
Sie hasste Interviews, war schüchtern und lebte zurückgezogen mit ihrer Katze in ihrem Haus in London. Doch im Oktober 2007 wurde Doris Lessing jäh aus ihrem beschaulichen Leben herausgerissen: Der damals 87-jährigen britischen Schriftstellerin wurde der Nobelpreis für Literatur zuerkannt. Plötzlich musste sie sich den Fragen unzähliger Journalisten stellen – auch wenn die immer das Gleiche wissen wollen, wie Lessing einmal bemerkte. Nun ist die Kämpferin gegen Rassismus und für Frauenrechte im Alter von 94 Jahren gestorben.
Zu Lessings Hauptwerken zählen ihr Erstlingswerk „Afrikanische Tragödie“ (1950), eine sensible Schilderung von Land und Menschen, die unter der Kolonialherrschaft leiden, und „Das goldene Notizbuch“ (1962). Sie galt als größte englischsprachige Schriftstellerin der Gegenwart. Kenner schätzten in ihren mehr als 40 Büchern die ausgeprägte Beobachtungsgabe sowie den wachen Blick für politische Zusammenhänge und psychologische Hintergründe. Lösten viele ihrer sozialkritischen Bücher beim Erscheinen noch Kontroversen aus, genoss Lessing doch längst den Ruf einer lebenden Klassikerin.
Am 22. Oktober 1919 wird sie als Doris May Tayler im damals persischen Kermanschah geboren, nachdem ihr Vater England nach dem Ersten Weltkrieg verlassen hat. Vier Jahre später zieht die Familie auf eine Farm in Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe; 1934 wird das Land zur britischen Kolonie. Lesen kann Doris Lessing schon, bevor sie in die katholische Grundschule kommt. Bücher sind bald ihre Welt, mit elf Jahren fängt sie an zu schreiben. Später besucht sie die höhere Mädchenschule in der Hauptstadt Salisbury, dem heutigen Harare. Die Beziehung zur Mutter ist schwierig.
Früh wird das Mädchen mit dem kolonialistischen Rassismus konfrontiert, rebelliert gegen Elternhaus und Schule, die sie schließlich mit 14 Jahren abbricht. Fortan arbeitet sie als Kindermädchen, Telefonistin und Sekretärin. 1939 heiratet sie einen britischen Kolonialoffizier, von dem sie sich jedoch vier Jahre später wieder scheiden lässt. Weil sie das Kolonialsystem immer mehr ablehnt, schließt sie sich einer Gruppe von Kommunisten an, die im Untergrund arbeiten. 1943 heiratet sie den deutschen Emigranten und Kommunisten Gottfried Lessing, der ihre wachsenden literarischen Ambitionen unterstützt. 1949 scheitert auch diese Ehe. Sie zieht nach England, um sich dort ihren Lebensunterhalt ganz mit Schreiben zu verdienen.
In ihren Werken sollte Lessing immer wieder nach Afrika zurückkehren, bekannte sie doch, dass sie sich im Busch „mehr zu Hause fühlte als jemals seitdem in einer Straße oder einer Stadt“. Mit dem „Goldenen Notizbuch“ gelang der Schriftstellerin 1962 der internationale Durchbruch. Die Geschichte über zwei ungebundene Frauen entwickelte sich zu einem der Bestseller des 20. Jahrhunderts. Von der Frauenbewegung wurde Lessing prompt zur Kultfigur erklärt – was ihr missfiel, hatte sie doch in einem 1971 verfassten Vorwort geschrieben, dass dieser Roman „keine Posaune für woman's liberation“ sei. Erst von Verlegern und Freunden habe sie erfahren, „dass ich ein Traktat über den Geschlechterkampf geschrieben hatte, und entdeckte rasch, dass nichts, was ich einwandte, diese Beurteilung ändern konnte“.
Noch im hohen Alter verfolgte Doris Lessing engagiert das Zeitgeschehen. Wenn sie über den Schwarzen Kontinent sprach, war Schmerz zu spüren: „Die Wirtschaft ist ruiniert, Aids rafft Millionen Menschen hinweg.“ Dabei inspirierte gerade Afrika die Schriftstellerin zu kraftvoller Literatur.
Wichtige Werke von Doris Lessing
• „Afrikanische Tragödie“ (1953) • „Das goldene Notizbuch“ (1978) • Die Memoiren einer Überlebenden“ (1979) • Martha Quest“ (1981) • „Das Tagebuch der Jane Somers“ (1984) • „Das fünfte Kind“ (1988) • „Unter der Haut: Autobiografie 1919-1949“ (1994) • „Schritte im Schatten: Autobiografie 1949-1962“ (1997) • „Die Kluft“ (2007) • „Alfred & Emily“ (2008) Text: dpa