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FRANKEN
Abschiedsfeier von Michael Glos: "Du bist einer von uns"
Ein Müllermeister aus dem fränkischen Prichsenstadt (Lkr. Kitzingen) hat Spuren hinterlassen im Zentrum der Macht. Jetzt zieht Michael Glos (68) sich zurück.
Langjährige Weggefährten: Michael Glos (links) und Altbundeskanzler Helmut Kohl.
Foto: Henning Schacht | Langjährige Weggefährten: Michael Glos (links) und Altbundeskanzler Helmut Kohl.
Von unserem Redaktionsmitglied Michael Czygan
 |  aktualisiert: 25.06.2013 19:29 Uhr

Nach 37 Jahren im Deutschen Bundestag tritt er bei der Wahl im Herbst nicht mehr an. Mit großem Bahnhof verabschiedete die CSU-Landesgruppe bei einem Abendessen im Lichthof der bayerischen Vertretung in Berlin ihren langjährigen Chef und Bundeswirtschaftsminister. Prominentester Gast: Altbundeskanzler Helmut Kohl.

Gänsehautgefühl macht sich unter den 200 Gästen breit, als ein Helfer dem 83-Jährigen, der von seiner Frau Meike Kohl-Richter begleitet wird, das Mikrofon richtet. Gezeichnet von schwerer Gebrechlichkeit, dankt Helmut Kohl seinem politischen Weggefährten für „Treue und Hingabe“. Michael Glos habe entscheidend mit zur deutschen und europäischen Einheit beigetragen. „Du bist einer von uns“, so der Altkanzler. Kohl ist zeitweise nur schwer zu verstehen, mainfränkische Ortsnamen wie „Greußenheim“, wo die Familie seines Vaters herstammt, „Brünnau“ oder „Prichsenstadt“, Glos‘ Heimat, artikuliert er aber klar. Es ist auch die fränkische Komponente, die beide verbindet. Den Bauernhof in Düllstadt (Lkr. Kitzingen), wo Kohl einst eine landwirtschaftliche Lehre begann, bewirtschaftet heute einer der Söhne von Glos.

Auch das aktuelle Berlin ist an den Tischen, die zur Orientierung mainfränkische Ortsnamen wie „Wiesenbronn“, „Castell“ oder „Frankenwinheim“ tragen, hochkarätig vertreten, unter anderem mit den Bundesministern Guido Westerwelle (FDP), Thomas de Maiziere (CDU), Peter Ramsauer (CSU) und Hans-Peter Friedrich (CDU), mit Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), seinem Vize Hermann-Otto Solms (FDP), CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe und SPD-Urgestein Ludwig Stiegler (Glos: „mein roter Bruder“). Aus München sind Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) und Innenminister Joachim Herrmann (CSU) gekommen.

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Die Laudatio auf den Mann, der von 1992 bis 2005, so lange wie kein anderer, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag war, hält Theo Waigel. Der CSU-Ehrenvorsitzende und persönliche Freund zeichnet Glos‘ politische Lebensleistung nach, die schwierige Aufgabe, zwischen den Ansprüchen der CSU-Führung in München und den Bedürfnissen der gemeinsamen CDU/CSU-Fraktion in Bonn und Berlin zu vermitteln – in den Regierungsjahren der Kohl-Ära wie in Oppositionszeiten, als er „Rot und Grün auf die Hörner nahm“, wie er selbst bekennt. Waigel erinnert an „strategische Coups“ in der Steuerpolitik, aber auch im Ränkespiel um Personalien. Dass Roman Herzog Bundespräsident wurde, sei Glos‘ Idee gewesen. Der „überzeugte Europäer“ habe mit viel Geschick in Bonn und Berlin bayerische Interessen vertreten. Ein „klarer Kompass“ habe ihn angetrieben.

Der knorrige Franke konnte auch Nein sagen, etwa 2004, als er Horst Seehofer aus dem Amt des stellvertretenden Fraktionschefs drängte. Seitdem pflegen die beiden ihre politische Feindschaft. Der Name des bayerischen Ministerpräsidenten fällt an diesem Abend nicht. Nur einmal spricht Glos von einem „Politiker, der heute noch bedeutender ist, als er damals schon war“. Die Festgesellschaft schmunzelt. Jeder weiß, wer gemeint ist.

