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ZERO: Alles zurück auf null
ZERO in Berlin: Die bislang größte Ausstellung ihrer Art widmet sich der internationalen Kunstbewegung der 1950er und 60er Jahre. Mehr als 200 Werke von 43 Künstlern sind im Martin-Gropius-Bau zu sehen.
Heinz Mack und Otto Piene: „Münder“, aus der Zeitschrift „ZERO 3“ von 1961.ZERO-Foundation, VG Bild-Kunst
Foto: Fotos: | Heinz Mack und Otto Piene: „Münder“, aus der Zeitschrift „ZERO 3“ von 1961.ZERO-Foundation, VG Bild-Kunst
Katharina Winterhalter
Katharina Winterhalter
 |  aktualisiert: 26.04.2023 23:17 Uhr

Es muss eine trostlose Zeit gewesen sein in den ersten Nachkriegsjahren. Viele Städte lagen in Trümmern, die meisten Menschen versuchten zu verdrängen, was geschehen war, an den Hochschulen lehrten noch die alten Nazi-Professoren. 1950 lernten sich Heinz Mack und Otto Piene an der Düsseldorfer Kunstakademie kennen. Es gab keine Bücher, kaum Material. „Wir wussten nicht, was in der Welt vor sich geht“, sagt Mack heute. Es herrschte nicht nur ein materielles, sondern auch ein intellektuelles Vakuum. Sieben Jahre lang versuchten die beiden Studenten, möglichst viel zu lesen, zu lernen, zu sehen. Bis sie erkannten, dass es alles, was sie künstlerisch ausprobierten, schon gegeben hatte. Ihr Ausweg: sich von allem lösen, zurück zum Anfang gehen, auf null sozusagen.

Von diesem Moment an schien vieles möglich: Nägel in Holz schlagen, die Leinwand aufschlitzen, nur noch mit Weiß, mit Feuer oder mit Licht malen. Galerien gab es noch kaum, also organisierten Mack und Piene Ausstellungen in ihren Ateliers, die nur einen Abend lang zu sehen waren. Und gründeten, um ihre Idee zu verbreiten, eine Zeitschrift, der sie am 26. September 1957 den Namen „ZERO“ gaben: kurz, griffig und so vieldeutig, dass er schnell zum Namen der neuen Kunstbewegung wurde, die sich nicht nur in Düsseldorf, sondern parallel dazu an verschiedenen Orten in Europa entwickelte. Auch in Frankreich, Italien, den Niederlanden oder in der Schweiz experimentierten junge Künstler mit Licht und Bewegung, mit Performances und Installationen. Und überall entstanden, als radikalste Form der Reduzierung, weiße Bilder.

50 Jahre, nachdem die ZERO-Künstler ihr großes gemeinsames Experiment als beendet erklärt hatten, reist nun die größte Werkschau durch die Welt. Sie konzentriert sich nicht nur auf das legendäre Düsseldorfer Dreigestirn Mack, Piene und Günther Uecker – der kurz nach der Gründung dazukam –, sondern zeigt Arbeiten von 40 weiteren Künstlern, die dieser internationalen Kunstbewegung der 1950er und 60er Jahre zugerechnet werden – insgesamt mehr als 200 Werke. Zu ihnen gehört auch der niederländische Künstler herman de vries, der seit mehr als 40 Jahren im Steigerwald lebt.

