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„Alles ganz schlimme Brandherde“
reda
 |  aktualisiert: 17.08.2014 20:06 Uhr

Der ehemalige deutsche Außenminister Klaus Kinkel in der Ära Kohl (1992 - 1998) sieht in der Ukrainekrise nicht die Lunte für einen Weltbrand. Der FDP-Politiker, dessen familiäre Wurzeln im baden-württembergischen Tettnang liegen, warnt dennoch davor, den Konflikt auf die leichte Schulter zu nehmen.

Frage: Herr Kinkel, Sie sind ein passionierter Zeitungsleser. Packt es Sie manchmal, wenn Sie sich über die außenpolitische Lage informieren? Oder fühlen Sie sich hier, in Bonn, heute weit weg davon?

Klaus Kinkel: Natürlich lässt mich das nicht kalt. Ganz im Gegenteil. Ich lebe da immer noch mit, ich freue mich und leide auch mit. Wenn man einmal so tief drin war in der Politik, dann lässt einen das nicht los. Nein, die regionalen Konflikte, die ja schlimm sind, bewegen einen. Ich bin nach wie vor in innen- und außenpolitischen Fragen gedanklich engagiert, ohne mich täglich zu äußern.

Sie haben außenpolitisch einen großen Sack voller Erfahrungen, nicht zuletzt auch aus Ihrer Zeit als Außenminister. Wie hat sich die politische Großwetterlage inzwischen verändert?

Kinkel: Ich bin Außenminister geworden in einer Zeit, die das Ende der bipolaren Welt brachte. Heute leben wir in einer multipolaren Welt. Es gibt nur noch die USA als Weltmacht. Deutschland als Hauptprofiteur war wiedervereinigt und erhielt ein größeres Gewicht. Man konnte und musste nach dem Wegfall des Ost-West-Konflikts glauben, die Welt sei friedlicher geworden. Aber leider ist es nicht so. Die Gewichte und Kräfte haben sich hin zum indisch-pazifischen Ozean verlagert. Europas Rolle ist schwächer geworden, die chinesische aber immer bedeutender. Wir stehen jetzt vor einem amerikanisch-asiatischen Zeitalter, vielleicht nur noch vor einem asiatischen. Ich fasse es mal so zusammen: Die asiatische Welt und auch die islamischen Länder sagen: Jetzt sind wir dran.

Die meisten Konflikte spielen sich vor der Haustür Europas ab. Die Chinesen aber scheinen sich meist herauszuhalten. Muss Europa mehr Format zeigen?

Kinkel: Ja, die Europäer sind in der Weltaußen- und Sicherheitspolitik nicht gerade außerordentlich positiv aktiv. Das ist natürlich leichter gesagt als geändert. Es ist verdammt schwierig, 28 Länder auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. In Amerika und China laufen Entscheidungsprozesse sehr viel schneller ab. China mischt mit als Sicherheitsratsmitglied. Russland und China bremsen selbst humanitäre Hilfe im Syrienkonflikt aus. Und sie bremsen vieles aus in anderen Weltbrandherden. Die europäische Rolle ist in diesen Krisenregionen nicht so, wie sie sein könnte.

Ist denn die Welt instabiler geworden?

Kinkel: Nein. Regionale Konflikte hat es früher auch schon gegeben. Die haben vielleicht jetzt im Augenblick zugenommen und sind massiv in unserem Blickfeld. Nahost, Ukraine, Libyen und Irak sind alles ganz schlimme Brandherde. Aber die große Ost-West-Atomkriegsbedrohung ist weg. Man muss sehen, nach 1990 konnte Europa zu Ende gebaut werden. Bei allen Schwierigkeiten haben auch große Völkerverständigungen stattgefunden. Wir waren als Deutsche aus der Völkergemeinschaft ausgestoßen. Dass wir zurückgekommen sind, war nicht selbstverständlich.

Es wird gern der Vergleich von 1914 und 2014 gemacht. Würden Sie dem zustimmen, dass die Situation heute brandgefährlich ist, auch wenn man keine nukleare Bedrohung hat?

Kinkel: Nein, ich kann da keine Parallelen erkennen. Die Konflikte sind regional begrenzt, was schlimm genug ist. Ich will das nicht verharmlosen, aber selbst aus der Nahost-Situation sollte sich nach menschlichem Ermessen keine Bedrohung der Welt ergeben. Wir haben mit der Ukraine-Frage zum ersten Mal eine Situation, in der der Westen gegen das alte russische imperiale Denken steht. Aber meines Erachtens auch nicht mit der Gefahr, dass daraus ein Weltkrieg entstehen könnte. So unvorsichtig wird Putin nicht sein.

Haben Nato und Europa bei ihrer Ausdehnung nach Osten die Belange der Russen zu wenig berücksichtigt?

Kinkel: Russland hat 1990 seine Weltmachtrolle verloren, die Sowjetunion, den Warschauer Pakt und musste das Vorrücken der Nato hinnehmen. Das war für das Land schwierig. Ich bin kein Russland- oder Putin-Versteher, aber man darf nicht ausblenden, dass Putin den Russen ihren Stolz zurückgegeben hat. Was die angestrebte Assoziierung der Ukraine an die Europäische Union angeht, so meine ich, hätte man dies nicht mit der zugelassenen Intensität treiben lassen dürfen, ohne an russische Empfindlichkeiten zu denken. Auch zu meiner Zeit drängte die Ukraine schon mit Macht in die Nato und die EU. Aber angesichts des starken russischgeprägten Bevölkerungsanteils war das nicht denkbar.

Müsste sich Deutschland im Nahostkonflikt deutlicher an Israels Seite stellen?

Kinkel: Deutschland hat angesichts seiner Geschichte immer gut daran getan, im Nahen Osten zurückhaltend zu sein. Das heißt nicht, dass wir uns nicht klar immer für das Existenzrecht Israels ausgesprochen haben, so wie es auch diese Bundesregierung getan hat. Zum anderen: Die Reaktion der Israelis auf die Raketenangriffe der Hamas wirkt trotz des Irrsinns der Hamas-Raketenangriffe völlig disproportional. Die Bilder aus dem Gaza-Streifen sind schlimm. Daher ist es zentral wichtig, dass jetzt der Waffenstillstand verlängert wird. Denn je mehr Israel sich gezwungen sieht, so zu reagieren, wie es reagiert hat, umso mehr wird die Isolierung dieses Landes in der Welt fortschreiten. Da sehe ich als großer Freund Israels eine große Gefahr. Aber es darf nicht vergessen werden, dass Israel das Recht hat sich zu verteidigen und immer nur reagiert.

Wie schätzen Sie die Bedrohung der IS im Irak ein?

Kinkel: Was mit den Jesiden geschieht, ist Völkermord. Ich finde die Haltung der Bundesregierung hierbei richtig. Auch ich würde sagen, dass man im Nordirak nichts ausschließen sollte. Auch nicht als letztes Mittel Waffenlieferungen, obwohl das gegen eine zu Recht festgeschriebene Politik aller Bundesregierungen verstoßen würde.

Klaus Kinkel

Der ehemalige Politiker Klaus Kinkel war von 1979 bis 1982 Präsident des Bundesnachrichtendienstes und von 1991 bis 1992 Bundesminister der Justiz. Von 1992 bis 1998 war der studierte Jurist Bundesminister des Auswärtigen und von 1993 bis 1998 Stellvertreter des Bundeskanzlers. Der 1936 geborene FDP-Politiker ist heute selbstständiger Rechtsanwalt in Sankt Augustin und war außerdem von 1993 bis 1995 Bundesvorsitzender seiner Partei. FOTO: dpa

 
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