Liebe Benigna, ich muss gestehen, dass das Nürnberger Christkind mich bisher nicht sonderlich interessiert hat. Es ist halt eine von diesen Symbolfiguren. Hier bei uns in der Gegend sind ja eher Weinhoheiten wichtig, in Bad Kissingen gibt es außerdem eine Quellenkönigin, in Ochsenfurt eine Zuckerfee. Und so weiter.
Aber in den wenigen Tagen, die Du nun das Nürnberger Christkind bist, habe ich einiges dazugelernt. Nicht so sehr über die Figur des Christkinds als solche, sondern über die menschliche Natur. Das klingt jetzt etwas pompös, aber es trifft die Sache recht gut. Wichtigster Lerninhalt: Man sollte die Hoffnung nie aufgeben, dass Liebe vielleicht doch stärker ist als der Hass.
Nach Deiner Wahl hat der AfD-Kreisverband München Land einen rassistischen Post gegen Dich abgesetzt. Du, 17-jährige gebürtige Nürnbergerin – Dein Vater stammt aus Indien und ist längst deutscher Staatsbürger, Deine Mutter ist Deutsche – hast extrem cool reagiert. Nein, besser noch: Du hast weise reagiert. Und folgenden Satz gesagt: „Es tut mir leid für die Menschen, die mit so einer Sicht durch die Welt gehen und sich nicht auf das fokussieren können, was wirklich wichtig ist.“
Mit dieser Haltung hast Du als Christkind schon jetzt mehr für das Fest der Liebe getan als viele andere vor Dir. Nicht schlecht für eine Symbolfigur, von der ich bis vor ein paar Tagen dachte, sie sei vor allem zum Winken, Händeschütteln und Plätzchenverteilen da. Auch hier habe ich dazugelernt.
Ich bin aber auch erschrocken. Über mich selbst. Darüber, dass ich mich kein bisschen über den Mist aus der rechtsextremen Ecke gewundert habe. Na klar, habe ich gedacht, war ja zu erwarten. Irgendein deutschtümelnder Rassist findet sich immer, der meint, eine imaginäre germanische Rasse mit rosiger Haut, blauen Augen und blondem Haar vor dem Aussterben bewahren zu müssen.
So weit ist es also schon gekommen: Man müsste immer wieder aufs Neue Abscheu und Entsetzen empfinden, oder, um den Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly zu zitieren, "man könnte heulen über so viel Menschenfeindlichkeit". Stattdessen haben wir es irgendwie zugelassen, dass sich die widerliche Hetze im politischen, sozialen und kulturellen Alltag als eine Art Hintergrundrauschen mit gelegentlichen Spitzen eingenistet hat.
Immerhin: So ganz allmählich scheint ein neues Bewusstsein dafür zu entstehen, dass Demokratie nicht gleichzusetzen ist mit Wehrlosigkeit. Dass etwa der Rechtsausschuss des Bundestags in dieser Woche seinen Vorsitzenden abgewählt hat, der mit vergleichbaren Gemeinheiten aufgefallen war, wie die Person, die gegen Dich gehetzt hatte, scheint mir ein Zeichen der Hoffnung zu sein.
Ich bin tief beeindruckt, dass Du Dich nicht einschüchtern lässt, liebe Benigna. Auch das ist ein wichtiges Signal: Man kann gütig sein – ganz im Sinne der Bedeutung Deines Vornamens – und trotzdem klar in der Sache. Denn Du hast den Kern der Problems besser getroffen als mancher politische Kommentator: Hass, Nationalismus, Rassismus sind Verblendungen und Störungen, Handicaps, wenn man so will. Sie sind Symptome einer grundsätzlichen Unfähigkeit.
Der Ruf nach einer ethnisch homogenen Gesellschaft zeugt – neben allen sonstigen niedrigen Motivationen – vor allem von einem: von Dummheit. Kaum zu glauben, dass man das heutzutage wieder erklären muss. Ja, wir sollten eine homogene Gesellschaft sein. Eine Gesellschaft der Demokraten und der Mitmenschen. In einer solchen Gesellschaft hätten dann nur die keinen Platz, die Mitmenschlichkeit von Kriterien wie Hautfarbe und Herkunft abhängig machen.
Christkind zu sein, war ein Kindheitstraum von Dir, hast Du gesagt, liebe Benigna. Ich freue mich von Herzen, dass sich dieser Traum nun erfüllt, und ich wünsche Dir ebenso von Herzen, dass Du diese Zeit in vollen Zügen genießen kannst. Trotz des Medienrummels, trotz der plötzlich gewaltigen politischen Dimension des Amtes. Auch hier hat mich Deine Haltung in einem Fernsehinterview beeindruckt: "Die ernsten Gesichter sind bisschen blöd, weil man möchte ja lächeln, aber ansonsten ist alles sehr schön."
Ich war erleichtert, dass Dir die Netzgemeinde augenblicklich zur Seite gesprungen ist. 1600 positive Kommentare unter einem negativen Post, das ist schon was. Und wo wir gerade beim Lernen sind: Seither kenne ich – wie Du – ein neues Wort. Candystorm. Also das Gegenteil von Shitstorm. Wir brauchen mehr Candystorms. Und wir brauchen mehr Christkinder wie Dich, liebe Benigna.
Frohe Weihnachten,
Dein Mathias Wiedemann
Gefällt es Ihnen nicht, dass auf die weltoffene Stimmung in der Bevölkerung hingewiesen wird und wie wenig diese unsägliche Hetze der AfD bei den meisten Menschen ankam?
kam vor allem bei der AfD wenig an, die den Schreiber sofort rausgeworfen und sich unmissverständlich distanziert hat. Und dies war jetzt die gefühlt millionenste öffentliche Solidaritätsbekundung für das arme, in Franken geborene und aufgewachsene Mädel. Ganz schön viel der Ehre für den Verfasser eines kleinen depperten Kommentars. Aber wenn der Gegner Schwäche zeigt, muss dies natürlich bis zum geht nicht mehr ausgenutzt werden, das verstehe ich schon.
Diese verspätete Distanzierung von diesem rassistischen Post in den asozialen Medien spiegelt doch nur das grundsätzliche Muster der AfD.
Erst wird etwas sehr Grenzwertiges in die Welt gesetzt um die rechten Mitläufer bei der Stange zu halten und dann wird zurück gerudert und halbherzig entschuldigt.
Im Falle der Benigna Munsi hat dieser Kommentator sich allerdings so gewaltig verschätzt, dass die AfD diesen Post am liebsten ungeschehen machen möchte.
Nur es ist das wahre und hässliche Gesicht der AfD und nachträglich lässt es sich eben nicht wieder aus der Welt nehmen, genauso wenig wie der Kommentar der Störchin (im Ernstfall auf Kinder schießen).
Es sind keine Mausrutscher, es ist Absicht. Es sind diese Hassprediger der AfD, die Deutschland unsicherer und weniger lebenswert machen. Und es ist gut, dass es eine breite Welle der Solidarität mit Benigna Munsi gegeben hat, um der AfD auch aufzuzeigen, dass Deutschland nicht diese hässliche Flügel-AfD mag.
Vielen Dank dafür.