
Die Katastrophe ist 5000 Flugkilometer von Deutschland entfernt. Schon deshalb könnte man meinen, wir hätten nichts mit ihr zu tun - außer dass uns die Bilder von dort schockieren. Bilder von Kindern, die vor Entkräftung nicht mehr schreien können, abgemagert bis auf die Knochen. Die nicht versorgt werden können, weil einfachste Medikamente fehlen. Im Jemen spielt sich nach Einschätzung der UNO die derzeit schlimmste humanitäre Krise der Welt ab.
Laut Berechnungen des internationalen Hilfswerks "Save the Children" sind in den letzten zweieinhalb Jahren rund 85 000 Kinder unter fünf Jahren an Mangelernährung gestorben. Die Uno warnt, dass durch die Hungerkrise bald 14 Millionen Jeminiten akut gefährdet sein könnten. Fünf Millionen leiden schon jetzt an extremem Hunger. Und allein durch die Gewalt im Bürgerkrieg haben schon mehr als 10 000 Menschen ihr Leben verloren. Haben wir nichts damit zu tun?
Jemen ist das Schlachtfeld für einen Stellvertreterkrieg
Man spricht von "Bürgerkrieg"... Ach was! Wir erleben einen blutigen Stellvertreterkrieg, in dem die beteiligten Mächte bombardieren und blockieren, was das Zeug hält. Der Staat als solcher ist kaum mehr existent, der Jemen wird missbraucht - als Schlachtfeld . Der Iran munitioniert die Huthi-Rebellen, ihr gegenüber steht die so genannte Jemen-Kriegs-Koalition, die von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten finanziert und hochgerüstet wird. Und: auch von den USA und deutschen Rüstungsunternehmen. Was wir mit dem Konflikt zu tun haben?

Bis vor kurzem hat Deutschland Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien geliefert, vor allem Patrouillenboote. Sie sind nun möglicherweise an der völkerrechtswidrigen Seeblockade beteiligt, sie verschlimmert die dramatische Versorgungslage noch weiter. Erst nach der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im Istanbuler Konsulat hat die deutsche Regierung mit sofortiger Wirkung alle Rüstungsexporte gestoppt - für zwei Monate. Das ist die Perversion: Ein politisch brisanter Fall bringt die Bundesregierung zum Umdenken, nicht aber Zehntausende verhungernde Kinder.
Kirchen verurteilen deutsche Rüstungsexportpolitik
Gegeißelt wird diese Haltung von den beiden großen Kirchen, die dieser Tage ihre Stimme dazu erhoben haben. Schonungslos. Ob sie gehört werden? Die "Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung" (GKKE) verurteilt in ihrem Rüstungsexportbericht 2018 die deutsche Politik mit Blick auf den Jemen scharf und fordert ein Rüstungsexportkontrollgesetz. Die Bundesregierung trage mit ihren Exporten zur humanitären Katastrophe bei. Nach den Worten des katholischen GKKE-Vorsitzenden Karl Jüsten "fördert sie auch den Bruch des Völkerrechts".
Starker Tobak, verbunden mit der Forderung, dauerhaft nach Saudi-Arabien keine Rüstungsgüter mehr zu exportieren. Bis zur Ermordung Khashoggis durften - als Vertrauensschutz - bereits genehmigte Güter noch ausgeführt werden. In den ersten neun Monaten dieses Jahres gingen Exporte im Wert von mehr als 400 Millionen Euro an die Scheichs.
Politik darf sich nicht von der Rüstungslobby lenken lassen
Statt sich ihr Primat zurückzuholen, macht sich die Politik weiter zum Handlanger der Rüstungsindustrie. Dabei sollten sich die Unternehmen im Klaren sein über das Risiko: Wer Geschäfte mit einer Schurkenmonarchie wie Saudi-Arabien macht, muss jederzeit mit politischen Eingriffen rechnen. Dazu gehört - rechtliche Bedenken hin oder her - auch der Widerruf bereits erteilter Genehmigungen.
Und die Regierung muss Wege finden, um Geschäftspraktiken wie von Rheinmetall zu unterbinden: Deutschlands größte Rüstungsfirma kauft Unternehmen im Ausland auf, gründet Joint-Ventures - und liefert auf Umwegen ungehemmt seine tödliche Ware an den Golf. Es ist eine Schande.
Hoffnung auf Frieden: DAHW-Vertreter im Jemen appelliert eindringlich
Bei den Jemen-Gesprächen im schwedischen Rimbo haben die Konfliktparteien vor wenigen Tagen zumindest eine Waffenruhe für das umkämpfte Hodeida vereinbart. Über den dortigen Hafen gelangt ein Großteil der Hilfsgüter in den Jemen. Ein kleines Hoffnungszeichen, nicht mehr. Ende Januar sollen die Gespräche fortgesetzt werden.
"Es ist unvorstellbar, wie sehr die Bevölkerung im Jemen leidet", klagt Yasin Al-Qubati. Der Mediziner ist im Land seit 27 Jahren für die in Würzburg ansässige Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) im Einsatz. Sein Büro wurde zweimal beschossen, die Organisation leistet im Jemen zunehmend humanitäre Hilfe.
DAHW plant Hilfsprojekt für Binnenvertriebene
Angesichts der lebensbedrohlichen Umstände sind nur noch wenige Hilfseinrichtungen im Land tätig. Das Würzburger Hilfswerk kann auf Strukturen und Kooperationen zurückgreifen, die man seit 1965 im Jemenaufgebaut hat. Die Leprakontrolle, heißt es von der DAHW, werde fortgesetzt. Aber Hunger und Krieg haben die Vorzeichen verändert. Zuletzt wurden - zusammen mit einer jemenitischen Organisation - Kriegsflüchtlinge mit Lebensmitteln versorgt.

Für Anfang des Jahres plant die DAHW ein Hilfsprojekt für Binnenvertriebene. 3000 Menschen sollen Zugang zu sauberem Wasser, sanitären Anlagen, Hygieneartikel und Aufklärung erhalten. Al-Qubatis eindringlicher Appell: Involvierte Mächte und Interessensgruppen im In- und Ausland müssen Frieden schließen, damit Not der Menschen ein Ende findet. Im Moment ist dies ein frommer Weihnachtswunsch.
Spendenkonto DAHW:
IBAN: DE35 7905 0000 0000 0096 96
(Sparkasse Mainfranken)