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„Adieu Tristesse“
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 |  aktualisiert: 02.11.2015 14:38 Uhr

Es ist, als ob ein Damm bräche. Mit einem Schlag entlädt sich eine lange angestaute Anspannung, blitzartig schlägt die Stimmung, die eben noch von Hoffen und Bangen geprägt war, in Jubel und Heiterkeit um. Im Thomas-Dehler-Haus, ihrer Zentrale im Berliner Regierungsviertel, liegen sich die Liberalen am Sonntagabend in den Armen und können ihr Glück kaum fassen. „Wir sind wieder da“, jubiliert ein junger Frei-demokrat, als Punkt 18 Uhr die Prognosen über die Monitore flimmern und der FDP einen Wert von über sieben Prozent bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg vorhersagen.

„Adieu Tristesse“, lautet das Motto der FDP an diesem Sonntagabend. Gut eineinhalb Jahre nach dem Debakel bei der Bundestagswahl, als die FDP als Regierungspartei an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte und aus dem Bundestag flog, und ein halbes Jahr nach den schweren Niederlagen bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen gibt es endlich wieder einen Grund zum Feiern. Parteichef Christian Lindner, der den Liberalen eine Rundum-Erneuerung verordnet hat, ist sichtlich erleichtert, als er vor seine Parteifreunde tritt und euphorisch bejubelt wird. „Die Freude und die Erleichterung sind groß“, gibt er unumwunden zu, „aber wir bleiben auf dem Teppich.“

Man sei der Hamburger Spitzenkandidatin Katja Suding dankbar für ihre „großartige Arbeit“ und ihren „fulminanten Wahlkampf“, aber auch den Hamburgern, „die der Partei der Freiheit eine neue Chance gegeben haben“. Der Erfolg in der Hansestadt habe „für uns alle eine besondere Bedeutung“, gibt Lindner zu, da sich zum ersten Mal eine erneuerte FDP dem Wähler präsentiert habe. „Wir haben aufgearbeitet, was es bei uns an Fehlern gegeben hat, wir haben uns selbst befreit von Opportunismus und Ängstlichkeit.“ Gleichwohl warnt er vor zu viel Euphorie: „Wir sind noch nicht am Ziel, aber wir sind auf dem richtigen Weg.“

Auch gut fünf Kilometer weiter südlich, im Willy-Brandt-Haus in der Kreuzberger Stresemannstraße, könnte die Stimmung kaum besser sein. Dass SPD-Bürgermeister Olaf Scholz voraussichtlich die absolute Mehrheit verliert und künftig einen Koalitionspartner braucht, stört die Sozialdemokraten an diesem Abend nicht, schließlich sind Ergebnisse von über 45 Prozent für die SPD die absolute Ausnahme. Geradezu euphorisch gratuliert Parteichef Sigmar Gabriel dem Sieger von Hamburg. „Das ist ein wirklich überragendes Ergebnis.“ Scholz habe einen „einmaligen Vertrauensbeweis für seine Politik und die Politik der SPD bekommen“.

Lange Gesichter gibt es hingegen im Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Zentrale am Rande des Tiergartens. Elf Jahre erst ist es her, dass der populäre CDU-Bürgermeister Ole von Beust 47,2 Prozent der Stimmen erhielt und alleine regieren konnte, doch von solchen Ergebnissen kann die CDU in der Hansestadt nur noch träumen. Die Serie ihrer schweren Niederlagen in Großstädten setzt sich fort, sie verliert deutlich und stürzt auf den historischen Tiefstwert von rund 16 Prozent ab, fünf Punkte weniger als vor vier Jahren. CDU-Generalsekretär Peter Tauber redet nicht lange um den heißen Brei herum und räumt die Niederlage ein. In Hamburg habe keine Wechselstimmung geherrscht, zudem habe Olaf Scholz als Persönlichkeit gepunktet, auch im bürgerlichen Lager.

Zufriedenheit herrscht im Gegensatz dazu bei den Grünen, die als Koalitionspartner für die SPD bereitstehen. Eine rot-grüne Regierung sei auch in den Umfragen der Wunsch der Bürger, sagt Parteichef Cem Özdemir. Das Ergebnis der Bürgerschaftswahlen bedeute Rückenwind auch für Berlin. „Grün ist weiter im Aufwind.“ Der AfD gelingt nach ihren Erfolgen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im vergangenen Herbst der Einzug in das erste westdeutsche Parlament. Für den stellvertretenden Parteichef Hans-Olaf Henkel ist dies ein Signal auch für alle anderen Bundesländer. „Wenn wir den Einzug in die Bürgerschaft schaffen, schaffen wir es überall in Deutschland“, verkündet der frühere BDI-Chef selbstbewusst. Ähnlich argumentiert auch Katja Kipping von der Linken, die auf gut acht Prozent kommt. Hamburg sei der Beweis: „Die Linke kann im Westen zulegen.“

Strahlender Sieger: Olaf Scholz nach den ersten Hochrechnungen
Foto: Marks/Pollex, dpa | Strahlender Sieger: Olaf Scholz nach den ersten Hochrechnungen
 
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