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Samstagsbrief: Manuel Neuer, vielleicht versucht ihr es doch mal mit Boykott!
Sportpolitik und Funktionäre sind die Wurzel des Übels. Wenn sich etwas ändern soll im Weltsport, müssen die Athletinnen und Athleten aktiv werden, meint unser Autor.
Manuel Neuer ist Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, die bei der WM in Katar bereits in der Vorrunde vor dem Aus steht.
Foto: Christian Charisius, dpa | Manuel Neuer ist Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, die bei der WM in Katar bereits in der Vorrunde vor dem Aus steht.
Achim Muth
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:22 Uhr

Lieber Manuel Neuer,

wissen Sie noch? Vor achteinhalb Jahren, im Campo Bahia, da hing ein Bild mit eurem WM-Motto im Trainerzimmer von Joachim Löw und seinem Assistenten Hansi Flick: "Ein guter Anfang braucht Begeisterung, ein gutes Ende Disziplin!" Der Rest ist wunderschönste deutsche Fußball-Geschichte - mit Ihnen mittendrin und dem Goldpokal in den Händen.

Weltmeisterschaften sind feste Anker im Meer der Erinnerungen. 1982. 1986. 1990. Was für eine Trilogie: Rossi! Maradona! Matthäus! Diese Turniere waren unbeschwerte Sommerwochen mit der Leichtigkeit von Milky Way.

Und jetzt? Wenn ich mich dereinst an diese Weltmeisterschaft in Katar erinnern werde, dann hoffentlich an das Turnier, das eine Zäsur im Umgang mit der Fifa einleitete.

Statt eine Gelbe Karte zu fürchten, lieber die Rote Karte zeigen

Vor sechs Jahren haben Sie mir mal in einem Interview im Trainingslager in Ascona erzählt, wie wichtig Ihrer Ansicht nach der Spaß am Tun für den Erfolg ist. Bei der Nationalmannschaft, so sagten Sie damals, herrsche nie schlechte Stimmung. Nun sitzt ihr abgeriegelt bei der ungeliebten Wüsten-WM in Katar herum und leckt die Wunden nach dem 1:2 zum Auftakt gegen Japan.

Ich würde jetzt gerne mit Ihnen über das Sportliche fachsimpeln. Über die geradezu groteske Schlichtheit des Abwehrverhaltens in der Viererkette und darüber, dass für euch am Sonntag gegen Spanien schon die K.o.-Runde beginnt. Aber, erstens, habe ich das Auftaktspiel nur in Ausschnitten in den Abendnachrichten gesehen. Und, zweitens, es gibt Wichtigeres. Denn es geht um nicht weniger als die wunderbare Idee einer Weltmeisterschaft, um ihre Zukunft. Es geht um den Verrat am Sport und seinen unverhandelbaren Werten. Es geht: um das Ganze!

Wenn die Politik versagt, ist es an der Zeit, dass ihr als weltbekannte Sportler euch nicht vor Gelben Karten wegen des Eintretens für Menschenrechte fürchtet. Sondern, dass ihr selbst die Rote Karte zückt und sie den Weltverbänden zeigt, die in ihren Allmachtsfantasien längst jedes Maß und jeden Wertekompass verloren haben. Wie weit ist es eigentlich gekommen, dass der Sportautokrat Gianni Infantino es den Mannschaften verbieten lassen kann, bei einer Weltmeisterschaft mit einer Regenbogenbinde am Arm aufzulaufen? Einfalt statt Vielfalt. 

Eine WM könnte ohne Funktionäre stattfinden, ohne Sportler niemals

Der Sport muss sich selbst reinigen. Ich glaube nämlich, andernfalls wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern in diesen von ebenso geldgeilen wie schamlosen Funktionären geführten Vereinigungen namens Fifa und IOC. Olympia bietet ja das gleiche schäbige Schauspiel. Korruption und Intransparenz muss der Kampf angesagt werden, und die Sportpolitik versagt dabei. Ihr Athleten und Athletinnen aber seid der Motor, durch den diese weltumspannenden Wettbewerbe am Laufen gehalten werden. Ihr seid doch das Herz. Also schlagt!

