Es begann mit einer harmlosen Frage. „Was trinken Sie?“, wollte Franz Josef Strauß von seinem Interviewpartner wissen. Es war gerade elf Uhr am Vormittag. Der damals 37-jährige Ado Schlier überlegte kurz. Doch der CSU-Vorsitzende kam ihm zuvor: „Eine Flasche Wodka!“ Es folgte ein langes und intensives Gespräch über das Privatleben des Politikers. „Das war das tollste Interview“, sagt Schlier heute. Die Erinnerungen an das Gespräch 1972 sind auch nach all den Jahren nicht verblasst. Wie so viele andere Momente der Vergangenheit. Schlier konserviert sie, wie die Berge von Platten, die sich in seinem Haus stapeln. Der Besuch bei der Rundfunk-Legende ähnelt einer Zeitreise.
Ado Schlier wohnt gemeinsam mit seiner Ehefrau Monika im Haus seiner Großeltern im Würzburger Frauenland. Wer durch das große Tor geht, betritt die Räume eines Mannes, der seiner Zeit immer ein Stück voraus war und irgendwann doch überholt wurde. Von „Stromgitarren“, „unveränderbarer Musik“ und Hightech. In seinem Metier musste alles plötzlich schneller gehen, fehlerfrei, vorkonzipiert und durchgeplant sein. „Ich denke oft darüber nach, wo es mit der Musik hingeht“, sagt Ado Schlier. Er verweigert sich dem Neuen nicht völlig, hört auch gerne mal Robbie Williams. Das Jazzalbum beispielsweise, in dem der Brite zeitgenössische Musik macht, ohne die Wurzeln zu verleugnen.
Die Wurzeln, der Ursprung. Ein wichtiger Aspekt für Schlier, dessen Herz seit jeher für kreisrunde Scheiben schlägt. An die 140 000 Tonträger gehören zu seiner Sammlung. Die meisten Bänder, CDs und Schallplatten lagert der 79-Jährige in seinem Arbeitszimmer. „Eigentlich Unsinn, sie alle zu horten“, meint Schlier. Doch irgendwie sind sie auch ein Teil von ihm. Seine musikalische Biografie. „Das Erstaunlichste ist, dass er immer weiß, wo er hingreifen muss“, sagt seine Ehefrau Monika. Denn auch in seinem 80. Lebensjahr nimmt der Moderator noch zweimal in der Woche Sendungen für das deutsche Programm des italienischen Senders RAI auf. Dann sitzt er in seinem kleinen Studio, spricht über das, was ihn bewegt, und spielt Musik aus seinem Fundus – wie er es so viele Jahre getan hat.
Ado Schlier ist zur Jahrtausendwende in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Wohlgefühlt hat er sich hier allerdings nicht immer. Kaum verblasst sind Erinnerungen an Prügel der Hitlerjugend, die er als neunjähriger Ministrant nach einer Messe im Dom abbekam. Auch als der Krieg vorbei war, blieb das unbehagliche Gefühl. „Ich konnte diese Faschisterei nach 1945 hier nicht ertragen“, sagt Schlier. Der jugendliche Sohn einer Dänin und eines Würzburger Stadtrats suchte nach Freigeistern – und fand einen Rückzugsort: „Das Schönste an Würzburg war das Amerikahaus.“ Dort, wo man ungestört Brecht und Borchert lesen, Vorträgen lauschen und Jazzkonzerte besuchen konnte.
Doch außerhalb dieser Mauern überwog die Engstirnigkeit – „am schlimmsten war es in der Schule“. Als 17-Jähriger packte er seine Sachen und zog nach München. Wenn Schlier von seinem Leben in der bayerischen Hauptstadt spricht, fällt es schwer, ihm zu folgen. So viele Erinnerungen, Facetten, Eindrücke – und prominente Namen. Anfangs beriet er als Verkäufer in einem Plattenladen Schauspieler wie Maximilian Schell oder Mario Adorf. Er selbst hatte da bereits eine eigene kleine Sammlung. Den Titel seiner ersten Platte kennt der Journalist noch ganz genau: „Muss es grad die Eine sein“ von Willy Stanke – Geschenk eines Freundes. „Die habe ich heute noch“, sagt er grinsend. Danach ging es weiter mit Tanzmusik, Big Bands und viel, viel Jazz. Musik nur zu hören reichte dem gesprächigen Unterfranken allerdings nicht aus. Sein Glück, dass der Bayerische Rundfunk frische Moderatoren suchte. Schlier griff zu – und machte sich zur Legende: „Ich habe den ganzen Tag geredet, weil die keine Leute hatten.“ Der gesellige Jazzliebhaber plauderte sich durch Sendungen wie „Gute Nacht, Freunde“ und „Club 16“ – zu jeder Tageszeit. „Zwischen 1970 und 92 habe ich praktisch im BR gelebt“, sagt der Mann, der sich selbst eine „Mikrofonbesessenheit“ attestiert.
