Wo beginnen? Wo, wenn es nichts zu bemängeln gibt? Was herausheben, wenn alles aus einem Guss ist und alles – Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme, Atmosphäre, Schauspielleistung vor allem – in sich und im Ganzen stimmig?
Also einfach irgendwo anfangen. Zum Beispiel bei diesem herrlichen ersten und nicht letzten Auftritt des Hofmarschalls von Kalb, der in rosa Pumps durch den Saal des Präsidenten stöckelt und dabei den Puder aus seiner Perücke aufwirbelt, dass es eine Freude ist. Oder beim Cello, mit dem Milena Ivanova dieser Inszenierung am Mainfranken Theater Würzburg eine ganz besondere Atmosphäre gibt. An der Seite oder im Hintergrund sitzend, untermalt die Cellistin mit ihrer Musik präzise wie einfühlsam, klar wie ausdrucksvoll Brisanz oder Romantik, Gefahr oder Dramatik an besonderen Stellen dieses Stücks.
Man kann beim Besprechen der Würzburger „Kabale und Liebe“ auch da beginnen, wo dieser kühle, durchtriebene, verschlagene, auf subtile wie brutale Art mit seiner Macht spielende Präsident von Walter, der sich und seine Gefühle sonst völlig im Griff hat, plötzlich durch die Palasttür stürmt. Und einen kurzen Moment lang tobt und eine Violine auf den Boden schmettert, dass sie in hundert Stücke zersplittert. Die Geige des Stadtmusikanten Miller muss das sein. Den der Präsident am liebsten wohl mit zerschmettern würde. Weil die Tochter des Musikus, die schöne Luise, von Walters Sohn Ferdinand liebt. Beziehungsweise: Ferdinand sie.
Adelssohn liebt Bürgerliche - umöglich
Ein Adelssohn und eine Bürgerliche – es wäre ein Eklat. Und Luise ahnt es, weiß es ja, dass die Schranken des Unterschieds eine Zukunft zunichtemachen werden: „Wenn Menschen nur Menschen sind, dann werde ich reich sein.“ Allein, es sind nicht nur die Standesgrenzen, die im sattsam bekannten bürgerlichen Trauerspiel von Friedrich Schiller - uraufgeführt 1784, in der Endphase des epochalen Stürmens und Drängens in der Literatur - die romantische, selbstbestimmte Liebe verhindern. Es sind die Kabalen, die Intrigen und Niedertracht, die alles in der Katastrophe enden lassen.
Seit der Reichsgründung 1871 erst ist die uneingeschränkte Heirat aller Bevölkerungsgruppen möglich. Und die Zeiten, in denen gesellschaftskonform und mit Elternerlaubnis geehelicht werden musste, sind eigentlich vorüber. Liebe, Egoismus, Neid, Zorn, Schuld und Reue aber - sie sind immergültige menschliche Gefühle. Wer dennoch meint, Theater müsse heute immer einen plakativen, sichtbaren Bezug zur Gegenwart haben; müsse Brücken ins Jetzt schlagen, also wenigstens einmal Donald Trump erwähnen oder den Brexit; müsse wenigstens alle technischen Möglichkeiten nutzen und mit schicken Projektionen und flackernden Videosequenzen aufrütteln, Botschaften transportieren; müsse wenigstens die Schauspieler Sneaker tragen lassen und Business-Anzüge oder Nerdbrillen - wer all das von zeitgenössischem Theater erwartet, der braucht in die erste Schauspielproduktion der neuen Spielzeit am Mainfranken Theater nicht zu gehen.
Warum Theaterskeptiker erst recht ins Theater sollten
Oder nein: Er sollte erst recht! Um zu sehen, wie wohltuend zeitlos, wie schön und ergreifend gut man einen ausgereizten Klassiker auf die Bühne bringen kann, der zu den bedeutendsten der deutschen Literaturgeschichte gehört und an dem Generationen von Schülern nicht vorbeikamen. Denn was Regisseur Marcel Keller, der auch für Fassung, Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, aus diesem Trauerspiel macht: Es ist Theaterfreude pur.
Schillers kraftvolle, reiche Sprache. Sparsame, aber effektive wie effektvolle Kulisse – metallische Spiegel und farbige Leuchtstäbe im tiefen, herrischen Saal des Präsidenten, eine schlichte kleine Wand als Haus des Musikers Miller. Kostüme, angelehnt an die stürmisch-drängende Zeit. Ganz wenige Requisiten. Aber wirkungsvoll – wie die brennende Kerze, als der Sekretär Wurm Luise zum Schreiben eines fatalen Briefes zwingt.
Viel Text, aber: starke Ensembleleistung, starke Einzelleistungen
Deshalb vielleicht doch beginnen bei Thomas Klenk. Wie er mit ganz präzisen, feinen Gesten, mit facettenreichem, variablem Spiel differenziert den berechnenden Präsidenten von Walter gibt – herausragend. Alexander Darkow dagegen ist als intrigierender Wurm zu aufgesetzt komisch, zu betont in allem, was er tut. Dafür darf Stefan Drücke als eitler und gepuderter Hofmarschall von Kalb aufgesetzt und affektiert herumtänzeln – und tut das ist schönster Weise. Bastian Beyer als verzweifelter Ferdinand, Julia Baukus als stolze Lady Milford, Johanna Meinhard als liebende, fromme Luise, Eberhard Peiker als Kammerdiener, Matthias Fuchs als Luises Vater, Edith Abels als Mutter – allesamt glaubwürdig, überzeugend, stark.
Womit also aufhören? Mit einer Empfehlung. Dringend anschauen!
Die nächsten Vorstellungen: 5., 11. und 25. Oktober um 19.30 Uhr, 13. Oktober um 15 Uhr. Karten: Tel. (09 31) 39 08-124 oder karten@mainfrankentheater.de