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MARKTHEIDENFELD
Barbara Rütting antwortet auf den Samstagsbrief
Bearbeitet von Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:22 Uhr

Sehr geehrter Herr Stahl, vielen Dank für Ihren Samstagsbrief an mich und die guten Wünsche!

Sie fragen, was Menschen wie mich motiviert, nun auch noch die Strapazen des Einsatzes für eine neue kleine Partei auf mich zu nehmen, die kaum eine oder gar keine Chance hat, in den Bundestag zu kommen, und Sie schwanken zwischen Ver- und Bewunderung.

Die Antwort ist ganz einfach: weil es getan werden muss!

Vor drei Jahren, da war ich 87, habe ich wieder einmal an einer Blockade der in der Eifel immer noch stationierten amerikanischen Atomraketen teilgenommen. Die Polizisten wollten mich nicht „in Gewahrsam“ nehmen, obwohl ich straffällig geworden war, wie die anderen auch. Einige kannten mich aus meinen Filmen, die anderen aus meinen vegetarischen Kochbüchern, wieder andere hatten Kinder, die im Tierschutz engagiert waren.

Der Vorgesetzte wurde gerufen. Auch er fragte: Aber Frau Rütting, warum tun Sie sich das denn immer noch an, Sie müssen doch schon so alt sein wie meine Mama! Damals habe ich spontan geantwortet: Weil es getan werden muss!

„Sie können mir glauben, ich war oft daran, zu verzweifeln und aufzugeben.“
Barbara Rütting, Veganerin, die sich politisch engagiert

Ja, weil es getan werden muss – und immer wieder getan werden muss, weil auch und gerade wir Alten nicht aufgeben dürfen, Widerstand zu leisten, wo Unrecht Recht ist, weil wir nicht nachlassen dürfen in unserem Bemühen, die Welt ein bisschen glücklicher zu machen, auch wenn es noch so hoffnungslos aussehen mag.

Sie können mir glauben, ich war oft daran, zu verzweifeln und aufzugeben. Weil ich meinte, die Leiden, die Menschen einander, den Tieren und der Natur ununterbrochen antun, nicht ertragen zu können.

Da erhielt ich den Brief eines Eisenbahners. Er hatte täglich die Transportkäfige der für die Labore bestimmten Versuchstiere umzuladen und schrieb sinngemäß: Liebe Barbara Rütting, ich flehe Sie an, geben Sie nicht auf! Wenn ich meinen Mund aufmache und über all diese Greul berichte, verliere ich nur meinen Job – wenn Sie als Prominente Ihren Mund aufmachen hört vielleicht einer hin!

„Diese letzte Phase ist die glücklichste meines Lebens.“
Barbara Rütting ist 89 Jahre

Damals habe ich mir geschworen: Ich werde meinen Mund aufmachen für alle, die ausgebeutet werden, seien es Menschen, Tiere oder die Natur – da kann ich doch nicht in meinem idyllischen Häuschen sitzen und mein Barbara-Rütting-Brot knabbern, da muss ich doch meinen Mund aufmachen, solange ich nach Luft schnappen kann. Vielleicht hört einer hin . . .

Lieber Herr Stahl, ob Sie es glauben oder nicht, es haben viele Menschen hingehört und hören immer wieder hin. Allein durch meine über 20 Bücher und die vielen Vorträge zu meinen Themen gesunde Ernährung, Verbraucher- und Tierschutz habe ich in drei Generationen Menschen zu mehr Gesundheit und Lebensfreude verhelfen können, wie mir immer wieder berichtet wird. Die Samen, die ich ausgesät habe, tragen jetzt Früchte, sodass ich kurz vor meinem 90. Geburtstag sagen kann: Diese letzte Phase ist die glücklichste meines Lebens, es hat sich gelohnt, dieses Leben!

„Tiere sind unsere Freunde, und unsere Freunde können wir doch nicht essen!“
Barbara Rütting, Veganerin und Ex-Schauspielerin

Sie haben ausführlich gefragt, ich werde also ebenso ausführlich antworten.

Menschen-, Tier- und Umweltschutz waren und sind für mich – seit 50 Jahren Vegetarierin und seit zirka sechs Jahren Veganerin – untrennbar, und die Ernährung ist längst keine Privatangelegenheit mehr. Man kann es nicht oft genug wiederholen! Selbst mit Messer und Gabel trägt jeder von uns dazu bei, ob diese Erde noch zu retten ist oder nicht. Und: das Gebot, du sollst nicht töten, sollte endlich auch in Bezug auf die Tiere gelten.

Die Brisanz dieser Thematik wird von den Menschen zunehmend erkannt und muss endlich auch bei den Politikern die gebührende Beachtung finden. Dazu wird die hellgrüne V-Partei³ entscheidend beitragen – und deshalb unterstütze ich sie.

Ihr Slogan lautet „Wir lieben das Leben“ – jedes Leben, auch das der Tiere. Deshalb leben wir ja vegetarisch oder vegan, Tiere sind unsere Freunde, und unsere Freunde können wir doch nicht essen!