Über 4000 Menschen interviewte er nach eigenen Angaben bisher, unter ihnen die Altkanzler Willy Brandt („super nett“) und Helmut Schmidt („äußerst arrogant“). Sein Talent war in den Achtzigerjahren auch im Fernsehen gefragt, wo er unter anderem das „ARD Wunschkonzert“ betreute. „Für einen Radiomenschen ist Fernsehen was Unheimliches“, sagt Schlier über seinen kurzen beruflichen Abstecher. Alles durchplanen, kein Raum für Fantasie – das war nichts für den Freidenker, der es vom Rundfunk gewohnt war, das zu sagen, was er mochte. Und so lange er mochte. Zwischendrin spielte der Moderator in seinen Radiosendungen Popmusik – ein damals unbekanntes Genre beim BR. Die passenden Platten brachte Schlier einfach selbst mit.
Es war in dieser Zeit, zwischen Jazz und Pop, als der Journalist eine andere Kunstform für sich entdeckte – Musik, die mit wenig Drumherum auskam: Die Liedermacher hatten es Schlier angetan. „Das sind Dichter und Poeten, die ihre Geschichten in populäre Musik verpacken“, schwärmt er noch heute. Als Rundfunkmoderator lernte er viele dieser Sänger kennen und entwickelte die Idee, eben diesen eine Plattform zu geben. 1987 rief der Würzburger die „Songs an einem Sommerabend“ ins Leben, im Juli kamen dann das erste Mal Liedermacher vor dem Kloster Banz nahe Bad Staffelstein zusammen. „Wir hatten bei der Organisation wirklich mit allem gerechnet, außer mit Regen“, erinnert sich der Initiator. Trotz eines Schauers gelang die Premiere, vor rund 700 Zuschauern. Für Ado Schlier war das ein „besonders stolzer Moment“.
Von Jahr zu Jahr wurde das Liedermacher-Festival beliebter, Künstler wie Wolfgang Ambros, Hubert von Goisern, Ludwig Hirsch, Mary Black, Haindling, Esther Ofarim, Klaus Hoffmann, Heinz Rudolf Kunze oder die EAV kamen nach Bad Staffelstein. Neben „treuen Bekannten“ wie Reinhard Mey und Konstantin Wecker treten bis heute Nachwuchskünstler auf, die von der Hanns-Seidel-Stiftung ausgezeichnet werden. „Es sind großartige Momente, wenn jemand mit seiner Musik die Zuschauer in wenigen Sekunden einfängt“, schwärmt Schlier. Ein Gänsehautmoment sei beispielsweise der Auftritt des DDR-Künstlers Rainer Schulze 1987 gewesen. „Keiner kannte ihn, den Mann von der anderen Seite der Mauer. Und alle jubelten ihm zu.“ Dieser Augenblick habe ihm gezeigt, dass „Lieder wirklich Brücken bauen können“.
Dieses Jahr feiert das Festival sein 28-jähriges Bestehen. Schlier selbst wird dann zum letzten Mal „in der ersten Reihe sitzen“. Aus Altersgründen gibt der 79-Jährige die künstlerische Leitung ab. Seinen Job wird dann vermutlich eine Kommission übernehmen. Ganz zu Ruhe setzen kann und will sich der Moderator aber nicht. Denn die Musik ist für ihn weit mehr als nur ein Hobby. „Wenn ich nichts mehr mache, fange ich an, aufzuhören“, sagt er. Seine Leidenschaft und sein Elan werden das so schnell nicht zulassen.
Ado Schlier
Ado Schlier wurde am 31. Januar 1935 in Würzburg geboren und wuchs mit fünf Geschwistern auf. Sein Urgroßvater gründete das Würzburger Wäschehauses Schlier. 1952 zog Ado Schlier nach München, wo er als Radiomoderator und Konzertveranstalter arbeitete. Als Leiter des „Studio für Veranstaltungen“ organisierte er u.a. die Münchner Jazztage und Gastspiele von Ella Fitzgerald bis Ray Charles. Als Rundfunkmoderator arbeitete er unter anderem für Radio Salzburg, Radio Bremen und den Bayerischen Rundfunk. Für die ARD entwickelte er 1979 bis 1985 das Auswahlmodell des Grand Prix und betreute verschiedene Show-Sendungen. Ado Schlier schrieb musikjournalistische Beiträge, die unter anderem in der „tz“ und der „Augsburger Allgemeinen“ erschienen. Seit 1987 gestaltet er die Programme für das Festival „Songs an einem Sommerabend“, das dieses Jahr zum 28. Mal stattfindet. Schlier ist verheiratet und hat eine Tochter. Seit 2000 wohnt er mit seiner Frau Monika wieder in Würzburg.