Im vergangenen Samstagsbrief forderte Redakteur Jürgen Haug-Peichl den unterfränkischen Bezirksvorsitzenden im bayerischen Handelsverband HBE, Ralf Ludewig, dazu auf, sich mehr über die neue Kassenbon-Pflicht aufzuregen. Der Bad Kissinger Modehändler hat geantwortet:
Sehr geehrter Herr Haug-Peichl,
vielen Dank für Ihren offenen Samstagsbrief. Wie von Ihnen geschrieben, sind natürlich der Einzelhandel und hier insbesondere Geschäfte mit Kleinstumsätzen wie Bäcker, Metzger etc. von der seit Januar geltenden Bonpflicht stark betroffen und würden diese lieber heute als morgen wieder abschaffen.
Sie mahnen zu Recht an, dass man sich mehr Gehör hätte verschaffen müssen und energischer gegen diesen bürokratischen Unsinn auch von Seiten des Handelsverbands hätte vorgehen müssen, was zwar nicht mit Protestzügen, sondern mit argumentativer Energie auf Bundes- und Landesebene auch geschehen ist. Nun ist es leider so, dass viele Themen die Gesellschaft – übrigens auch die Journalisten – nicht im Vorfeld eines Gesetzentwurfs, sondern erst dann interessieren, wenn Auswirkungen direkt zu spüren sind.
Zuletzt hatten wir dies bei der Verschärfung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die kaum jemanden (auch viele Betroffene aus dem Handel) erst interessiert hat, als der Stichtag kurz bevorstand. Momentan wird vom Gesetzgeber mit viel Aufwand versucht, die schlimmsten Überregulierungen dieser Verordnung wieder rückgängig zu machen.
Der Handelsverband weist die Politik regelmäßig und stichhaltig auf Probleme und Schwachstellen neuer Gesetze und Regulierungen hin, die Auswirkungen auf unsere Branche haben. Manchmal – leider aber nicht immer – werden daraufhin auch Änderungen vorgenommen.
Der Handel – wie auch das Handwerk und viele andere kleine und mittelständische Unternehmen im Dienstleistungssektor und der Gastronomie – hat aber mit deutlich mehr Vorgaben als der Bonpflicht zu leben. Ab Anfang des Jahres sind sogenannte TSE (Technische Sicherheitseinrichtungen) für jede Registrierkasse verpflichtend.
Da allerdings die Vorgaben für die entsprechende Zertifizierung zu spät von den Behörden erarbeitet wurden und die ebenfalls verpflichtenden Registrierungsunterlagen bei den Behörden nicht vorliegen, gibt es bis heute noch gar keine funktionierende TSE. Daher wird deren fehlender Einsatz bis September des Jahres geduldet.
Die Umrüstung bzw. Neuanschaffung der Kassen bei fehlender Möglichkeit der Nachrüstung ist mit hohen Kosten verbunden. Diese können für Anschaffung, Pflege und Aktualisierung der Einrichtung sowie nötige Aufzeichnungspflichten leicht mehrere Hundert bis Tausende von Euro pro Kasse kosten. Wer diese Kosten letztlich tragen muss, ist klar: Jeder Kunde, der mit Preiserhöhungen für diese Regulierungen „zur Kasse gebeten“ wird.
Übrigens werden die Bons dann auch noch etwas länger, weil jeder Bon eine eigens errechnete und dokumentierte Sicherheitsnummer erhält, die – zum Teil auch als QR-Code - auf jedem Bon aufgedruckt ist. Wir können uns also auf noch mehr Papier- oder Sondermüll freuen. Ich denke auch, dass in den vergangenen Wochen viel über diese Fragestellungen gesprochen und berichtet wurde, wobei unsere Kritik zum Ausdruck kam.
Wozu wurde die Verschärfung der GoBD (Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form) überhaupt vorgenommen? Der Gesetzgeber vermutet Millionenbeträge, die durch Manipulationen an Kassen in Einzelhandel, Dienstleistung und Gastronomie am Finanzamt vorbei geschleust werden.
Allerdings erfüllen schon heute fast alle im Handel eingesetzten Kassen die hohen Standards der Aufzeichnungspflichten jedes Bezahlvorgangs, in die übrigens auch das Finanzamt Einblick hat. Wozu also dieser immense Aufwand und der Generalvorwurf an die oben genannten Gruppen, mit krimineller Energie dem Staat seine Einkünfte aus Steuern zu entziehen? Schließlich braucht der Staat ja Geld, wenn man sich allein mit 590 Millionen Euro Forderungen aus dem geplatzten Maut-Deal konfrontiert sieht, für den wohl niemand verantwortlich ist und zur Rechenschaft gezogen werden kann.
Interessant übrigens, dass die sogenannten offenen Ladenkassen, also Kassen ohne jede Registrierung, von den Regeln der Bonpflicht ausgenommen sind. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass diese „Schubladen-Kassen“ ohnehin nicht manipuliert werden können und hier nur ehrliche Händler am Werk sind. Selten so gelacht.
