
Auch diese Geschichte beginnt mit einer Flucht. Petr Bystron ist 16 Jahre alt, als er Ende der 1980er Jahre mit seiner Familie aus der damaligen Tschechoslowakei flieht. „Mit 14 habe ich eine Pfadfindergruppe gegründet“, erzählt er. Von der Polizei wird er daraufhin verhört und verprügelt, bleibt aber auch später am Gymnasium „aktiv gegen die Kommunisten“. Dann die Flucht nach Deutschland, wo er eine neue Heimat findet, Politische Wissenschaft studiert und eine Werbeagentur gründet.
Viele Jahre später, vor wenigen Tagen, wird der einstige Flüchtlingsjunge Bystron in Nürnberg zum bayerischen Landesvorsitzenden der AfD gewählt. Der Partei, die jüngst in einem Thesenpapier zur Flüchtlingsproblematik forderte: „Das Recht, in Deutschland Asyl zu beantragen, ist aufzuheben.“ Das käme einer Grundgesetzänderung gleich. Die Anträge, heißt es weiter, seien künftig in den Herkunftsländern in den deutschen Botschaften zu stellen.
Bei den Rechtskonservativen ist Bystron kein unbeschriebenes Blatt: Als Mitglied der ersten Stunde hatte er schon mehrere Posten und war Kandidat bei der Europawahl. Vielen galt er zudem als Gegenspieler des inzwischen ausgetretenen Ex-Landeschefs André Wächter: Nach der Wahl Frauke Petrys zur Parteivorsitzenden und dem Austritt von AfD-Gründer Bernd Lucke schrieb Bystron eine Mitteilung, die bei der Presse landete, wonach auch Wächter und seine Landesvorstandskollegen die Partei verlassen werden. „Ich habe die Pressemitteilung geschrieben“, bestätigt Bystron der Redaktion. Der Austritt des Landesvorstands sei intern aber schon kommuniziert gewesen. In einer internen E-Mail, die der Redaktion vorliegt, widerspricht Wächter: Er habe lediglich angekündigt, im Herbst nicht mehr anzutreten, „von Parteiaustritt war“ – bis dahin – „nie die Rede“.
Das Gremium sei letztlich nur noch geblieben, „um der AfD zu schaden“, glaubt Bystron. Da sei ihm „der Kragen geplatzt“. Er wollte die Partei schützen.
Nun kann er auch den Ton angeben. Rund 2300 Mitglieder hat die AfD im Freistaat, im vergangenen Frühjahr waren es noch 3100. Dennoch nimmt sich Bystron den wohl stärksten politischen Gegner zur Brust: die CSU. Die ist laut Bystron „die wirklich populistische Partei“, sie „klaut AfD-Inhalte 1:1“ und „klopft Sprüche, liefert aber nicht“. Die „sogenannte Sicherung der Grenze zu Österreich“ etwa ist in den Augen Bystrons nur „Augenwischerei“.
Leiser und ein noch völlig unbeschriebenes Blatt innerhalb der AfD ist dagegen der einzige Unterfranke im neuen 13-köpfigen Landesvorstand. Kurt Schreck aus Erlenbach (Lkr. Main-Spessart) trat erst im Juli in die Partei ein und wurde ad hoc zum Beisitzer gewählt. „Ich hatte seit der Gründung der AfD große Sympathien bezüglich der Haltung zum Euro“, sagt der ehemalige Gewerkschafter. Die AfD ist Schrecks dritte Partei, früher war er in der SPD – eine „Jugendsünde“, wie er sagt – und bis 2014 in der CSU.
„Ich habe die CSU schweren Herzens verlassen, weil sie bei den Koalitionsverhandlungen 2013 viele ihrer Positionen über Bord geworfen hat“, erklärt der 65-Jährige und meint damit die eingegangenen Kompromisse beim Thema Mindestlohn oder der doppelten Staatsbürgerschaft. Auch ist Schreck Gegner des Betreuungsgeldes und der Rettungspakete für Griechenland. Dass er bei der AfD so schnell in ein Amt gewählt wurde, kam für ihn überraschend. Während des Parteitages sei er kurzfristig auf Bitten des Bystron-Stellvertreters Werner Meier als unterfränkischer Kandidat angetreten.
