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WASHINGTON
Wie dient man als Diplomatin einem totalen Antidiplomaten?
Jennifer Gavito, US-Generalkonsulin in Bayern
Foto: Matthias Balk (dpa) | Jennifer Gavito, US-Generalkonsulin in Bayern
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 27.04.2023 04:54 Uhr

Sehr geehrte Frau Generalkonsulin, Ihren Job möchte ich derzeit nicht geschenkt haben. Genauer gesagt: Seit dem 8. November 2016 nicht. Seit Ihr Land einen gewissen Donald Trump zum Präsidenten gewählt hat. Sie müssen als Diplomatin ein Land vertreten, das den vermutlich undiplomatischsten Präsidenten seiner jüngeren Geschichte hat.

Mehr noch: Einen Mann, der einen Großteil seiner Zeit (wenn er nicht gerade auf dem Golfplatz steht) damit zubringt, all die Menschen herabzusetzen, zu verhöhnen, zu beleidigen oder zu verleumden, die ihm in die Quere kommen.

Wie bewegt man sich also auf dem diplomatischen Parkett, wenn der oberste Dienstherr Woche für Woche neue Beweise liefert, dass ihm Diplomatie vollkommen schnuppe ist? Der bei Telefonaten mit anderen Staatschefs den Hörer aufknallt, wenn ihm was nicht passt. Der sich auffällig mühelos auf das gleiche rhetorische Niveau begibt wie der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un. Ich stelle mir das sehr, sehr schwer vor. Und frustrierend. Denn wenn Sie gutheißen würden, was derzeit in Ihrem Heimatland abgeht, wären Sie wohl kaum Diplomatin geworden.

Ich vermute, unter Diplomaten herrschen zivilisiertere Formen der Kommunikation, als sie seit Januar im Weißen Haus üblich sind. Und hoffe also, dass man Sie auf offiziellen Anlässen in unserem Land nicht ununterbrochen mit ähnlicher Wortwahl zur Rede stellt, wie sie Ihr Präsident in seinen Statements für angemessen hält.

Aber wir normalen Leute, wir fragen uns schon, wie so etwas möglich ist. Wie es kam, dass das mächtigste Land der Erde offenbar komplett in die Hände von nationalistischen Isolationisten, ungenierten Rassisten, religiösen Eiferern und skrupellosen Selbstbereicherern fallen konnte.

In Deutschland tritt man als Politiker schon nach missglückten Äußerungen zurück, die irgendwie Gegenwart und jüngere Zeitgeschichte miteinander in Verbindung bringen – hier stolpert man über Nazi-Vergleiche, in den USA lobt der Präsident Nazis als – zumindest in Teilen – „wundervolle Leute“. Und es gibt offensichtlich niemanden, der ihm mal in einer ruhigen Minute erzählt, dass auch sein Land gigantische Opfer gebracht hat, um die Welt von der Geißel des Nationalsozialismus zu befreien.

Ganz richtig: Von den Leuten, die anfangs auch nur grölend mit Hakenkreuz-Fahnen durch die Städte gezogen sind. Wer immer solch eine Fahne trägt oder hinter ihr hertrottet, der identifiziert sich aus meiner Sicht mit den schlimmsten Verbrechen, die Menschen je begangen haben. In den USA – Land of the Free and Home of the Brave (Land der Freien, Heimat der Tapferen), um mal kurz aus Ihrer Nationalhymne zu zitieren – gilt das neuerdings offenbar als legitimes politisches Statement.

Warum sonst hätte Trump darauf hingewiesen, dass die Nazi-Demonstranten in Charlottesville eine Genehmigung für ihren Aufmarsch hatten, die Gegendemonstranten hingegen nicht? Und dass die „wundervollen Leute“ „Heil Trump“ gebrüllt haben, scheint ihn auch nicht weiter gestört zu haben.

Das alles muss doch ein Albtraum für Sie sein, die Sie ausgerechnet in der ehemaligen „Hauptstadt der Bewegung“ Dienst tun. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich halte die Vereinigten Staaten (immer noch) für ein großartiges Land. Ich war dort Austauschschüler und habe damals als verschüchterter 15-Jähriger so viel Freundlichkeit und Offenheit erfahren, dass ich seither viele Male dorthin zurückgekehrt bin. Ich habe sogar in den Staaten geheiratet.

Aber irgendwann muss irgendetwas furchtbar schiefgegangen sein. Natürlich haben die USA ihr riesiges Rassismus-Problem noch lange nicht bewältigt. Natürlich hat der amerikanische Traum schon immer seine sehr, sehr dunklen Schattenseiten. Wer es nicht schafft, sich eine gesicherte Existenz aufzubauen, dem geht es hier dreckiger als in vielen anderen Staaten der sogenannten Ersten Welt. Denn da gibt es diese für uns schwer zu verstehende Doktrin: Nachbarschaftshilfe ist in Ihrem Land ein heiliges Gut, und das ist wirklich schön. Staatliche Hilfe aber ist immer gleich Sozialismus und damit des Teufels.

Das gab es schon immer. Warum aber haben plötzlich die Herzlosen, die Rücksichtslosen, die Wissenschaftsleugner und die Abschotter dermaßen die Oberhand gewonnen?

Ihrem Lebenslauf, sehr geehrte Frau Generalkonsulin, entnehme ich, dass Sie vier Sprachen sprechen und einiges von der Welt gesehen haben. Sie haben öffentlich Obamacare, Klimaschutzpakt und Atomabkommen mit dem Iran gelobt. Alles Sachen, die Trump ablehnt.

Ich kann nur hoffen, dass der weiterhin vollauf mit seinem Chaos im Weißen Haus beschäftigt ist, damit Menschen wie Sie möglichst ungestört ihre Arbeit machen können. Für die Vereinigten Staaten von Amerika und für den Rest der Welt.

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  • R. D.
    Vielleicht sollten unsere Journalisten einmal aufhören einen gewählten Präsidenten eines demokratischen Landes ständig zu kritisieren.
    Vielleicht sollten sie sich mal stärker um die Deutschen Politiker und deren Worte und Taten kümmern. Da gäbe es genug aufzuarbeiten und zu berichten.
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