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WÜRZBURG
Samstagsbrief: Ach Boris, ich mache mir wirklich Sorgen!
Achim Muth
 |  aktualisiert: 27.11.2017 03:25 Uhr

Lieber Boris, ich denke, unter uns Tennisspielern hast Du nichts dagegen, wenn ich Dich duze. Außerdem haben wir mehr gemeinsam als Du vielleicht denkst. 1967 geboren. Künstliches Hüftgelenk. Meisterehren. Okay, Du auf dem Centre Court an der Church Road in Londons südlichem Stadtteil Wimbledon, ich auf dem Sandplatz an der Staustufe, Erlabrunn Süd. Irgendwann hast Du einmal gesagt, Du seist in Wimbledon zum zweiten Mal geboren worden. Vor wenigen Tagen war ich dort das erste Mal zu Besuch. Der Kreißsaal ist efeubehangen. Aber ehrlich, Wimbledon ist schon Gänsehaut.

Wir schreiben das Jahr 2017. Du wirst ja auch bald 50 Jahre alt, und ob Du willst oder nicht, so ein runder Geburtstag in der ans andere Ende ausfransenden Lebensmitte ist immer auch gepaart mit einem Blick zurück. Das Gehirn zieht einen Strich und drunter steht eine erste Bilanz des Lebens.

Du kennst Deine Geschichte, aber weil dieser Brief ein öffentlicher ist, sei mir an dieser Stelle ein Rückblick erlaubt. Viele Jüngere wissen ja gar nicht mehr, wie das war in den 80er Jahren mit Dir und dem Tennis. Wir Älteren aber werden den 7. Juli 1985 nie vergessen können, so wie die Generation davor den Tag der Mondlandung nicht und die danach den 11. September 2001.

Dein zweiter Geburtstag war ein Sonntag, klar. Ein warmer Sommertag. Ich schaute im abgedunkelten, elterlichen Wohnzimmer gebannt in einen Röhrenfernseher vom Ausmaß eines Geschirrspülers – auch das kann sich ja die heutige Megaflatscreenjugend kaum mehr vorstellen. Fernseher waren Trümmer. Und ja, Tennis aus Wimbledon kam damals live im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Noch nie hatte ein Deutscher zuvor das berühmteste und wichtigste Tennisturnier der Welt gewinnen können, doch dann warst da Du mit diesen weiß-roten Pumaschuhen und einem Tennisschläger, der wie ein Prügel aussah. Ich bin ja heute noch eher der Adidas-Typ, und meine geliebte Tennisschlägertasche, die ich mir damals gekauft hatte, musste ich erst vor wenigen Monaten entsorgen. Träger gerissen. Reißverschluss kaputt. Ich hielt trotzdem zum Puma-Mann und kiefte am Nagel meines linken, kleinen Fingers.

Als Du den Matchball gegen Kevin Curren verwandelt hast, Aufschlag auf Currens Rückhandseite, Rückhandseite ist immer gut (vor allem in der Kreisklasse 1), da warst Du nicht nur plötzlich mit 17 Jahren der jüngste Wimbledon-Sieger in der Geschichte, ab da war Deutschland eine Tennis-Nation und Boris Becker eine öffentliche Person. In einem alten Artikel von mir über Dich und Deine Heimatstadt Leimen habe ich mal geschrieben: „Es gibt viele Menschen in Deutschland, die halten Bosch für eine Bohrmaschine, Beckers Faust für eine gelungene Goethe-Inszenierung und ein Service für eine Kollektion aus dem Hause Hutschenreuther. Die wahre Bedeutung rückte erst nach diesem 7. Juli 1985 ans Licht.“ Leimen? Kennt irgendwie auch keiner mehr.

Genug der Erinnerung. Anlass für diese Zeilen ist nämlich Besorgnis. Es ist so gar nichts mehr Gutes zu lesen über Dich. 40 Millionen Euro Schulden sollst Du mittlerweile haben. Manche Zeitungen titeln: Pleite! Mit Verlaub, richtig fit wirkst Du auch nicht. Eigentlich dachte ich damals 1999, Du hast zum richtigen Zeitpunkt aufgehört. Nichts ist ja bemitleidenswerter als wenn sich Legenden noch über die Tour schleppen und in der ersten Runde von jungen Haudraufs verprügeln lassen.