Wie es dazu kam? 1970 zog ich, eine „Normalesserin“, auf einen Bauernhof, und konnte mir die Tiere, die ich nun hautnah kennen lernte, alle die Rehe, Hühner, Kälbchen, Nachbar Gustls Lämmchen fortan nicht mehr gesotten und gebraten auf dem Teller vorstellen, konnte sie nicht mehr essen, wurde zur Vegetarierin. 1976 schrieb ich mein erstes vegetarisches Kochbuch. Niemand außer mir glaubte an einen Erfolg – keine Fleisch-, keine Fischrezepte, wer sollte denn so ein Kochbuch kaufen? Es wurde ein Bestseller.

Ein Familienvater erzählte mir kürzlich, seine Mutter habe das Buch damals gekauft, die ganze Familie lebte von nun an vegetarisch, wie auch seine eigene kleine Familie. Sein vierjähriger Sohn habe ihn gefragt: Papi, gibt es wirklich Menschen, die Fleisch essen?

Was für ein Bewusstseinswandel in so kurzer Zeit! Dass es 2017 allerdings eine Vegetarierpartei geben würde und dass diese Partei nun sogar für den Bundestag kandidieren will und wird – das hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können.

Ein ehrgeiziges Ziel! Aber wie sagte Ben Gurion? „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist!“ Eben: Und er hat den Staat Israel gegründet.

Ich habe durch meine inzwischen über 20 Bücher und zahllosen Vorträge immerhin drei Generationen mit dem Vegetarismus-Bazillus infiziert und dadurch erheblich zur Verbreitung der vegetarischen Lebensweise beigetragen, darauf bin ich schon ein bisschen stolz. Da ich grundsätzlich nichts für unmöglich halte – wer hätte geglaubt, dass die Mauer eines Tages weg sein würde – finde ich die Vorstellung natürlich schon toll, ein Vater könnte seinem Sohn eines Tages antworten: Ja, mein Junge, es gab Zeiten, da haben die Menschen Tiere gegessen – aber das ist lange lange her!

Der Weg ist das Ziel! Schließlich hat es bei mir noch Jahrzehnte gedauert, bis ich mich für die vegane Lebensweise entschied. Denn mag ihre Haltung auch noch so „artgerecht“ sein – auch die männlichen Küken von Bio-Hennen werden geschreddert, also lebend zermust, auch den Kühen aus Bio-Haltung werden die Kälbchen entrissen und geschlachtet. Die Erfahrung zeigt, jeder wirklich konsequente Vegetarier wird irgendwann zum Veganer.

Besonders viele junge Menschen beginnen, vegetarisch oder sogar vegan zu leben. Der Wunsch nach Veränderung liegt förmlich in der Luft – das V im Namen der Partei steht ja nicht nur für „Vegetarisch“ und „vegan“, sondern auch für „Veränderung“ – und selbst Wissenschaftler verkünden heute: Die Zukunft wird vegan sein – oder sie wird nicht sein, die Menschheit wird nur überleben, wenn sie ihre Ernährung zumindest in Richtung vegetarisch ändert, anstatt weiter Natur und Tiere auszubeuten.

Die V-Patei³ ist die erste und einzige Partei, die diese allerdings nicht gerade populäre Forderung stellt. Nicht populär, weil sie bedeutet, dass der einzelne Mensch sich ändern muss. Nur wenn ich mich ändere, ändert sich die Welt. Populismus zumindest wird man uns also nicht vorwerfen können!

Einer Ihrer Kollegen fragte mich vor kurzem, was mich bewogen hat, in den 80er Jahren meine Schauspielkarriere aufzugeben und politisch aktiv zu werden. Ich war politisch aktiv seit ich denken kann, habe Anfang der 60er Jahre an meiner ersten Demo teilgenommen, in München gegen die Wiederaufrüstung Deutschlands. Heute ist Deutschland der drittgrößte Waffenexporteur, das ist unerträglich. Ich habe mich 1982 am Tor des Pharmakonzerns Schering in Berlin aus Protest gegen dessen Tierversuche angekettet, die Tierversuche sind seitdem drastisch gestiegen und steigen weiterhin. Ich habe in Mutlangen immer wieder mit vielen anderen Menschen gegen die amerikanischen Massenvernichtungswaffen demonstriert, in Wackersdorf gegen die Wiederaufbereitungsanlage von Brennstäben – alle diese Aktionen waren so wichtig geworden, dass ich die Schauspielkarriere 1982 bewusst beendete. Mutlangen und Wackersdorf sind jedenfalls Schnee von gestern, genauso wie die Mauer, zu deren Fall die oft verspottete Friedensbewegung entscheidend beigetragen hat.

Im Grunde ist alles politisch, was ich tue – auch das, was ich nicht tue.

In meiner Jugendzeit, vor sage und schreibe fast 100 Jahren, hat der Dichter Erich Fried gesagt: „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.“ Der Ausspruch gilt auch heute noch, leider. Deshalb: V-Partei³ wählen!

 
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