Sehr geehrter Herr Grindel, ich muss gestehen, ich hatte im vergangenen Jahr große Vorbehalte gegen Ihre Wahl zum Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, mit knapp sieben Millionen Mitgliedern immerhin der größte Sportfachverband der Welt. Das hing zum einen mit Ihrer Vergangenheit als Politiker zusammen: Als Bundestagsabgeordneter der CDU waren Sie auch stellvertretender Vorsitzender im Sportausschuss und haben dort im Spätsommer 2013, als eine bundesweite Debatte um die Aufarbeitung der Dopingvergangenheit in Westdeutschland entbrannt ist, eine zweifelhafte Rolle gespielt. Sie haben mit dazu beigetragen, dass ausgerechnet jene dopingverseuchten Jahre nach der Wiedervereinigung wissenschaftlich nicht aufgearbeitet werden konnten. Zusammen mit dem Deutschen Olympischen Sportbund drehte die Regierung den Geldhahn zu. Aus. Amen. Das war ein beschämender Akt.
Mein Gefühl bestärkten zudem die sportpolitischen Skandale der jüngeren Vergangenheit, in denen führende Funktionäre der großen Verbände wie Internationales Olympisches Komitee oder Weltfußball-Verband Fifa wie Ganoven agiert haben. Bestes Beispiel ist der Schweizer Gianni Infantino. Der Nachfolger von Sepp Blatter als Fifa-Chef hat es tatsächlich innerhalb weniger Monate geschafft, nicht nur die Hoffnungen auf Transparenz zu zertrampeln. Er ist sogar dabei, seinen gierigen Vorgänger an Chuzpe zu übertreffen: Wie er das Aufpumpen der WM auf unüberschaubare 48 Mannschaften durchsetzte oder jüngst angesehene, aber ihm offenbar lästige Mitglieder der Ethikkommission ohne deren Wissen entsorgte – das alles führt die bei seiner Wahl getroffenen Absichtserklärungen ad absurdum. Nein, die Fifa wird nicht reformiert, sie wird weiter formiert.
Der DFB hat mit seinen Spitzenfunktionären zu oft mitgeklimpert im schmutzigen Konzert und ist spätestens seit der Sommermärchen-Affäre auch selbst Akteur. Der Skandal um die Vergabe nach Deutschland und nicht deklarierte Finanzströme in Millionenhöhe kostete Ihren Vorgänger den Posten und spülte Sie schließlich ins Präsidentenamt. Aber ehrlich. Ich dachte, warum sollte das mit Ihnen besser werden? Bei der EM in Frankreich haben wir uns dann näher kennengelernt. Sie waren überraschend einer Einladung unserer Reporterhausgemeinschaft in Evian zu einem Grillabend gefolgt. Für einen Funktionär in die Höhle des Löwen zu kommen, fand ich nett und mutig zugleich. Sie erinnern sich sicher. Es wurde viel gelacht und auch mancher Schluck Wein getrunken. Im Gedächtnis geblieben ist mir dieser Abend vor allem, weil Sie uns unter Zusage von Vertraulichkeit Ihrer Gedankenwelt einen kleinen Zugang ermöglichten. Sie redeten nicht im Funktionärssprech, den Sie natürlich beherrschen, sondern Sie offenbarten auch Ihre Bedenken, Ihre Nöte. Es wurde deutlich, dass Sportpolitik vor allem ein Ringen um Kompromisse ist. Da unterscheidet sich diese Nische gar nicht so sehr von der Parlamentsbühne.
Im Sport kommt dazu, dass Fußball und Olympische Spiele ein Milliardengeschäft sind, und immer dort, wo es sehr viel Geld zu verdienen gibt, gibt es auch viele, die es haben wollen. Abhängigkeiten entstehen, ein perfekter Nährboden für Korruption.
Insofern danke ich Ihnen für die deutlichen Worte, die Sie in den vergangenen Tagen in verschiedenen Medien zu den Entwicklungen in Russland und Katar gefunden haben. Die nächsten Weltmeisterschaften werden in diesen Ländern stattfinden, die 2010 in einem fragwürdigen Vergabeverfahren zum Zug gekommen waren. In den vergangenen Jahren sind DFB-Präsidenten oder deutsche Vertreter in den Fifa-Gremien vor allem durch blumige Dankes- und Grußbotschaften aufgefallen. Kritik? Fehlanzeige.
Dass Sie den Weltverband und Gianni Infantino auffordern, den Reformprozess mit Inhalten zu füllen, und dass Sie die Personalentscheidungen des Fifa-Chefs in der Ethikkommission als „unklug und falsch“ bezeichnen, sind zunächst einmal starke Zeichen. Auch Ihre Positionierung beim Thema Katar lässt aufhorchen: Denn zwischen den Zeilen darf da durchaus eine leise Boykottandrohung für die WM 2022 herausgelesen werden. Kein großes Turnier dürfe in einem Land gespielt werden, dass aktiv den Terror unterstützt, haben Sie gesagt.
Die massiven Menschenrechtsverletzungen auf den Stadionbaustellen dürfen Sie in Ihre Bewertung da gerne einbeziehen. Auch wenn Deutschlands Fußball-Kaiser Beckenbauer bei seinen vielen Besuchen dort keine Sklaven gesehen haben will, Sie wissen es besser. Schließlich haben Sie sich neulich erst mit Menschenrechtlern von Amnesty International getroffen. Klar, erst einmal sind es viele Worte, wenn auch ebenso ungewohnte wie richtige aus dem Munde eines DFB-Präsidenten. Was sie wert sind, muss die Zukunft zeigen.
Herr Grindel, ich würde Sie gerne ermutigen. Setzen Ihren Weg auch mit Taten fort.