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SCHWEINFURT
Herr Pronold, Sie sind nicht Herr Gabriel!
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 12.06.2017 03:18 Uhr

Sehr geehrter Herr Pronold, am Freitag hatte ich ein Déja-vu. Mit Ihnen warf schon wieder einer der SPD-Vorderen hin und regelte quasi im Alleingang seine Erbfolge. Vor knapp zwei Wochen war das auf Bundesebene noch Sigmar Gabriel, der für viele völlig überraschend auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur verzichtet und dafür Martin Schulz in den Ring geschickt hatte. Nun machen Sie den Gabriel. Doch helfen wird das der Bayern-SPD nicht. Denn die alte Weisheit „Lieber gut kopiert, als schlecht selbst gemacht“ trifft in Ihrem Fall nicht zu.

Fassen wir noch einmal zusammen: Den bayerischen Landesvorsitz wollen Sie abgeben. Spitzenkandidat bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr wollen Sie auch nicht werden. Wie Gabriel werden also auch Sie Ihre Partei wohl nie an vorderster Front in einen großen Wahlkampf führen. Mir drängt sich da das Bild des Kapitäns beim Verlassen seines sinkenden Schiffes auf. Sie geben das Ruder ab und schicken Generalsekretärin Natascha Kohnen in das für die Genossen zur Tradition gewordene Himmelfahrtskommando namens bayerische Landtagswahl.

Der Zeitpunkt der Bekanntgabe war überraschend – so kurz vor der Landesvorstandsklausur an diesem Wochenende, bei der auch Personalfragen diskutiert werden sollten. Aber vielleicht wollten Sie wie Gabriel einem weiteren Denkzettel der Parteibasis zuvorkommen. Den ersten hatten Sie ja schon 2015 bekommen, als Sie mit nur 63 Prozent der Stimmen zum Landeschef wiedergewählt wurden. Auch unser neuer Außenminister kennt das Gefühl des Abgewatschtwerdens: 2015 wurde er mit gerade einmal 73 Prozent als Parteichef bestätigt.

So weit, so Gabriel.

Doch hier trennen sich Ihre Wege. Während Sigmar Gabriel für seine „mutige Entscheidung“ euphorisch gefeiert wurde und einige Genossen ein beinahe märtyrerhaftes Bild von ihm zeichneten, waren die Reaktionen auf Ihren Schritt eher verhalten. Vermutlich haben Sie sich das anders vorgestellt – obwohl Sie selbst von „Heckenschützen“ in den eigenen Reihen sprachen.

Lob für Ihre Arbeit gab es aber auch. Von Ihnen selbst. „Vor acht Jahren habe ich in schwierigen Zeiten den SPD-Landesvorsitz übernommen, als ihn keiner wollte“, schrieben Sie auf Facebook. „Zusammen mit Natascha Kohnen, Markus Rinderspacher, Martin Burkert, Thomas Goger und vielen anderen konnten wir sehr vieles zum Positiven verändern. Gemeinsam haben wir den jahrzehntelangen Abwärtstrend der Bayern-SPD gestoppt.“ Bei Umfragewerten von zuletzt um die 14 Prozent ist das schon eine gewagte Aussage. Dass Sie nun eine neue Umfrage präsentieren, wonach die SPD in Bayern – wäre heute Bundestagswahl – auf 22 Prozent kommen würde, macht die Lage nicht besser. Sonst könnten Sie ja am Ruder bleiben. Doch auch Sie wissen, dass der Grund für das beste Umfrageergebnis der SPD in Bayern seit 2013 nicht Florian Pronold, sondern Martin Schulz heißt.

„Schulz-Effekt“ ist seit einigen Tagen das sozialdemokratische Zauberwort. Ich habe große Zweifel, dass es in Bayern einen vergleichbaren „Kohnen-Effekt“ geben wird. Jahrelang war sie eine Ihrer engsten Mitarbeiterinnen. Wie ausgerechnet sie den Neuanfang, den die SPD im Freistaat sicher braucht, verkörpern soll, dafür fehlt mir die Phantasie. Übrigens auch Christian Ude. Der weiß auch nicht, „wieso eine Generalsekretärin, die seit acht Jahren dabei ist, jetzt plötzlich Wunder bewirken soll“. Das hätte sie schließlich in der Vergangenheit auch schon mal machen können. „Ein politischer Neuanfang ist wohl ein bissel mehr, als eine Rochade an der Spitze“, findet Ude.

Ob Rochade oder echter Neuanfang – der Platz der SPD wird in Bayern wohl auch nach der nächsten Wahl der auf der Oppositionsbank sein. Und im Bundestag? Da wird es darauf ankommen, ob der „Schulz-Effekt“ bis zum 24. September trägt. Zumindest Mitschuld sind die Gabriels und die Pronolds an dem Kern des sozialdemokratischen Problems: Die SPD hat es nicht geschafft, die eigenen Erfolge gut zu verkaufen. Die Einführung des Mindestlohns zum Beispiel.

Ich erinnere mich an unser Aufeinandertreffen vor gut drei Jahren in Schweinfurt, dort wo im Mai beim Landesparteitag die Kohnen-Krönung stattfinden soll. Damals 2013 wollten Sie die Basis vom Ergebnis der Koalitionsverhandlungen mit der Union überzeugen. Die Kritik, dass die SPD dabei nicht alle Forderungen durchsetzen konnte, konterten Sie mit den Worten: „Hätten wir alles erreicht, hätten wir im nächsten Wahlkampf doch keine Argumente mehr für eine andere Konstellation ohne die Union.“ Ich bin auf Ihre Argumente in den kommenden Monaten gespannt. Bayerischer Spitzenkandidat für die Bundestagswahl wollen Sie schließlich bleiben.

Abschließend zitiere ich CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Der kommentierte Ihren bayerischen Abgang mit den Worten:

„Alles Gute“

Benjamin Stahl, Redakteur

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