Wenn der Bundeskanzler direkt gewählt werden könnte, würden sich 29 Prozent für den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz entscheiden, 52 Prozent für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Anfang Februar hatte Schulz noch mit 46 Prozent vor Merkel mit 40 Prozent gelegen. Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid für die vergangene Ausgabe der „Bild am Sonntag“. Der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Schweiger erklärt, was es mit dem verpufften „Schulz-Effekt“ auf sich hat.
Wolfgang Schweiger: Es gibt in der Tat eine gewisse Neigung unter Journalisten, sich an den Meinungsführern zu orientieren; „Koorientierung“ heißt das in der Kommunikationswissenschaft. Bei Schulz war es so: Einer hat damit angefangen, ihn als großen Heilsbringer zu betrachten, die demoskopischen Werte waren äußerst positiv, und dann haben sich viele Journalisten kollektiv in einen Begeisterungssturm geschrieben.
Fairerweise muss man aber auch anmerken, dass die Qualitätsmedien von Anfang an darauf hingewiesen haben, wie allgemein Schulz? Aussagen waren. Auf der Suche nach Ursachen für den Absturz in den Umfragen wird dieser Aspekt jetzt stärker in den Vordergrund gerückt.
Schweiger: Journalisten leben davon, Geschichten zu erzählen. Gute Geschichten sind immer dramatisch, und gute Erzähler sorgen dafür, dass sie noch ein bisschen dramatischer klingen. Bei Schulz ging die Geschichte so: Hier ist ein neuer SPD-Kandidat, der die Menschen begeistert, und die SPD hat nach einer langen Durststrecke endlich wieder Aussichten auf einen siegreichen Bundestagswahlkampf. Dann ist die Geschichte allerdings mit Begriffen wie „Sankt Martin“ und „Schulz-Zug“ noch ein bisschen größer gemacht worden.
Schweiger: Nein, diese Überhöhung gibt es doch bei Angela Merkel auch, das ist eine Folge der Personalisierung von Politik. Bei Donald Trump erleben wir das gleiche Phänomen, nur im Negativen.
Schweiger: Wer Protestparteien bevorzugt, ist generell von einer starken Eliteverdrossenheit geprägt. Zu dieser Elite werden Politiker, Wirtschaftsvertreter, Journalisten und natürlich auch Wissenschaftler gezählt. Im AfD-Milieu gibt es eine große Abneigung gegen wissenschaftliche Studien. Auf den entsprechenden Facebook-Seiten machen sich die Nutzer ständig lustig über Wissenschaftler, die doch bloß beweisen, was ihre Auftraggeber lesen wollen.
Schweiger: Viele tun das sicher nicht. Deshalb waren nach meiner Vermutung auch einige Wahlprognosen in letzter Zeit falsch. Früher haben zum Beispiel NPD-Wähler in einer Befragung nicht unbedingt zu ihrer Parteipräferenz gestanden. Viele AfD-Sympathisanten dagegen sind sich ihrer Meinung so sicher, dass sie keine Scheu haben, öffentlich dazu zu stehen. Das schlägt sich aber nicht unbedingt in den Umfragen nieder, weil sie da gar nicht mitmachen, denn sie sind ja überzeugt, dass die Ergebnisse ohnehin gefälscht werden. In diesem Milieu, immerhin zehn bis 15 Prozent der Gesellschaft, ist die Verweigerungshaltung weitaus größer als in anderen Gruppen. Für die Demoskopen ist das ein echtes Problem, dessen sie sich womöglich noch gar nicht bewusst sind.