In der AfD will sich Schreck vor allem dem Gebiet Arbeit und Soziales widmen – ein Thema, das angesichts der Asyldebatte im Hintergrund steht. Kein Wunder für Schreck, schließlich sei die AfD „die einzige Partei“, die sich bei dem Thema „um die Sorgen und Ängste aller Menschen kümmert“.
Für ihn gelte es nun, „als Neuling Fuß zu fassen“. Und während sich andere in der AfD an den jüngsten Umfragewerten weiden – im Freistaat liegt die Partei derzeit bei neun, im Bund bei sieben Prozent – glaubt Schreck, dass es noch zu früh ist, an die kommenden Wahlen zu denken. Er will stattdessen die „innerparteilichen Strategien“ mitgestalten.
Von den Kollegen im Landesvorstand, mit denen Schreck zusammenarbeiten soll, kennt er die meisten bislang nur flüchtig. Wie einig sich das neu gewählte Gremium sein wird, bleibt abzuwarten. Auf den Internetseiten der Bayern-AfD fanden sich im Vorfeld des Landesparteitags Bewerbungsschreiben der Kandidaten. Daraus wird deutlich: Vor allem aus den Reihen der Beisitzer könnten auf die AfD neue Probleme zukommen, sich vom rechten Rand abzugrenzen.
Beispiel Georg Hock: Der Oberfranke nennt sich selbst einen „rechtspopulistisch agierenden, gnadenlosen Demagogen“, den Flüchtlingsstrom bezeichnet er als „Flutwelle der Eindringlinge“. Politische Werbung, glaubt er, funktioniere wie Bierwerbung: „Nicht durch das Gehirn“, sondern durch den Bauch. Die AfD sei weder Regierung noch Opposition. „Wir sind APO“, schreibt er.
Das sieht Bystron anders. „Wir sind eine politische Partei. Pegida ist APO“, sagt er. Die Bewegung ist nach wie vor Thema in der AfD. Der neue Beisitzer Thomas Fügner lief etwa beim Münchner Pegida-Ableger Bagida mit. Mit ihm auf der Straße: NPD-Politiker und Neonazis. In seinem Bewerbungsschreiben droht Fügner vorsorglich allen, die „mir nationalistische, rassistische oder nationalsozialistische Ziele“ unterstellen, mit „rechtsstaatlichen Mitteln“. Wer bei Pegida mitmacht, „tut das als Privatperson, nicht im Auftrag der AfD“, stellt Bystron klar. Gleichwohl sieht er Gemeinsamkeiten: „Das ist die Mittelschicht, die sich Sorgen macht um die Zukunft unserer Kinder“, glaubt er.
Beisitzer Roland Gropp fordert indes für Deutschland einen „disruptiven Richtungswechsel in fast allen Bereichen“. Konkret: Grundgesetzänderungen bezüglich des Asylrechts, die Reduzierung der Religionsfreiheit auf die Privatsphäre oder der Ausstieg aus EU und Nato. Positionen, mit denen weder Schreck noch Bystron viel anfangen können. „Ein EU-Austritt gehört nicht zur offiziellen Linie der AfD“, erklärt Bystron etwa. Man fordere aber, dass Griechenland aus dem Euro austreten darf.
Auf welche Linie sich die AfD einigen wird, bleibt abzuwarten – nicht nur in Bayern: Noch immer arbeitet die AfD an einem Parteiprogramm.
Ich kenne einige Beispiele aus meinem Bekanntenkreis, die sich zu Beginn der 90er fürchterlich aufgeregt haben über die Förderung der Spätaussiedler, aber genau diese Förderung ein paar Jahre vorher selbst in Anspruch genommen haben. Das Gedächtnis ist halt bei manchen wirklich sehr schlecht!