Sie waren Kinder. Sie sangen und spielten. Sie spielten die Geschichte von „Brundibár“. Vielleicht sahen sie darin Adolf Hitler, den sie, wie den bösen Leierkastenmann Brundibár, vertreiben konnten, wenn sie nur fest genug zusammenhielten. Denn sie waren keine gewöhnlichen Kinder. Sie sangen und spielten im Konzentrationslager Theresienstadt. Jeder Tag konnte ihr letzter sein. Viele wussten das. Auch, wenn sie Kinder waren.
Salle Fischermann war 13, als ihn im Oktober 1943 SS und Wehrmacht aus seiner Heimat Dänemark in das KZ verschleppte, mit der Mutter und drei seiner sechs Geschwister. Er sah das Sterben, das Leid und auch die Fassade aus Lügen, die die Nationalsozialisten um das Lager errichteten, um es als lebenswerte jüdische Siedlung zu präsentieren. Und doch: Die Stimme des heute 83-Jährigen ist ruhig, wenn er vom KZ spricht. Traurigkeit schwingt manchmal mit, niemals aber Bitterkeit.
Ja, sagt Fischermann, wer nicht dumm war, wusste, dass der Tod im Lager ein alltäglicher Begleiter war. Das im heutigen Tschechien liegende KZ sei „Durchgangslager“ gewesen: „Die Leute kamen und blieben ein paar Monate. Dann wurden sie nach Auschwitz weitergeschickt. Der Lagerkommandant befahl dem Bürgermeister: ,Gib mir die Namen von 2000 Personen.‘ Das war das Todesurteil. Dann kam der Viehwaggon . . .“
„Die Koffer werden nachgeschickt“, sagte man den Menschen in den Viehwagen. Fischermann hat das bedrückende Bild noch vor Augen: Wenn der Zug abgefahren war, „standen Hunderte Koffer auf dem leeren Bahnhof“. Nachgeschickt wurden sie nie. Manchmal habe einer gesagt: „Die brauchen keine Koffer mehr.“ Und man wusste Bescheid im Lager Theresienstadt. Auch, wenn man ein Kind war.
Salle Fischermann hat seine Altersgenossen singen und spielen gesehen. Sein gleichaltriger dänischer Freund Paul Aaron Sandfort spielte Trompete. „Für die Kinder war es wunderbar. Sie haben fantastisch gesungen.“ Doch nach der Aufführung, die ein bisschen Vergessen brachte, lauerte die Wirklichkeit des Hitler-Staates. Hans Krása, der Komponist von „Brundibár“ (siehe auch Kasten), war Lagerinsasse. Am 16. Oktober 1944 wurde er nach Auschwitz gebracht. Er starb tags darauf in der Gaskammer. „Brundibár“ wurde in Theresienstadt 55-mal aufgeführt. Immer wieder mussten die Rollen neu besetzt werden. Weil immer wieder Darsteller deportiert und ermordet wurden.
Die Aufführung der Kinderoper war Teil der wahnwitzigen Nazi-Propaganda. Theresienstadt sollte der Welt zeigen, wie gut Hitler-Deutschland es mit den Juden meinte. Fischermann: „Da wurden ein Kaffeehaus gebaut, eine Bibliothek, Kinderhäuser, ein neues Bad – und man pflanzte 2000 Rosen auf den Rathausplatz. Die besten Musiker spielten.“ Doch hinter der Fassade fuhren die Waggons in Richtung Auschwitz.
1944 wurde der Schauspieler und Regisseur Kurt Gerron – er hatte mit Heinz Rühmann und Hans Albers gearbeitet – gezwungen, eine Pseudo-Dokumentation über Theresienstadt zu drehen. Der Film wurde unter dem Titel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ bekannt. Der junge Salle Fischermann half als Techniker, schleppte Kabel, sorgte für Licht. Auch eine „Brundibár“-Aufführung wurde gefilmt. Erst kürzlich habe er erfahren, dass noch 90 Minuten des Films erhalten sind, erzählt Fischermann. Das wäre dann wohl der ganze Film. „Ich glaube das aber erst, wenn ich's gesehen habe“, sagt er. Bislang war er von lediglich 24 erhaltenen Film-Minuten ausgegangen.
