen Europas müssen neu definiert werden. Die EU muss klären: Wer will wirklich dazugehören?
Müller-Brandeck-Bocquet: Vielleicht. Der Britannien-Deal vom Februar 2016 enthielt zu weite Zugeständnisse und Sonderregeln, um das Land in der EU zu halten. Das ist jetzt hinfällig. Die Briten haben in vielerlei Hinsicht den Bremsklotz gespielt. Das Gute in all dem Desaster ist, dass der Zerfaserungsprozess in der EU mit dem Brexit gestoppt werden kann.
Doch eine Kaffeefahrt wird es ohne die Briten nicht, da sollten wir uns nichts vormachen. Bislang gab es die „Big Three“, das waren Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Die Briten haben ein Gegengewicht zum etatistischen, also auf den Staat konzentrierten, Frankreich dargestellt. Sie haben beispielsweise Markt- und Wirtschaftsliberalismus – häufig zur Freude Deutschlands – gefördert. Jetzt muss alles neu ausgependelt werden. Vielleicht ist das eine Chance für Staaten wie Spanien, Italien und Polen. Sie können sich von nun an stärker in die EU einbringen.
Welche sind die konkreten Folgen des Brexits?
Müller-Brandeck-Bocquet: Großbritannien ist ein wichtiges Mitglied der Familie, das sich nun verabschiedet. Jetzt gilt es, Trauerarbeit zu leisten, den Verlust zu bedauern. Manche spekulieren, dass super gut bezahlte Jobs aus London nach Paris oder Frankfurt abwandern.
Die britische Währung wird abstürzen. Firmen wie BMW, die eine Niederlassung in Großbritannien haben, werden es wirtschaftlich stark zu spüren bekommen. Die Briten müssen jetzt zusehen, wie man auf dem heutigen Weltmarkt angesichts der Konkurrenz aus den USA und China als kleiner Inselstaat überleben kann. Sie müssen sich auch fragen, wie sie dem Weltproblem der globalen Migration als kleines Land entgegensteuern wollen. Für die EU bedeutet es eine Zäsur. Wir können nicht zum „business as usual“ zurückkehren. Doch die Chancen sind da, dass man den Brexit positiv überkompensieren kann. Der Euro wird sich als stabile Währung etablieren – im Gegensatz zum britischen Pfund.
- Hintergründe und Stimmen zu Brexit: Lesen Sie hier alles im dpa-Liveblog nach.
Wer hat den für den Austieg gestimmt , die über 40 jährigen und vor allem die Landbevölkerung, wahrscheinlich ist bei den Rentnern die Wahlbeteiligung extrem hoch gewesen. Die verbauen der Jugend die Zukunft und Arbeitsplätze ,und die Rentner sitzen dann in 10 Jahren mit Demenz im Altersheim und haben die Zukunftsfähigkeit des Landes verspielt. Die Schotten und Iren werden sich dann auch noch aus Großbritannien verabschieden, dann bleibt ein unbedeutender Zwergstaat England übrig. Ich würde es mir wünschen.