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WÜRZBURG
Samstagsbrief: Frau Vita, Ihre Tanzgeschichten treffen uns mitten ins Herz
Unsere Redakteurin schätzt die Art, wie Anna Vita, Ballettchefin des Mainfranken Theaters, Tanz inszeniert. Umso trauriger macht sie der angekündigte Abschied.
Foto: Thomas Obermeier | Unsere Redakteurin schätzt die Art, wie Anna Vita, Ballettchefin des Mainfranken Theaters, Tanz inszeniert. Umso trauriger macht sie der angekündigte Abschied.
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 28.11.2017 03:25 Uhr

Liebe Frau Vita, noch ein Jahr bleiben Sie am Mainfranken Theater als Ballettchefin; dann fällt der Vorhang. So will es der neue Intendant; er hat die Trennung von Ihnen damit begründet, dass „Wandel“ ein „der Kunst immanenter und für das Theater unabdingbarer Prozess“ sei und „personelle Wechsel“ notwendig seien, damit sich das „Bühnenschaffen kontinuierlich neu erfinden“ könne. Auf diese Ankündigung hat die treue, engagierte und oft spendable Würzburger Theatergemeinde reagiert – mit Wut und Unglauben, mit Trauer und Protest.

Nie zuvor haben in Würzburg Ballettfans fürs Bleiben der Ballett-Leitung demonstriert. Für Sie, Frau Vita, haben die Fans das getan. Noch nie zuvor hat diese Redaktion nach der Ankündigung, dass bei der Ballettleitung des Mainfranken Theaters ein Wechsel bevorstehe, Dutzende von Leserbriefen bekommen.

Ihretwegen aber, Frau Vita, haben so viele Fans die Feder in die Hand genommen, dass daraus ganze Protest-Zeitungsseiten wurden – Seiten, auf denen Ihre Bewunderer ihre „Empörung“ und ihr „Entsetzen“ darüber ausdrückten, dass eine so „kreative, begabte, verdienstvolle Theaterfrau“ gehen müsse. Dabei seien Sie doch, hieß es in einem Brief, die „vom Publikum geliebteste Ballettleitung, die das Theater jemals hatte“.

Und das stimmt – das weiß jeder, der erlebt hat, wie nach einer Premiere dann, wenn Sie auf die Bühne kommen, nicht nur die Ballettmütter und Ballettmädels hochspringen und klatschen. Nein, gleichzeitig erheben sich, manchmal mit Tränen in den Augen, auch die müden Elternpaare und die coolsten Singles; und die ältesten und fragilsten Herrschaften mühen sich zum Danke-Sagen hoch aus den Klappsitzen und alle gemeinsam klatschen sich die Hände rot und stampfen und schreien „Bravo“ bis zur Erschöpfung. Warum? Weil, liebe Frau Vita, Sie uns, das Publikum, mit Ihren Inszenierungen mitten ins Herz treffen.

Warum das so ist? Ich nehme den Umweg über den Literaturteil einer überregionalen Zeitung, um zu erklären, was ich mutmaße. Diese Zeitung gibt ihren sicher gebildeten Lesern Sommerlektüre-Tips; darunter finden sich viele historische Abhandlungen, philosophische Traktate. Sicherlich sehr anregend – für den Verstand. Ins Herz werden diese Bücher nicht gehen; im Gedächtnis werden sie deshalb nicht lang bleiben – besser eignen sich dafür erzählte Geschichten und ihre Helden, die leben, leiden, streiten, siegen, betrügen, untergehen. Helden wie Lucie, die um das Geld ihrer Familie zu sichern, als Lucidor leben muss. Wie Dorian Grey, der seine Seele dem Teufel verkauft. Wie Dracula, wie Medea, wie Othello, wie Dornröschen oder Schneewittchen. Nicht ohne Grund haben diese Sagen-, Märchen- oder Dramengestalten Jahrhunderte, manche sogar Jahrtausende überdauert; noch immer haben sie die Kraft, uns mitzunehmen, uns zu erschüttern.

Obwohl wir sie kennen, sind wir bereit, diesen Gestalten auf ihrer emotionalen Reise zu folgen – allerdings nur dann, wenn das, was sie erleben, auf der Bühne so umgesetzt wird, dass wir es glauben, miterleben, mitfiebern, mitleiden können. Ihren Protagonisten eine tänzerische Sprache zu geben, die kreativ ist und abwechslungsreich, neu und doch vertraut und die vor allem uns, dem Publikum, unmittelbar einleuchtet – das ist Ihre große Stärke, Frau Vita. Bei mageren Bedingungen – kleine Compagnie, wenig Probenräume, Aufführungen auch auf der wenig tanzgeeigneten Bühne der Kammerspiele – haben Sie uns in den letzten Jahren wunderbare Tanz Geschichten erzählt.

Natürlich kann man Ihre Tanzgeschichten, so genannte „neoklassische Handlungsballette“, auch anders sehen. Als „altmodisch“ zum Beispiel – Handlungsballette gelten schon lange als tot. Als „vorhersehbar “ – einfach schon aufgrund der linearen Erzählweise. Auch aufgrund der Tanzsprache, die Sie für sich gefunden haben und deren Elemente Sie natürlich mehrfach einsetzen. Sicher als „provinziell“ – denn Sie inszenieren eben Stücke wie „Die Päpstin“ nicht als „Diskurs über die Päpstin“, als „Päpstin 3.

0“ oder als Video-Collage namens „pabstpäpstinamen. Das könnte dran liegen, dass Sie wissen, dass abstrakte Erzählweisen dem Ballett in Würzburg bisher eher Einbrüche als Zuwächse beschert haben. Aber natürlich könnte Ihre traditionelle Erzählweise der Grund für den Wunsch nach einem Wandel sein.

Dass es mir persönlich sehr leid tut, dass Sie gehen, das wissen Sie durch diesen Brief. Natürlich werde ich in Ihrem Abschiedsjahr zu Ihren letzten Ballettpremieren am Mainfranken Theater kommen und so viele Kinder, Freunde, Verwandte mitnehmen wie ich kann. Schon jetzt aber möchte ich Ihnen danken für viele schöne, anregende Tanzabende – und für Ihre Art, Tanzgeschichten zu erzählen.

Bleiben Sie sich treu.

Einer bekommt Post! – Der „Samstagsbrief“

Künftig lesen Sie auf der Meinungsseite am Wochenende unseren „Samstagsbrief“. Was das ist? Ein offener Brief, den ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Figur des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An eine Person, der wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert wird der „Samstagsbrief“ sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der „Samstagsbrief“ ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir vom Adressaten Post zurück. Die Antwort und den Gegenbrief, den Briefwechsel also, finden Sie dann auf jeden Fall bei allen Samstagsbriefen hier. Und vielleicht bietet die Antwort desjenigen, der den Samstagsbrief zugestellt bekommt, ja auch Anlass für weitere Berichterstattung – an jedem Tag der Woche.
 
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