Für Veit Stoß war es ein großes Unglück, das sein Leben entscheidend beeinflusste. Der Bildhauer hatte eine Urkunde gefälscht, er floh von Nürnberg nach Münnerstadt. Für die Kunstwelt ist es allerdings ein Glücksfall. Denn dort brachte er Farbe auf das Werk Tilman Riemenschneiders, den Magdalenenaltar. Und für Besucher des Museums am Dom in Würzburg bietet sich in den nächsten Monaten die seltene Möglichkeit, beiden Künstlern beziehungsweise ihrer Kunst in der aktuellen Sonderausstellung so nahe zu kommen, wie es sonst kaum möglich ist.
Veit Stoß, um 1450 im schwäbischen Horb am Neckar geboren, verließ 1504 Nürnberg klammheimlich in Richtung der wohlhabenden Stadt, in der seine Tochter Katharina mit ihrem Mann Jörg Trummer lebte. Der Künstler war gerade der Todesstrafe entronnen, aber an beiden Wangen gebrandmarkt. Er hatte zwar die Auflage, Nürnberg nicht zu verlassen. Münnerstadt erschien ihm jedoch sicherer. Er fürchtete, erneut ins Gefängnis geworfen zu werden. Außerdem wartete in der Münnerstädter Pfarrkirche ein Auftrag auf ihn. Und andere Einkünfte hatte er in dieser Zeit nicht.
Alles hatte begonnen mit einem riskanten Spekulationsgeschäft, auf das sich Veit Stoß mit unseriösen Leuten eingelassen hatte und bei dem er ein Vermögen verlor. Also fälschte er einen Schuldschein. Der Rechtsstreit zog sich über Jahre hin. Stoß fand keine Gesellen mehr, sein Werkstattbetrieb kam fast zum Erliegen. Erst ein Gnadenbrief von Kaiser Maximilian I. im Jahr 1506 half ihm aus der Bredouille. Aber aus dem bis dahin als überlegt geltenden und souverän agierenden Mann wurde ein "haylosser Burger" der "viel Unruw gemacht hatt." So steht es im Namensregister der Reichstadt Nürnberg.
In Münnerstadt traf Veit Stoß auf das Werk des Würzburger Bildschnitzers Tilman Riemenschneider (um 1460-1531). Direkt begegnet sind sie sich die beiden Künstler jedoch nicht – obwohl dies durchaus möglich gewesen wäre. Schon zuvor hatte Stoß den Auftrag erhalten, in Münnerstadt die Reliefs farbig zu fassen und die Außenseiten der Flügel des Altarschreins Riemenschneiders mit der Kilianslegende zu bemalen.
Es sind die "beiden wohl bekanntesten Künstler der deutschen Spätgotik", so Kunsthistoriker und Diözesankonservator Wolfgang Schneider. "Der Münnerstädter Altar von 1490 bis 1492 ist das früheste für Riemenschneider bezeugte Werk und ein Schlüssel zum Verständnis seiner Kunst" – und der Münnerstädter Auftrag von 1504 bis 1505 "der einzige Beleg für das malerische Arbeiten von Veit Stoß".
Schon lange wollte Schneider eine Ausstellung über diesen "Schnittpunkt" dieser beiden Künstler machen. Die Gelegenheit bot sich nun durch die Restaurierung der mittelalterlichen Glasfenster im Chor der Pfarrkirche von Münnerstadt. Der Altar ist abgebaut, die Werke von Riemenschneider und die Gemälde von Stoß wurden in das Museum am Dom ausgelagert – und können nun dort ganz aus der Nähe bewundert werden. Bis August 2020 besteht somit die laut Pressemitteilung "außergewöhnliche Gelegenheit, den sonst hoch im Altarschrein platzierten Kunstwerken auf Augenhöhe zu begegnen".
Der Titel der außergewöhnlichen und unbedingt sehenswerten Präsentation lautet "Riemenschneider X Stoss". Die Änderung der üblichen Schreibweise "Stoß" in "Stoss" ist gewollt, so der kommissarische Leiter der Museen der Diözese Würzburg, Michael Koller. Im Obergeschoss des Museums am Dom wurde eine "Ausstellung in der Ausstellung" platziert, mit farbigen Stellwänden hervorgehoben und in grafisch akzentuierten Texten erläutert (Idee Bungalow Kreativbüro Würzburg). Da passt optisch kein "ß" hinein. Eher ein "sz", wenn es eine Ausstellung in Polen wäre. Dort wird Veit Stoß Wit Stwosz genannt. In der damaligen Hauptstadt Krakau lebte der Künstler von 1477 bis 1496 und schuf den berühmten Marienaltar.
In Würzburg werden nur die Originale von Riemenschneider ausgestellt, nicht die Kopien, die nach dem im Lauf des 19. Jahrhunderts erfolgten Verkauf einzelner Figuren angefertigt wurden; die Kopie der Maria Magadalena beispielsweise entstand ab 1976. Wer heute alle originalen Teile des Magdalenenaltars sehen möchte, muss zusätzlich das Bayerische Nationalmuseum München und das Bode-Museum Berlin besuchen. Dort befinden sich etwa die Magdalenengruppe und das Flügelrelief vom Gastmahl des Simon beziehungsweise die vier Evangelisten und das Flügelrelief Noli me tangere.
Von den farbigen Fassungen der Riemenschneider-Werke durch Veit Stoß ist heute im Museum am Dom nichts mehr zu sehen. Sie sind wieder holzsichtig – so wie sie Riemenschneider 1492 in Münnerstadt abgeliefert hat. Nur an den Reliefs sind noch Spuren erkennbar, weil der Betrachter direkt davor steht. Die Gemälde von Stoß können ebenfalls in allen Details bewundert werden. Es gibt viel zu entdecken.
Der Magdalenenaltar hat seit seiner Fertigstellung viele Änderungen im Aufbau erfahren. Wer sich für die 1978/81 errichtete Rekonstruktion interessiert, muss nicht bis zum Ende der Restaurierung in Münnerstadt warten. In Würzburg ist dies via Tablet auf digitalen Weg und interaktiv möglich (ebenfalls Bungalow Kreativbüro Würzburg). Und wer sich für die Geschichte des Magdalenenaltars und das Leben der beiden Künstler interessiert, wird über die Wandtexte informiert, auch auf Englisch. Die Ausstellungsmacher versprechen eine "Zeitreise" und möchten zeigen, "wie zwei Künstler es geschafft haben, gemeinsam ein einzigartiges und epochales Werk zu erschaffen".