Sehr geehrte Frau Krämer, liebe Adressatin. Ich denke, mit dieser Anrede können Sie leben. Keine Sorge, das ist nicht spöttisch oder gar provozierend gemeint. Ich wollte nur zeigen, für was Sie kämpfen. Nicht für die Anrede „Frau“ – die ja in personalisierten Anschreiben an Frauen ohnehin unumstritten ist –, sondern für weibliche Wortformen zum Beispiel auf unpersönlichen Vordrucken von Banken.
Ganz konkret wollten Sie vor dem Bundesgerichtshof die Sparkasse Saarbrücken dazu verpflichten, in ihren Formularen nicht ausschließlich von „Kunden“ oder „Kontoinhabern“ zu sprechen, sondern auch von „Kundinnen“ und „Kontoinhaberinnen“. Von den männlichen Formen fühlten Sie sich nicht angesprochen. Der BGH gab Ihnen nicht Recht, nun wollen Sie notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Ich frage mich da, ob wir wirklich keine anderen Probleme haben – und habe die Frage weitergegeben.
Ich habe eine Umfrage gestartet. Nicht groß angelegt, nicht repräsentativ. Einfach mal so auf die Schnelle. Unter Frauen in meinem Umfeld. Sieben von neun fanden Ihr Ansinnen, Frau Krämer, schlicht „übertrieben“ oder sogar „Quatsch“. Ganz ehrlich: Das hat mich beruhigt. Ich habe schon befürchtet, ich sei mit meiner Einstellung zu dem Thema in den Augen der meisten Frauen ein rückständiger Chauvinist.
Wenn mich allerdings jemand so angesprochen hätte, hätte ich mich wiederum nicht angesprochen gefühlt. Dass Frauen nach wie vor mit vielen Benachteiligungen und Problemen konfrontiert sind – von Sexismus bis schlechterer Bezahlung – halte ich für ein Armutszeugnis unserer ach so modernen Gesellschaft. Wenn man dann, wie Sie Frau Krämer, wegen Formularen zur Sprachpolizistin wird, lenkt man aus meiner Sicht unbeabsichtigt von den eigentlichen Problemen ab. Sorgt für Kopfschütteln und Lacher, obwohl es eigentlich um ein ernstes Thema geht: die Gleichberechtigung.
Dennoch: Anders als ich, der BGH-Zivilsenat (bestehend aus drei Richtern und zwei Richterinnen) und die Handvoll Frauen, die ich nach deren Meinung gefragt habe, scheinen Teile der Wissenschaft und ein Großteil der Medien auf Ihrer Seite zu stehen. So war in diesen Tagen immer wieder von Studien zu lesen, die die Aussage des BGH, dass die grammatikalisch männliche Form geschlechtsneutral gesehen werde, widerlegen: Demnach ist bewiesen, dass vor dem inneren Auge Männer erscheinen, wenn von Ingenieuren oder Ärzten die Rede ist. Dem will ich nicht widersprechen, aber darauf hinweisen, dass es dort, wo es drauf ankommt – in Stellenanzeigen zum Beispiel – die Regel ist, dass explizit Männer und Frauen angesprochen werden.
Apropos Wissenschaft. Gerade Hochschulen sind ja was gendergerechte Sprache angeht sehr korrekt. Zum Beispiel ist es seit einigen Jahren in Hochschulkreisen geradezu verpönt, pauschal von „Studenten“ zu sprechen. Stattdessen setzt sich immer mehr der Begriff „Studierende“ durch. Für mich, Sie ahnen es schon, kein schönes Wort. Für meinen Geschmack wird da die deutsche Sprache zurechtgebogen, um Korrektheit zu artikulieren, die aber noch lange nicht in Gleichheit mündet. Schauen Sie sich mal das Zahlenverhältnis von Professorinnen und Professoren an vielen Lehrstühlen an...
