Lieber Andreas,
ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich Dich duze. Aber zum einen bin ich nicht seeeehr viel älter als Du mit Deinen 22 Jahren (ab und zu muss flunkern erlaubt sein). Und zum anderen bin ich es als Sportredakteurin gewohnt, dass man sich auf den Plätzen und in den Hallen in der Regel mit Du anspricht. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie das unter Skispringern ist (davon haben wir bei uns in der Region naturgemäß nur wenige), gehe aber einfach mal davon aus, dass das so schon in Ordnung geht.
Jedenfalls bin ich ein bisschen aufgeregt, während ich diese Zeilen tippe – immerhin schreibt man nicht jeden Tag einem Goldmedaillen-Gewinner. Schon gar keinem, von dem gesagt wird, dass er auf dem besten Weg zum Popstar ist und bald einen Hype auslösen könnte, der dem um die ehemaligen Skispringer Sven Hannawald und Martin Schmitt nahekommt. In Südkorea scheint allerdings weder das noch Deine sportliche Leistung viele Menschen zu interessieren. Das liegt natürlich nicht an Dir. Für die fast leeren Ränge gibt es viele Gründe; das Gefühl, vor quasi leerem Haus zu springen, ist aber trotzdem kein schönes, oder?
Mit 104,5 und 113,5 Metern bist Du in der Nacht von Samstag auf Sonntag von der Normalschanze in Pyeongchang gesprungen, hast Deine Konkurrenten Andre Forfang und Robert Johansson auf die Plätze verwiesen, Dir die olympische Goldmedaille gesichert und nebenbei den Schanzenrekord von Stefan Kraft eingestellt. Hut ab vor dieser Leistung! Doch harrten nur etwa 500 Fans bis zum Ende des Wettbewerbs aus. Bei der Blumenzeremonie waren – wenn man den Berichten glauben darf – kaum mehr 100 Zuschauer dabei. Das ist kein Vergleich zu der Stimmung, die Du und Deine Kollegen bei Weltcups oder dem Großereignis Vierschanzentournee erleben. Dein Trainer Werner Schuster will sich durch die geringe Aufmerksamkeit nicht die Stimmung vermiesen lassen, fühlte sich aufgrund der leeren Ränge nach eigenen Aussagen aber an den „Deutschlandpokal“ erinnert. Ein nicht eben charmanter Vergleich.
Gerade zu den bei uns populären Disziplinen kamen bei den Olympischen Winterspielen bisher nur wenige Zuschauer. Die koreanischen Fans interessieren sich vor allem für die Wettbewerbe in den Eishallen, vorrangig für Shorttrack und Eiskunstlauf. Andere Sportarten, wie Biathlon, ereilt das gleiche Schicksal wie das Skispringen. Der Trainer der deutschen Biathlon-Frauen, Gerald Hönig, sagte nach dem ersten Sieg von Laura Dahlmeier im Sprint zwar, er wolle ob der enttäuschenden Kulisse von nur 1500 Zuschauern nicht „von einem Trauerspiel“ sprechen, meinte aber wohl genau das. „Was hat Korea mit Wintersport zu tun?“, wollte er wissen. Eine rhetorische Frage, die ihn direkt im Anschluss resümieren ließ: „Das wirkt sich hier eben aus.“
Zu der geringen Bindung der Südkoreaner an den Wintersport kommen die eisigen Temperaturen von bis zu minus 20 Grad und der oft schneidende Wind. Man mag verstehen, dass da die Zuschauer wegbleiben.
Aber ist es für Euch Athleten nicht trotzdem enttäuschend? Ändern die leeren Ränge etwas an der Stimmung, mit der Ihr sonst in einen Wettkampf geht? Seid Ihr am Ende sogar sauer auf das Internationale Olympische Komitee (IOC), dass es sich für die 23. Olympischen Winterspiele gerade dieses asiatische Land ausgesucht hat?
Neben der Kälte und der mangelnden Begeisterung für einzelne Disziplinen, sorgen die Zeitverschiebung und das finanzielle Interesse der Fernsehanstalten für absurde Wettkampfzeiten. Bis nach Mitternacht hat es gedauert, bevor Du Dir Deiner Goldmedaille sicher sein konntest. Der Großschanzenwettbewerb am heutigen Samstag und der Teamwettbewerb am Montag beginnen erst um 21.30 Uhr Ortszeit. Ende ungewiss. Machen es diese Uhrzeiten nicht schwer, die gewohnte Leistung abzurufen? Und ist es nicht eine Frechheit, Euch so etwas zuzumuten? Respekt vor den Athleten sieht anders aus, finde ich, und muss herzhaft lachen, wenn IOC-Eventchef Kit McConnell behauptet, dass die Interessen der Fernsehanstalten bei der Gestaltung des Zeitplans keinen Vorrang vor denen der Sportler und Zuschauer vor Ort hätten. Kann mir keiner erzählen, dass die Milliarden ausgeben, ohne ihre Einschaltquoten im Blick zu haben. Aus marktwirtschaftlicher Sicht verständlich, aus sportlicher zumindest fragwürdig.
Ändern lässt sich das alles nicht. So bleibt mir nur, Dir zu wünschen, dass dies alles die Freude an Deinem Erfolg nicht schmälert. Am heutigen Samstag könntest Du Dich mit einem Sieg auf der Großschanze in die Geschichtsbücher eintragen. Nur drei Skispringer konnten bisher bei Olympischen Spielen Gold von beiden Schanzen holen. Wie viele Zuschauer Matti Nykänen (1988), Simon Ammann (2002) und Kamil Stoch (2014) dabei hatten, spielt heute – und das sei Dir ein Trost – keine Rolle mehr.
Mit sportlichen Grüßen,
Carolin Münzel, Redakteurin
Nur noch der Kommerz ist wichtig, alles andere wird hinten angestellt.
Das hat mit olympischen Tugenden nichts mehr zu tun.
Und Herr Bach aus TBB ist mittendrin in diesem Sumpf und rührt fleißig mit an.