Da hatte ich noch nicht gewusst, dass es Dich später in Fremdschämshows des Fernsehens verschlagen wird, wo sie Dir alberne Hüte mit Fliegenklatschen aufsetzten. Idiot statt Idol. Hampelmann statt Hecht. Du beklagst oft, dass Du in Deutschland nicht wertgeschätzt wirst. Damit hast Du recht, aber Du hast ein gerüttelt Maß beigetragen dazu.

Keiner von uns kann nur ansatzweise beurteilen, was es heißt, mit 17 Jahren ein Held zu werden. Ein gläserner Mensch, überfrachtet mit öffentlichen Erwartungen. Wer hätte wohl all den Verlockungen widerstanden, die dieses First-Class-Leben geboten hat? Ich hätte Dir gegönnt, dass Du es schaffst.

Jetzt, so scheint es, sind die Millionen und viele Freunde weg. Vielleicht hättest Du doch noch ein bisschen spielen sollen. Tennis ist Dein Leben. Nirgends warst Du so gut, so leidenschaftlich, so kämpferisch wie auf dem Platz. Und dann nur noch Tennis-Experte sein so wie Mats Wilander oder John McEnroe, auch zwei so Achtzigerjahrehelden.

Die Münchner Produktions-Firma Pantaleon hat die Rechte an Deinem Leben gekauft. Es besteht der Plan, mit Matthias Schweighöfer Dein Wimbledon-Märchen fürs Kino zu verfilmen. Die Firma sagt, sie sei noch in der Finanzierungsphase für das Projekt, was ja auch irgendwie für Dich und Dein Leben zutrifft.

Ich wünsche Dir herzlichst ein Happy End.

Einer bekommt Post! – Der „Samstagsbrief“

Künftig lesen Sie auf der Meinungsseite am Wochenende unseren „Samstagsbrief“. Was das ist? Ein offener Brief, den ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Figur des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An eine Person, der wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert wird der „Samstagsbrief“ sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der „Samstagsbrief“ ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir vom Adressaten Post zurück. Die Antwort und den Gegenbrief, den Briefwechsel also, finden Sie dann auf jeden Fall bei allen Samstagsbriefen hier. Und vielleicht bietet die Antwort desjenigen, der den Samstagsbrief zugestellt bekommt, ja auch Anlass für weitere Berichterstattung – an jedem Tag der Woche.
 
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Kommentare
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  • H. H.
    Ach Herr Muth, Sie machen sich wirklich Sorgen um Boris? Das kann ich kaum glauben, wirklich Sorgen machen heißt vorm Einschlafen ist Boris Ihr letzter Gedanke und nach dem Aufwachen der erste. Das passiert doch eigentlich nur bei einem näherstehenden Menschen wie Kinder, Eltern und Partner aber doch nicht für eine für Sie bedeutungslose Person. Wenn das Ihre Sorgen sind, sind Sie ein glücklicher Mensch, ich beneide Sie zwinkern
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  • M. R.
    Schwachsinn so einen Brief zu schreiben.
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  • A. H.
    Genau - und dann diese erbärmlichen Vergleiche mit Mondlandung und 11. September 2001.
    Für einen der alle drei Ereignisse bewusst erlebt hat ist Boris Beckers Wimbledon-Sieg in seiner Bedeutung und Wirkung überhaupt nicht mit den beiden anderen zu vergleichen: Mondlandung und 11. September haben die Welt in einem Maße verändert, an das Beckers Sieg nicht im geringsten heranreichen kann.
    Fazit: Auch diese Woche wieder vertaner Platz bzw. Lückenfüller
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  • R. Ö.
    Wenn man den Brief versteht, dann ist der keineswegs schwachsinnig, sondern beinhaltet sehr viel tiefsinniges grinsen
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