Die Ausstellung basiert auf einem mehrjährigen Forschungsprojekt der ZERO-Foundation Düsseldorf. Natürlich ist der Name der Bewegung bekannt, und immer wieder begegnet man einzelnen Arbeiten aus dieser Zeit in deutschen Museen. Aber viele Zusammenhänge waren bislang unerforscht. Etliche Werke – darunter ein wunderbares kleines gelbes Bild von Yves Klein – lagen seit Jahrzehnten unerkannt in den Kellerräumen von Sammlern und Museen. Bis die Foundation vor fünf Jahren ihre Arbeit aufnahm, gegründet von Mack, Piene und Uecker, zusammen mit dem Museum Kunstpalast. Gründungsdirektor, Kopf des wissenschaftlichen Teams und Kurator der großen Ausstellungsreihe ist der niederländische Kunsthistoriker Tijs Visser. In Berlin hat Visser ganz bewusst die Werke von der Information getrennt. Besucher können sich einfach nur durch die beeindruckenden Säle des Gründerzeitbaus treiben lassen und nachspüren, ob und was ihnen all die monochromen Gemälde, blitzenden Stelen, drehenden Scheiben oder überraschend-witzigen Installationen sagen. Oder sich erst einmal in die umfassende Dokumentation im Lichthof vertiefen – Ergebnis der jahrelangen Forschungsarbeit und spannend präsentiert mit Filmen, Fotos, Plakaten, Ausschnitten aus der „ZERO“-Zeitschrift.

Der Raum mit den Weiß-Bildern ist einer der schönsten und spannendsten, weil er beweist, dass Künstler in ganz Europa zur gleichen Zeit die gleiche Idee hatten: die Reduktion auf eine Farbe in all ihren Schattierungen, die Licht und Schatten einfängt und ganz unterschiedliche Wirkungen erzeugt. So hängen Werke von Günther Uecker, herman de vries, Lucio Fontana, Hermann Göpfert, Otto Piene, Piero Manzoni, Jan Schoonhoven und Paul van Hoeydonck einträchtig nebeneinander und lassen sich – mit Ausnahme von Fontanas berühmten Schlitzen und Ueckers Nägeln – selbst von Kunsthistorikern nicht mit Sicherheit zuordnen.

Auch der Yves-Klein-Raum birgt eine Überraschung: Der 1928 geborene Künstler malte keineswegs nur seine berühmten ultramarinblauen Bilder. Vor seiner blauen Phase experimentierte er mit weißen, gelben, grünen, schwarzen und orangen Pigmenten. Die Inszenierungen mit diesen monochrom-farbigen Bildern ist so stark, dass man das große blaue, das einen normalerweise in den Bann ziehen würde, fast übersieht.

Heinz Mack war fasziniert von der Vorstellung, Licht einzufangen. Sein utopischer Versuch, in der Sahara reflektierende Metallobjekte der Sonne auszusetzen und, mehr noch, die ganze Welt zu einer ZERO-Zone zu erklären, mag heute etwas naiv erscheinen. Seine glänzenden Stelen, geheimnisvollen Lichtkuben und Strukturbilder sind von einer kühlen Ästhetik, die verwirrt, weil sie einerseits zeitlos wirkt und gleichzeitig einer anderen Zeit anzugehören scheint. Macks riesiger Mond, der sich im hohen Lichthof des Gründerzeitbaus von Gropius dreht und dabei Licht einfängt, ist sehr beeindruckend.

Der 83-jährige Mack ist einer der wenigen noch lebenden ZERO-Künstler. Sein Freund Otto Piene starb im Juli 2014 in einem Taxi in Berlin. Die noch lebenden sind aktiv, arbeiten mit über 80 Jahren unbeirrt und freuten sich über das Wiedersehen bei der Eröffnung in Berlin.

Neben Heinz Mack stand vor allem herman de vries im Blitzlichtgewitter, vertritt er doch sein Geburtsland auf der 56. Biennale in Venedig. Von ihm ist unter anderem eine frühe Zufallsarbeit zu sehen, eine Rauminstallation aus weißen Platten.

ZERO: Martin-Gropius-Bau Berlin, bis 8. Juni. Mehr Infos, auch über das umfangreiche Begleitprogramm: www.berlinerfestspiele.de/gropiusbau

Günther Uecker: Kosmische Vision, Lichtscheiben.
| Günther Uecker: Kosmische Vision, Lichtscheiben.
Im Lichthof: „Mond“ von Heinz Mack.
Foto: Katharina Winterhalter | Im Lichthof: „Mond“ von Heinz Mack.
 
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