Aber wie gesagt: Nicht wenige geben Ihnen Recht. Besonders bemerkenswert fand ich ein Argument, gelesen im Kommentar eines Kollegen der „Süddeutschen Zeitung“. Es liege auf der Hand, schreibt der Redakteur, dass es für Frauen „weniger günstig“ sei, „als Kontoinhaber oder Darlehensnehmer tituliert zu werden – schon deshalb, weil dies ein Widerhall der eigentlich überwundenen männlichen Erstzuständigkeit für finanzielle Dinge ist“. Diese Gedankenschleife muss man erst einmal fliegen. Oder fühlen Sie sich ernsthaft an Zustände der 1950er Jahre erinnert, wenn in Formularen nur von „Kontoinhaber“ und nicht von „Kontoinhaberin“ die Rede ist? Ich nicht.
Klar, mögen Sie sagen, als Mann habe ich ja leicht reden und außerdem bin ich lange nach den 50ern geboren. Aber sehen Sie als heute 80-jährige Feministin das doch als Erfolg: Bei mir und offensichtlich bei vielen jungen Frauen – Sie wissen schon, zum Beispiel die, mit denen ich gesprochen habe –, klingt eine Gesellschaft, in der Frauen ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns kein Konto eröffnen dürfen, völlig aus der Zeit gefallen. Nach überwundenen antiquierten Zuständen – auch wenn noch viel zu tun bleibt.
Vielleicht helfen Sie mit anderen Aktionen mit, in Sachen Gleichberechtigung echte Fortschritte zu machen. Erfolg hatten Sie ja schon: Dass seit Ende der 1990er Jahre Tiefdruckgebiete nicht mehr grundsätzlich weibliche und Hochdruckgebiete ausschließlich männliche Namen bekommen, haben wir Ihnen zu verdanken. Heute wird hier jährlich abgewechselt. 2018 haben die Tiefs Frauennamen – nicht ausgeschlossen, dass nach diesen Zeilen ein weibliches Gewitter über mich hereinbricht.
Mit freundlichen Grüßen
Benjamin Stahl, Redakteur
Ab heute muß eine neue Maßeinheit für journalistische Borniertheit und argumentative Null-Leistung eingeführt werden: das (geschlechtsneutrale) "stahl", von 0-10 gemessen.
Obiger Text erhält die Note 8,7 stahl.
Senden Sie mal 'nen Link. Und schreiben Sie das h an die richtige Stelle bitte.
Wikipedia - Artikel Gandhi sagt:
"Pa darzh Brezel Suafrika e tifenn Gandhi ar soñj ma rank Indiz harpañ ar striv brezel evit gellout goulenn bezañ keodedourien leun en eskemm."
Da kommt ja 'Brezel' schon 2-fach vor...
Ich habe auch noch nichts davon gehört, daß männliche Pflegekräfte als Krankenschwestern geführt werden oder die Erzieher in KiTas Kindergärtnerinnen genannt werden.
Schon richtig, das Sprache keine gesellschaftlichen Umstände ändert, aber umgekehrt ist die Sprache ein Spiegel der Gesellschaft. Als Mann würde ich übrigens auch nicht gerne als Kundin in der Sparkasse angesprochen werden.
Natürlich gibt es Wichtigeres zu tun, keine Frage, aber das sollte kein Argument sein, die kleineren Angelegenheiten einfach liegen zu lassen. Ich wünsche der Dame jedenfalls Erfolg!
Ich brauche auch auf keinem Formular „Kontoinhaberin“ - oder ähnliches, es ist mir egal.
Mir stellt sich jedoch die Frage, wenn künftig bei neuen Themen, ausschließlich die weibliche Form angegeben wäre, könnten sich die Männer da auch gut mit arrangieren oder wäre da der Aufschrei und die Klagen noch größer? Also sprich um bei dem Fall zu bleiben : ausschließlich „Kontoinhaberin“? Die Umfrage sollten Sie auch mal starten, vor allem bei älteren Männern 😉! Ich denke hier wäre die Akzeptanz und das Egalsein nicht so groß.