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WÜRZBURG
Lieber Herr Gauck, es gibt nicht viele Charaktere Ihres Formats
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 28.02.2017 03:47 Uhr

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, lieber Herr Gauck, schön, das Sie an diesem Wochenende wieder einmal in Unterfranken sind. Vielleicht darf ich Sie so einfach mit Ihrem Nachnamen anreden? Ich bin Ihnen nämlich einmal begegnet, bevor Sie das höchste Amt in unserem Staat übernahmen. Da waren Sie in Schweinfurt zu Besuch, lasen aus Ihrer Autobiografie und traten tags darauf in der Stadtbücherei vor Schülern auf. Vorher hatte ich Sie am Telefon interviewt und bei all diesen Gelegenheiten viel Spaß an Ihren ziemlich deutlichen Formulierungen.

Sie haben damals, im Dezember 2011, wunderbare Sätze gesagt. Diesen etwa auf die Schülerfrage, was denn von einer Person zu halten sei, die in der DDR FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda war: „Das war eine Aufgabe von nachrangiger Bedeutung. Den Vorwurf, sie sei in der DDR staatsnah gewesen, gibt die Position nicht her. Die war Pipifax.“ Gemeint war natürlich Angela Merkel, die sich als Kanzlerin nicht allzu lange vorher zugunsten von Christian Wulff gegen Ihre erste Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten gestellt hatte.

Sie sagten aber auch, mit Verweis auf Ihren Sohn Christian, der als SED-Verweigerer in der DDR kein Abitur hatte machen dürfen und erst mit 27 im Westen sein Medizinstudium beginnen konnte: „Der könnte jetzt zu Angela Merkel sagen, ,Mädel, du hättest ein bisschen mehr Charakter zeigen können.‘ Und so weit würde ich auch gehen.“

Es war auch in Schweinfurt zu spüren, wie sehr Sie mit Ihrer klaren Haltung gegen die Diktatur und für die Freiheit die jungen Leute beeindruckt haben. Am coolsten fanden die wahrscheinlich, dass mitten in Ihrem Auftritt das Handy in Ihrer Hemdtasche klingelte. Sie zogen es heraus, gingen ran und gaben trocken durch, dass es jetzt nicht so besonders gut passe. Dann machten Sie kommentarlos weiter.

Sie haben sich damals keine Bitterkeit anmerken lassen, das hat mich beeindruckt. Und Sie haben auch nicht gezickt, als Sie nach Wulffs unrühmlichem Abgang doch noch zum Zuge kamen. Als Sie schließlich Bundespräsident wurden, war ich erst ein klein bisschen enttäuscht, weil Ihnen Ihre hanseatische Knorzigkeit abhandengekommen zu sein schien. Sie konnten – natürlich – nicht mehr so viel Klartext reden wie vorher. Das habe ich dann schon verstanden.

Und dennoch, dies ist immer noch Deutschland, was bedeutet, dass man es nie allen recht machen kann. Unzählige Kabarettisten persiflierten Ihre Neigung, das Thema Freiheit auch in diejenigen Ihrer Reden einzuflechten, die mit ganz anderen Themen zu tun hatten. Mit Sicherheit werden auch diesmal, wenn Sie am Sonntag in Würzburg den Deutschen Umweltpreis übergeben, einige Beobachter eine Strichliste führen.

Manchen Kritikern haben Sie sich auch zu bedingungslos dem kapitalistischen System ausgeliefert: „Gauck konnte bis zum Schluss nicht verstehen, dass die Freiheit nicht nur in der Diktatur des Proletariats verkümmert, sondern auch in der Diktatur des Profits“, schrieb Jakob Augstein auf „Spiegel online“ und warf Ihnen vor, „die unangenehmsten Seiten des Protestantismus“ in die Politik geholt zu haben: „Rigorismus und Rechthaberei.“

Es gibt eine Facebook-Seite mit dem Titel „Gauck – nicht mein Präsident“, auf der Sie gerne als „Bundespfarrer“ tituliert werden. Vielleicht war auch nicht immer alles so geschickt, was Sie gesagt haben. Dem rechten Eiferer Thilo Sarrazin hätten Sie nicht unbedingt „Mut“ attestieren müssen.

