Zugegeben: Einen Brief ins All schreibt man nicht alle Tage. 400 Kilometer direkt nach oben. Dort haben Sie gerade Ihr Zuhause, lieber Alexander Gerst. Die Brief- und Zeitungszustellung könnte also schwierig werden – auch wenn unsere Austräger einiges möglich machen. Aber selbst wenn ein Zusteller zu Ihnen durchkäme, bleibt eine entscheidende Frage: Wie genau liest man in der Schwerelosigkeit eine Zeitung? Hat man jemals einen Astronauten dabei beobachtet? Sieht sicher komisch aus, wenn einem die Seiten um die Ohren fliegen. Ein wildes Durcheinander.
Ob wohl der Wirtschaftsteil dabei den Auf-und-Ab-Bewegungen der DAX-Kurve folgt? Muss man dem Sport immerzu hinterherrennen? Hängt der Kulturteil irgendwo an der Decke? Wobei die Decke womöglich die Wand ist. Oder der Boden. Weiß man ja nicht so genau da oben bei Ihnen. Vielleicht können Sie uns das mal bei Gelegenheit zeigen: Wie Zeitungslesen in der Schwerelosigkeit geht. Und ob es beim Umblättern raschelt . . .
Wir wagen es, diese Bitte zu äußern, weil Sie Deutschlands Weltraum-Erklärer sind. Ein Botschafter für unendliche Weiten. Der Smiley im Weltraum. Beruf trifft auf Berufung – das spürt man bei allem, was Sie tun. Sie sind ein Menschen-Begeisterer. In den Sozialen Netzwerken versorgen Sie uns Erdlinge mit Bildern, an denen man sich nicht sattsehen kann. Durch Sie weiß ich, dass Facebook auch im Weltall funktioniert. Zuletzt erschien dort dieser Eintrag von Ihnen: „Außenposten. Auf dem Planeten unter uns leben sieben Milliarden Menschen. Im Weltraum leben sechs Menschen. Unglaublich!“
Da ist sie wieder, die ansteckende Begeisterung. Sie machen dort oben vor lauter Freude sogar den Gienger-Salto, einen Rückwärtssalto mit halber Schraube, den der Olympiamedaillen-Gewinner Eberhard Gienger in den 70er Jahren erfunden hat. Zähneputzen geht bei Ihnen aus Prinzip mit Rückwärtssalto einher. Sie drücken unserer Nationalmannschaft die Daumen. Um öffentlich zu trösten, wenn das erste Spiel vergeigt wird („. . . zählt noch als Generalprobe!“). Man nimmt Ihnen alles ab, was Sie tun. Sie strahlen so eine unbändige Energie aus – damit könnte man locker eine ganze Nationalmannschaft versorgen. Als Schokoriegel, wenn ich das mal wie in einer Werbebotschaft sagen darf, würden Sie auf der Milch schwimmen. Wobei es einen schöneren Vergleich gibt: Irgend jemand hat Sie mal als Geschenk des Himmels bezeichnet – was es perfekt auf den Punkt bringt.
Ihre Chefs von der Europäischen Weltraumorganisation ESA haben das erkannt und Sie erneut ins All geschickt. Als Botschafter und perfekten Werbeträger. Ihre erste Mission im Jahr 2014 – eine 400 000 Kilometer-Dienstreise in 166 Tagen – beendeten Sie mit dem Spitznamen Astro-Alex. Kaum einer vor Ihnen hat vom Weltall aus die Erde so gerockt. Bei der jetzigen Horizons-Mission werden Sie teilweise sogar das Kommando der Internationalen Raumstation (ISS) übernehmen. Sie sind dann – und das zeigt die Wertschätzung – der erste deutsche und zweite europäische Kommandant der ISS. Da kann man schon mal einen Salto machen.
Wissen Sie, warum ich Sie schon bei der ersten Mission vor vier Jahren ins Herz geschlossen habe? Weil Sie aus dem Stand heraus das waren, was es kaum noch gibt: ein Vorbild. Selbst – um letztmals auf den Fußball zu kommen – bei Nationalspielern lässt die Vorbild-Funktion nach, von Wirtschaft und Politik ganz zu schweigen. Zu Ihnen aber sieht man gerne auf – und das nicht nur, weil Sie als Smiley-Weltall-Erklärer mit knapp acht Kilometer pro Sekunde und einer Höchstgeschwindigkeit von 27 600 Stundenkilometern in einer 97,9 Meter langen Forschungskapsel über unseren Köpfen schweben.
Und dann ist da noch diese wunderbare Geschichte, wie Sie das wurden, was Sie sind. Da war ein kleiner Junge mit einem großen Traum. Die Träumerei begann, weil der amateurfunkbegeisterte Opa seinem Enkel zeigte, wie man eine Antenne so ausrichtet, dass die Stimme des damals Sechsjährigen zum Mond und wieder zurück geschickt wird. Das war es wohl, was den Funken der Begeisterung überspringen ließ.
Ihnen traut man irgendwie alles zu. Und mit 42 Jahren ist noch vieles möglich. Wenn es beispielsweise einmal darum gehen sollte, den Mars zu besiedeln – bei Ihnen würde man die Mission sofort für möglich halten. Wer unmittelbar vor dem Abflug den Satz postet „Eben aufgestanden und zum letzten Mal für sechs Monate geduscht!“ – der kann das. Ich glaube sogar, dass Sie die Mars-Mission sofort antreten würden. Einmal noch kurz zurück zur Erde, frische Sachen holen und weiter geht's.
Wobei jetzt erst einmal die ISS-Mission bis Ende Oktober ansteht und eine treue Fangemeinde mit Infos aus dem All versorgt werden will. Danach wartet endlich wieder eine warme Dusche. Und eine Zeitung, die nicht immer wegfliegt.
Viele Grüße nach oben
Frank Weichhan, Redakteur