„Das Traurige ist: Leute, die in dem Film zu sehen waren, hat man nach Auschwitz geschickt“, erinnert sich Fischermann. „Und von 2000 Kindern sind sechs geblieben.“ Auch Regisseur Gerron, selbst Häftling in Theresienstadt, endete nach Abschluss der Dreharbeiten in der Gaskammer.
Von 1941 bis 1945 – solange gab es das KZ – starben in Theresienstadt 35 000 Menschen. Sie wurden im Krematorium des Lagers eingeäschert. „Dort gab es einen Raum, in dem die Asche nach Zahngold durchsucht wurde“, berichtet Salle Fischermann. „Die Asche der Verstorbenen wurde dann in Pappkartons weggestellt.“ Für 90 000 Menschen war das Lager Zwischenstation auf dem Weg zum Vernichtungslager, erklärt Fischermann. Hinter jeder einzelnen Ziffer dieser riesigen Zahlen steht ein Schicksal.
Fischermann hat das als junger Mensch mitgekriegt. Wie hält man das aus? „Ich stelle mir das so vor: Du hast einen Berg vor Dir und glaubst, wenn Du oben bist, dann bis Du frei. Aber dann siehst Du den nächsten Berg. Wieder denkst Du: Wenn Du oben bist, bist Du frei. Dann kommt der nächste Berg, und so geht das immer weiter. Aber Du hoffst die ganze Zeit.“
Verbitterung oder Hass empfindet Fischermann nicht mehr. „Ich habe die traurigen Sachen über viele Jahre hinweg gespürt“, sagt er leise in dänisch eingefärbtem, flüssigem Deutsch. „Aber dann habe ich mir gesagt: Ich will weiter! Und wohin führt denn Bitterkeit? Wohin führt das Negative? Nirgendwohin.“ Ja, stimmt er zu, es waren damals auch Durchschnittsbürger, die ihre Mitmenschen quälten und auch Kinder in den Tod schickten. „Macht eskaliert“, sagt er. „Unter der Haut eines jeden Menschen steckt ein Teufel. Den kriegt man nie los.“
Trotz allem: Der Däne fühlt sich wohl in Deutschland, hat einige Zeit in Berlin gelebt. Einer seiner Söhne – Fischermann hat vier Kinder – ging in Berlin zur Schule.
Vergessen aber darf nicht sein. Und so reist der Elektroingenieur seit über 20 Jahren durch die Lande und hält Vorträge, ein leiser, aber überzeugender Botschafter für Menschenrechte und Demokratie. Diese Woche war er auf Einladung der Akademie Frankenwarte in Würzburg unterwegs. Und wenn er nach seinen Vorträgen fassungslose junge Leute hört, die nicht begreifen können, wie so etwas passieren konnte, dann „ist das alles wert“.
„Brundibár“ in Würzburg
Die Kinderoper „Brundibár“ von Hans Krása hat am 13. Februar um 14 Uhr Premiere im Würzburger Museum am Dom – als Koproduktion von Mainfranken Theater und Dommusik. Die musikalische Leitung haben Domkapellmeister Martin Berger und Domkantor Alexander Rüth. Regie führt Hermann Schneider, Intendant des Mainfranken Theaters, der auch die Ausstattung übernahm.
Die Solisten und den Chor stellen die Würzburger Domsingknaben und die Mädchenkantorei. Es spielen Mitglieder der Würzburger Philharmoniker.
Neben „Brundibár“ wird das „Theresienstädter Tagebuch“ von Wilfried Hiller (bekannt durch die Oper „Augustinus“) aufgeführt. Der Text des Würzburgers Alexander Jansen beruht auf Dokumenten der Kinder aus dem Konzentrationslager Theresienstadt.
Brundibár erzählt poetisch-märchenhaft vom Sieg der Kinder über eine bedrohliche Macht. Annika und Pepícek leben mit ihrer Mutter in Armut. Als Straßensänger wollen sie zu Geld kommen. Auf dem Marktplatz werden sie jedoch von dem bösen Drehorgelspieler Brundibár vertrieben. Doch sie finden neue Freunde, und es passieren wundersame Dinge. Die Kinderoper wurde mehrfach in Theresienstadt aufgeführt.
Der Vorverkauf läuft über das Würzburger Mainfranken Theater, Tel. (09 31) 39 08-124