Ihre Entscheidung, aus Altersgründen nicht mehr für eine zweite Amtszeit anzutreten, ist nachvollziehbar. Vielleicht kam sie für manche trotzdem zu früh, weil Sie bislang die eine, große Rede, für die man Sie in Erinnerung behalten wird, noch nicht gehalten haben. Andererseits: Wie viele Bundespräsidenten hatten denn so große Momente wie Richard von Weizsäcker in seiner Rede zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs 1985?

Vielleicht kann man sich sowieso nicht aussuchen, weswegen man in Erinnerung bleibt. Ein Präsident ließ kein Fettnäpfchen aus, ein anderer war dauernd am Wandern. Einer war auf dem gelben Wagen unterwegs, ein anderer wollte, dass ein Ruck durch unser Land geht. Und zwei traten zurück – wenn auch aus höchst unterschiedlichen Gründen.

Lieber Herr Gauck, sehr geehrter Herr Bundespräsident, ich bin nicht immer mit Ihnen einer Meinung, immer aber zeugen Ihre Wortmeldungen von Haltung und Engagement. Sie haben sich eingemischt, und Sie haben Eindruck gemacht. Dafür sind Sie oft (und manchmal zu Recht) kritisiert worden. Aber die Schwierigkeiten, einen geeigneten Nachfolger für Sie zu finden, zeigen, dass es in diesem Land nicht allzu viele Charaktere Ihres Formats gibt. Und das finde ich schade.

Mit freundlichen Grüßen

Mathias Wiedemann

Einer bekommt Post! – Der „Samstagsbrief“

Künftig lesen Sie auf der Meinungsseite am Wochenende unseren „Samstagsbrief“. Was das ist? Ein offener Brief, den ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Figur des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An eine Person, der wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert wird der „Samstagsbrief“ sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der „Samstagsbrief“ ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir vom Adressaten Post zurück. Die Antwort und den Gegenbrief, den Briefwechsel also, finden Sie dann auf jeden Fall bei allen Samstagsbriefen hier. Und vielleicht bietet die Antwort desjenigen, der den Samstagsbrief zugestellt bekommt, ja auch Anlass für weitere Berichterstattung – an jedem Tag der Woche.
 
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  • M. G.
    Der/die nächste PräsidentIn wird hoffentlich wieder ein Präsident aller Deutschen werden - keiner der unser Volk in ein Hell-Volk und Dunkel-Volk, unser Land in ein Hell-Deutschland und Dunkel-Deutschland aufspaltet. So wie bisher kann es nicht mehr weitergehen. Wir brauchen eine deutliche Wende. Gut dass Gauck geht.
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  • L. W.
    Nicht der Präsident hat Deutschland gespalten. Das waren schon diese Pegidioten und die Menschen, die sich von diesen auf hetzen ließen.
    Der Präsident hat nur ausgesprochen, wie Deutschland auf die Welt wirkt auf Grund dieser unsäglichen demonstrativen Äußerungen.
    Für mich war der Bürgerrechtler Gauck der beste Präsident seit von Weizsäcker.
    Aber den werden Sie ja auf Grund seiner Rede von 1985 auch nicht mögen.
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  • G. L.
    Beispielsweise die Rede, in der er Occupy als lächerliche Sache bezeichnet hat. Neoliberalismus FTW!
    Auch sonst immer auf seiten der Konzerne und des fetten Kapitals. "Freiheit" ins Mikrophon salbadern und in Sachen NSA/BND-Affäre mal eben nichts machen. Dabei hätte man da so schöne Reden halten können.

    Sorry, mir wird er nicht fehlen, der Herr Gauck. Das eine Taschenlampe in einer Reihe aus Streichhölzern natürlich strahlender aussieht, macht die umgebende Nacht trotzdem nicht weniger dunkel.
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