Das Lachen vergeht einem allerdings, wenn man die vielen bürokratischen Anforderungen der verschiedensten Seiten (Finanzamt, Krankenkassen, Berufsgenossenschaft, Behörden und Verwaltungen) an selbständige Mittelständler näher betrachtet. Diese sind den Verbrauchern aber nicht bewusst und stehen daher auch nicht im Blickpunkt der Öffentlichkeit.
Gerade diese vielen Verpflichtungen, Gesetzesvorgaben, Regulierungen, etc. sorgen dafür, dass immer weniger Menschen Lust an der Selbständigkeit haben. In Bayern gibt es einen eigenen Beauftragten für Bürokratie-Abbau: MdL Walter Nussel, mit eigener Homepage und Verwaltungsapparat.
Bei einer öffentlichen Veranstaltung in Würzburg vor einigen Jahren haben Kollegen aus dem Handel Herrn Nussel mit den vielfältigen bürokratischen Anforderungen konfrontiert. Hier ging es um Aufbewahrungs- und Dokumentationspflichten in den verschiedensten Bereichen, DSGVO, Sicherheitsvorschriften und vieles mehr. Bewegt oder geändert hat sich – zumindest aus meiner Sicht – gar nichts.
Leider ist die Bürokratie wie der Drachen Hydra in der Mythologie, dem zwei Köpfe nachwachsen, sobald man einen Kopf abschlägt. Es geht hier auch weniger um sicher notwendige Gesetze und Vorschriften, sondern um die täglichen Gängeleien, denen sich viele Unternehmen und Unternehmer ausgesetzt sehen.
Große Firmen haben hier eigene Mitarbeiter oder Abteilungen, die sich um diese Belange kümmern. In kleinen mittelständischen Betrieben ist dies der Inhaber, der sich neben seiner Haupttätigkeit – im Handel dem Kunden, seinem Sortiment und seinen Mitarbeitern – auch noch solchen Dingen widmen muss.
Sie haben sicher Recht, dass man die Bevölkerung mit drastischen Aktionen aufrütteln kann. Die Bauern mit ihren Traktor-Sternfahrten – unter anderem nach Würzburg und Berlin – haben dies ja erst vor kurzem bewiesen. Ob sich dadurch tatsächlich an dem Berufsbild und den Arbeitsbedingungen des Landwirts etwas ändert, wage ich allerdings zu bezweifeln.
Der Handel könnte natürlich mit zugeklebten Schaufenstern, geschlossenen Läden zur Haupteinkaufszeit etc. auf seine Lage aufmerksam machen. Wem wäre aber damit gedient? Den Kunden, die zu Recht verärgert sind? Den Behörden, die eine solche Situation überhaupt nicht juckt, da sie davon nicht betroffen und damit auch nicht zu beeindrucken sind? Den Journalisten, die darüber in den Zeitungen schreiben können?
Vielleicht sollten wir es aber gerade in der heutigen Zeit auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten: Lautstärke schafft zwar Aufmerksamkeit; Veränderungen brauchen aber Inhalte und Argumente, die sich gerade in komplexen Themen nur schwerlich bei Demonstrationszügen austauschen lassen, um damit eine gemeinschaftliche Lösung zu finden.
Natürlich erhält man bei lautstarken Protesten mehr Beifall von Gleichgesinnten. Der inhaltliche und sachliche Austausch mit den Vertretern anderer Überzeugungen macht hingegen mehr Mühe, sollte aber wieder verstärkt zu unserer Gesprächskultur gehören: Wenn alle schreien, wird nur der Lauteste gehört - ob er Recht hat, ist dabei dann leider völlig nebensächlich.
Die größte Macht in diesem Staat haben aber weder Behörden noch Unternehmen, sondern jeder Bürger als Verbraucher und Wähler. Mit jedem Einkauf kann man mit einem kleinen Baustein selbst dazu beitragen, ob Waren biologisch verträglich und nachhaltig angebaut werden, ob Verpackungsmüll produziert wird, ob lokaler und regionaler Handel sowie Landwirtschaft überleben können.
Und mit jedem Kreuz an der Wahlurne entscheidet der Wähler, ob er den eingeschlagenen Weg weiter gehen will oder ob er Veränderungen wählt. Und genau diese Macht an der Wahlurne gibt mir sehr zu denken. Viele Menschen fühlen sich in ihrem täglichen Leben von der Politik nicht mehr verstanden und repräsentiert und wählen angebliche Alternativen. Ob diese dann die gewünschten Veränderungen bringen, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Mein Appell an die Politik ist, wieder mehr Eigenverantwortlichkeit und selbständiges verantwortungsbewusstes Handeln seiner Bürger zu ermöglichen, sie von unnötigen (bürokratischen) Belastungen befreien und damit wieder Mut und Freude am eigenen Handeln zu fördern. Dies ist aus meiner Sicht der beste Weg, um extremen politischen Gruppierungen keinen Raum zu geben, den diese gerne auszufüllen versprechen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und allen Lesern mehr Vertrauen und Verantwortungsbewusstsein im eigenen Handeln sowie ein schönes Wochenende.
Ralf Ludewig,
Bezirksvorsitzender HBE Unterfranken