Die Landesgruppe, das Taktieren an den Schalthebeln der Macht, aber eben mehr hinter den Kulissen als ganz in vorderster Front, das war Glos‘ Stärke. 2005 musste er dann, weil Edmund Stoiber plötzlich doch nicht mehr von München nach Berlin wechseln wollte, Wirtschaftsminister werden. Ein Nein war da nicht mehr möglich, auch wenn es seine Enkelin („Warum muss der Opa diesen Job machen?“) nicht verstand. Keine Frage, der Müllermeister fremdelte mit dem neuen Amt. Obwohl er um die Ecke wohnte, habe er zunächst gar nicht gewusst, wo das Ministerium ist, bekennt er. Wirtschaftsjournalisten hätten ihn schnell genervt, sagt er, „die wollten mich runterschreiben“. Gleichzeitig blicke er auf die drei Jahre durchaus mit Stolz: Damals seien in der Großen Koalition die Entscheidungen getroffen worden, dank denen Deutschland die Finanzkrise so gut überstanden habe.
 

Zehnmal ist er als Vertreter des Wahlkreises Schweinfurt/Kitzingen in den Bundestag gewählt worden

Zehnmal ist der zweifache Familienvater als Vertreter des Wahlkreises Schweinfurt/Kitzingen direkt in den Bundestag gewählt worden. Wurzeln, die ihm die an diesem Abend vielfach beschworene Bodenhaftung sicherten. „Er hatte diese fränkische Bauernschläue“, sagt einer, der ihn gut kennt, aber nicht namentlich zitiert werden möchte, weil „Bauernschläue“ zu negativ klinge. Ex-Postminister Wolfgang Bötsch (Würzburg), Vorgänger im Amt des Landesgruppenchefs, äußert sich vornehmer. In Anspielung auf Immanuel Kant spricht er von der „Intelligenz der praktischen Vernunft“, die den Weggefährten auszeichne. Politisches Handeln sei dem Müllermeister immer wichtiger gewesen als Reden, darüber hinaus habe er Netzwerke gepflegt.

„Wenn einer den Namen Schlitzohr verdient, dann Michael Glos“, unterstreicht Wolfgang Zöller, scheidender CSU-Abgeordneter aus Main-Spessart. Wo und wie sich die Schlitzohrigkeit gezeigt hat? Zöller: „Da sage ich lieber nichts.“ Für Anja Weisgerber, die ihm als Wahlkreisabgeordnete in den Bundestag nachfolgen soll, ist Glos ein „Vorbild“, weil er trotz seines großen Einflusses in Berlin „so bodenständig geblieben ist“.

„Der Glos-Michel ist nie abgehoben, er ist einer von uns“, sagt auch Reinhard Hüßner, Sprecher der „Heckenschmatzer“. Das Quartett aus Wiesenbronn (Lkr. Kitzingen) spielt mit Schifferklavier, Tuba und Klarinetten zum festlichen Essen auf. Auf dem Programm steht fränkische Tanzmusik – „authentisch und gewachsen“, sagt Hüßner, „so wie auch Politiker sein sollten“.

Bei aller Heimatliebe, den Abschiedsabend umweht auch internationales Flair. Nicht nur, weil Freund Solms Anekdoten von Reisen in die Mongolei, nach Vietnam und Kambodscha (wo Glos den verdutzten Menschen Anstecknadeln mit der Aufschrift „Besucher des Deutschen Bundestags“ als vermeintliche Orden ans Revers heftete) erzählt. Mit Wladimir M. Grinin weilt auch der russische Botschafter in Deutschland unter den Gästen – am Promi-Tisch bei den Ehepaaren Kohl und Glos. Grinin preist den Einsatz des Wirtschaftsministers für die „deutsch-russische Klimaerwärmung“.

Passt also prima zu den Medienmeldungen vom Wochenende, Glos werde nach dem Abschied aus dem Bundestag Lobbyist für das Russland-Geschäft des mainfränkischen Baustoff-Riesen Knauf (Iphofen). „Das stimmt so nicht“, korrigiert der 68-Jährige auf Nachfrage dieser Zeitung. Er wolle Unternehmen mit seinen Kontakten helfen, so Glos. Das Angebot sei aber nicht auf bestimmte Firmen beschränkt. Wird also noch dauern, bis sich der Mann an der Seite von Ehefrau Ilse zu Hause in Prichsenstadt richtig zur Ruhe setzt.

 
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Kommentare
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  • R. W.
    ... sind in der Tat eher Attribute für Bürgermeister von Kleingemeinden, sie umschreiben bezeichnenderweise nun einen Mann, der an den Schalthebeln der Macht saß.
    Bauenschlau und schlitzohrig sind auch all jene, die meinen auf Staaskosten und des Bürgerwohls ihre Vorteile aus ihrer Position zu ziehen ohne dass es einer merkt.

    Seien wir froh, dass nicht noch mehr passiert ist....
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  • M S.
    Welche Spuren hat er hinterlassen? Untätigkeit ini der Wirtschaftskrise?
    Spruen bei der Anwesendheit im Bundestag? Sparen bei den Nebentätigkeiten?
    Herrn Glos waren doch immer seine eigenen Vorteile wichtiger.

    Gut das er endlich verschwindet
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