Ich weiß, es wird kaum möglich sein, sportartenübergreifende Allianzen zu finden, wo es doch auch für euch ums große Geld und große Träume geht. Und doch: Die immer gleichlautenden Argumente von den entbehrungsreichen Trainingsjahren und der "Einmal im Leben"-Chance, sie sind auch ein willkommenes Alibi dafür, sich nicht der Verantwortung zu stellen. Denn natürlich würde ein Boykott der weltbesten Sportlerinnen und Sportler etwas verändern bei Fußball-Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen. Eine WM könnte es auch ohne Funktionäre geben. Ohne Sportler niemals.

Rodler Loch: Katar kritisieren, aber in Peking starten

Der dreimalige Rodel-Olympiasieger Felix Loch hat euch gerade in einem Facebook-Post geraten: "Liebes Germany Football Team, wir alle lieben den Fußball – unsere Freiheit, Demokratie und Menschenrechte aber mehr! Packts zam und kommts nach Hause!" Gut gebrüllt. Aber, die Frage würden Sie ihm sicher genauso gerne stellen wie ich: Weshalb hat er dann Anfang des Jahres an den Olympischen Spielen in Peking teilgenommen? Umweltzerstörung, Unterdrückung der Meinungsfreiheit, Missachtung der Menschenrechte - da spielt China mit Katar in einer Liga.

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Das Beispiel zeigt: Meine Hoffnung auf eine gemeinsame Reaktion des Weltsports ist gering. Vielleicht ist es tatsächlich auch zu viel verlangt von euch Sportlern. Immerhin: Die Aktion mit der Hand vor dem Mund beim Gruppenfoto fand ich richtig gut. Die vom neuen DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf geäußerte Kritik an der Fifa ist sicher nicht genug, denn erst Taten werden etwas bewirken, aber immerhin: Es sind andere Töne als in den vergangenen Jahren.

Ich weiß nicht, ob bei euch im "Zulal Wellness Resort" am katarischen Wüstenküstenstreifen ein WM-Motto im Trainerzimmer hängt. Wenn nicht, ich hätte einen Vorschlag: "Fußball ist mehr als Sport."

Mit sportlichen Grüßen,

Achim Muth, Redakteur

Samstagsbrief

Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse.
Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.
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  • R. B.
    Wer hat denn vor 4 Jahren zum Boykott in Russland aufgerufen nachdem die die Krim eingenommen hatten??
    Wer hat denn vor 8 Jahren in Brasilien zum Boykott aufgerufen, obwohl die den Regenwald abholzen und nichts für die ärmsten in den Slums tun??
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  • T. K.
    Es ist wie immer, auf das schwächste Glied in der Kette wird eingeprügelt. Die Fehler wurden und werden seit 12 Jahren von anderen gemacht.
    Zu Felix Loch: So sehr ich ihn als Sportler schätze, hier sollte er vor der eigenen Haustüre kehren. Warum hat er Olympia nicht boykottiert? Die Verhältnisse in China sind nicht viel besser (siehe z.B. Auguren). Und das IOC ist vergleichbar mit der FIFA.
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  • E. S.
    Ich glaube nicht das Manuel Neuer der richtige Adressat für diesen Brief ist Herr Muth.

    Immerhin ist Fußball ja ein Mannschaftssport und da kann nicht jeder einzelne tun und lassen was er will, oder sollte, wie Sie meinen.
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  • B. L.
    Es gibt nur eine Binde Schwarz- Rot -Gold !!
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  • C. P.
    Richtig, Fußball ist mehr als Sport, aber vor allem Sport. Alles andere sollte endlich wieder mehr und mehr in den Hintergrund rücken.
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  • D. K.
    Genau.

    Macht doch endlich wieder Werbung für Budweiser, Cola, Qatar Airways und wer sonst noch das Ganze verschuldet hat.
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  • R. B.
    Sehr geehrter Herr Muth, auch heute haben Sie es leider nicht geschafft über den Tellerrand hinaus zu schauen. Den Boykott am Schwächsten im Glied auszumachen, ist naiv und kindisch zugleich. Wo war eigentlich Ihr Samstagsbrief nach der Vergabe vor 12 Jahren? Wo war der Boykottaufruf der Main-Post, der Medien, der Politik, der Künstler, all Jener, welche sich nun in Effekthascherei in Szene setzen. Herr Muth, mich interessiert Fußball in keinster Weise, aber jeder vernünftige Mensch konnte oder musste erahnen, was es heißt eine WM in ein arabisches Land zu vergeben. Heute geht es in erster Linie ums große Geld und nicht um den Sport. Und abgesehen davon ist der Austragungsort klimatisch betrachtet eine Katastrophe. Das große Ganze haben Sie leider ignoriert oder vielleicht war es auch einfacher, den Spielern den schwarzen Peter zu zuschieben.
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  • A. H.
    vor 12 Jahren, ja da wars halt noch nicht en vogue, sich künstlich aufzuregen, jetzt musste er das halt schreiben, um "auf den Zeitgeist-Zug aufzuspringen" und den anschluss nicht zu verpassen.
    Fachlich eh bedeutungslos, und zwar vööööllllig!
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  • R. E.
    Fussball ist mehr als Sport. Richtig. Nämlich eine kommerzielle Veranstaltung. Und dabei geht es nunmal um Geld - unter anderem auch um hohe Prämien für das Erreichen bestimmter Finalziele. Das wird sich auch nicht ändern. Einen Unterschied zur Profiliga hat die Weltmeisterschaft aber. Dorthin erfolgt die Berufung durch den DFB. Die kann jeder Spieler ablehnen, wenn er das will. DANACH ist es m. E. konsequent, sich den Verbands- und Fifa-Regeln unterzuordnen. Ob einem das passt oder nicht. Die im Moment propagierte GRAU-Zone passt offensichtlich nicht in das Kommerzbild der Fifa. Das ist ebenso ärgerlich wie Fakt.
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  • H. S.
    Herr Muth, ich dachte sie hätten Sachverstand.
    Die deutsche Mannschaft boykottiert die WM doch, sie lässt andere gewinnen.
    Das Bindengeschwafel wird doch nur von den Medien hochgekocht.
    Warum werden die Spieler dauernd nach der schwachsinnigen Binde gefragt. Nach Fussball fragt doch keiner von euch Starreportern, jeder will gut dastehen.
    Deutschlands Binde kann nur Schwarz-Rot-Gold sein.
    Doch auch bei ihnen Herr Muth steht der Fussball nicht im Vordergrund.
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  • H. S.
    Durch ihr Verhalten und das Schlechte Abschneiden im Spiel, werden sie als Schmierlappen heimkommen….verdient
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  • E. G.
    Hallo Herr Muth,
    weshalb wird dieses Thema ausschließlich an der FIFA festgemacht?
    Vor einem Jahr lief die Fußball EM in Deutschland. Die Verantwortlichen waren damals sowohl im DFB als auch im BFV fest verankert. "Wir" schafften es nicht einmal im eigenem Land, das Stadion in München - gegen den Willen der UEFA - in bunten Farben zu beleuchten. Wer jetzt die FIFA verantwortlich macht, denkt doch deutlich zu kurz und zeigt nach meiner Meinung, dass es heuchlerisch ist, mit dem Finger auf andere zu zeigen.
    Ich schätze Felix Loch als Sportler. Seinen Vorschlag, dass die Fußballer doch bitte die WM boykottieren mögen, passt genau ins Sankt Florian-Prinzip.... verschon mein Haus, zünd and´re an. Er selbst hätte (Olympia) doch genau dies vormachen können. Elfer verschossen!

    Im letzten Jahr haben die Verbände (UEFA, DFB, BFV) dicke Chancen verspielt und sind auch deshalb auf der Verliererstraße. Nun sollen es die Spieler richten... die Funktionäre aber vergnügen sich auf den Banketts...
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  • G. Z.
    Das mit dem Boykott hat die Mannschaft längst gemacht. Halt am falschen Ort, aber effektiv das Tor des Gegner s boykottiert. Das hat schon mal geklappt.
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  • B. L.
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  • D. K.
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  • D. K.
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  • M. S.
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  • H. M.
    Herr Muth, Sie haben recht "Fußball ist mehr als Sport". Leider ist er mehr Geld als Sport.
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  • G. B.
    Das Thema mit der Binde ist doch jetzt irgendwie schon durch.
    Durch die Diskussionen und die folgendende Niederlage ist Deutschland irgendwie momentan der doppelte Verlierer.
    Die Öffentlichkeit hat das Team binnen Tagen zwei mal auseinander genommen...jetzt lasst sie mal in Ruhe spielen.
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